Review

Etwa 20 Jahre liegt meine erste Sichtung von Hrafn Gunnlaugssons "Im Schatten des Raben" nun zurück und hat mich beim wiederholten Anschauen schier umgehauen. Die unglaublich intensive Wirkung des Films ist sowohl der packenden Handlung geschuldet, die mit der Wucht einer Shakespeare Tragödie daherkommt, als auch der faszinierenden Ästhetik der Inszenierung, welche mit keinem anderem Film des Genres vergleichbar ist. Authentizität ist das Stichwort, denn bis ins kleinste Detail scheint Gunnlaugsson die Zeit des Hochmittelalters und die isländische Kultur rekonstruiert zu haben und bereits wenige Eindrücke des Films vermitteln eine kompromisslose Absage an genretypische Klischees und die üblichen Konventionen. Oh wie muss ein Wikinger gestunken haben!

So mag auch der zweite Teil von Gunnlaugssons Raben-Trilogie optisch zunächst etwas befremdlich wirken, da die auf den ersten Blick oft schlichte, puristische Ausstattung nicht unbedingt die Erwartungen des Zuschauers bedient, dem andere Filme des Genres diese Epoche wohl eher als ein buntes, prächtiges Spektakel verkauft haben. Fast könnte man diesbezüglich von einer Kargheit sprechen, der es (insbesondere in homogener Verbindung mit den umwerfenden Naturaufnahmen Islands) dennoch an nichts fehlt, um eine glaubhafte Illusion der Vergangenheit entstehen zu lassen. Nicht zuletzt auch die tadellose Performance des gesamten Ensembles trägt hierzu ihren Teil dazu bei. Wenn man in die Gesichter dieser Schauspieler sieht, wird einem einmal mehr deutlich, wie austauschbar doch die meisten Rollen im Bereich des Mainstream-Kinos sind.

Liebe und Hass, Loyalität und Verrat, Vergeltung und Vergebung sind die Motive der Beteiligten einer rein oberflächlich betrachtet tragischen Rachegeschichte. Brutal und gewalttätig geht es von Anfang bis Ende zur Sache, wobei die Gewaltdarstellungen recht drastisch (wenn auch selten allzu blutig) dargestellt sind. Das Handeln des Protagonisten ist ferner auch stark religiös motiviert, wodurch - bisweilen über das Augenscheinliche hinaus - der Film zusätzlich eine allegorische Auseinandersetzung mit Christentum und Heidentum liefert. Auch durch die Wahl der narrativen Mittel hebt sich Gunnlaugssons meisterhafte Regiearbeit von den Konventionen vieler Unterhaltungsfilme ab, exemplarisch sei die Szene genannt, in der sich Braut und Bräutigam auf der Felsenbrücke treffen und distanzierte Beobachter das Geschehen als Frage-und-Antwort-Spiel verbalisieren.

Jeder Rotz wird heutzutage auf DVD wiederveröffentlicht  und es ginge einfach nicht gerecht zu auf dieser Welt, wenn ein Regisseur wie Hrafn Gunnlaugsson derartige Meisterwerke schafft und sich dafür dennoch kein Vertrieb findet. Lange genug hat es gedauert, so dass selbst der äußerst spartanisch ausgestattete Silberling von EuroVideo einem vorkommt wie eine Offenbarung. Absolut unverzichtbar.

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