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LA VENERE D’ILLE ist eine einstündige TV-Produktion, die Ende der 70er im Rahmen einer Filmreihe des italienischen Fernsehens entstand, in der je ein Klassiker der Schauerliteratur des 19.Jahrhunderts gewürdigt, d.h. in bewegte Bilder übersetzt werden sollte. Grundlage des Werks ist die  1837 erschienene gleichnamige Novelle des französischen Schriftstellers Prosper Mérimée (1803 – 1870). Gleichzeitig, und deshalb dürfte LA VENERE D’ILLE wohl vor allem für die Freunde des italienischen Horrorkinos interessant sein, bedeutete der Film sowohl die letzte Regiearbeit des 1980 verstorbenen Mario Bavas als auch die erste seines Sohnes Lamberto, der sich bis dahin vorrangig als Drehbuchautor und Regieassistent verdingte, steht also im Grunde exakt auf der Schwelle einer Art Generationswechsels, und vereint Vater und Sohn in einem gemeinschaftlichen Projekt. Wie die Rollenverteilung nun genau gewesen sein mag – diverse Quellen behaupten zumindest, dass LA VENERE D’ILLE bis auf wenige Einzelszenen fast ausschließlich von Lamberto Bava inszeniert worden sei -, kann ich nicht sagen, Fakt jedoch ist, dass sich der Film, meiner Meinung nach, mit keinem anderen aus dem Oeuvre Marios oder Lambertos vergleichen lässt, ziemlich eigenständig in beider Filmographien dasteht. Zwar erreicht LA VENERE D’ILLE nie die künstlerische Brillanz und die optische Pracht von Mario Bavas besten Filmen, und auch die Terrorszenen wie sie noch in SHOCK effektiv eingesetzt wurden, halten sich in Grenzen, jedoch ist das Werk auch äußerst weit von den vielen Ausflügen in unterhaltsam-stupide Trash-Gefilde entfernt, wie sie Lamberto Bava in der Folgezeit, bis auf wenige Ausnahmen, mit seinen eigenen Filmen unternehmen sollte. Vielmehr versprühte LA VENERE D’ILLE eine außerordentlich unaufgeregte, ruhige, fast schon idyllische Stimmung, eingefangen in leisen Bildern von stiller Schönheit.

Überrascht hat mich, wie eng sich der Film an seine literarische Vorlage hält. Beinahe sklavisch wird hier dem Verlauf der Originalgeschichte gefolgt. Im Mittelpunkt der Handlung steht als Identifikationsfigur des Zuschauers der junge Matthew, der die Reise zu dem reichen südfranzösischen Gutsbesitzer De Peyhorrade antritt, um von ihm mit den archäologischen Fundstücken vertraut gemacht zu werden, die um den entlegenen Ort Ille herum in letzter Zeit zutage gefördert wurden. Erst kürzlich stießen De Peyhorrades Bauern auf eine vorchristliche Venusstatue, die sie unter den Wurzeln eines Baums bargen, und die ihre Ausgrabung damit dankte, dass sie auf einen ihrer Finder stürzte und ihn schwer verletzte. Inzwischen hat man die Statue im Park von De Peyhorrades Landgut aufgestellt, wo sie von der abergläubischen Landbevölkerung mit misstrauischen Blicken beäugt wird. Matthew, als Experte auf dem Gebiet altertümlicher Relikte, soll für den kauzigen De Peyhorrade nun den Wert der Bronzestatue feststellen, und wird dabei gleich zu der Hochzeit des Sohns der Familie namens Alfonso geladen, die zufällig einen Tag nach seiner Ankunft stattfinden soll. So unsympathisch Matthew der gerne dem Wein zusprechende, großspurige und arrogante Alfonso ist, so hingezogen fühlt er sich zu dessen Verlobter Clara, die ihm das exakte Gegenteil zu sein scheint: anmutig, liebreizend, wunderschön, gar nicht geeignet für einen Mann vom Schlage Alfonsos. Sogar an seinem eigenen Hochzeitstag vertreibt der sich die Zeit lieber damit, mit ein paar spanischen Maultiertreibern ein Ballspiel abzuhalten statt sich um seine Zukünftige zu kümmern. Dass er den Trauring, den er ihr später anstecken will und schon mal mit sich am Finger führt, abzieht, um ungestörter spielen zu können, und übermütig der Venusstatue über den Finger streift, ihn dort vergisst und Clara bei der Trauung deshalb einen billigen Ersatz überreichen muss, ist für Matthew nur symptomatisch für das Verhalten Alfonsos. Während Matthew sich immer weiter in seine Liebe zu Clara hineinsteigert, macht ihm der volltrunkene Alfonso am Abend der Hochzeit das Geständnis, dass er sicher sei, die Venusstatue im Park seines Vaters führe ein Eigenleben. Er habe sich zu ihr begeben, um ihr den für Clara bestimmten Ring wegzunehmen, und er schwöre, dass sie ihre Finger bewusst so krümmte, dass er ihn nicht mehr von ihrer Hand bekam… 

Neben der Tatsache, dass in der Novelle Mérimées von einer innigen Liebe des dortigen Ich-Erzählers zu Clara keine Rede ist, besteht das Novum, dass die Bavas in die Handlung einführten, vor allem in der Ähnlichkeit zwischen der Verlobten Alfonsos und der Venusstatue. Daria Nicolodi verkörpert nicht nur Clara, sondern stand auch Modell für die Bronzestatue, und in einer Szene, von der nie klar wird, ob sie sich nur in Matthews Phantasie abspielt, scheint die Venus sich zu beleben und die Gestalt Claras anzunehmen, um ihn zu verführen. Warum man diesen Aspekt der Originalstory hinzudichtete, hat sich mir allerdings nicht erschlossen, da es für die Dramaturgie der Geschichte im Grunde völlig gleichgültig ist, ob Clara und die Statue sich ähneln oder nicht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Ähnlichkeit einzig Matthews verliebtem Blick geschuldet ist – auffallend ist nämlich, dass niemand anderes die Venus in Clara und umgekehrt zu sehen scheint -, bleibt das ein Detail, das für die eigentliche Geschichte relativ bedeutungslos ist, stets außerhalb von ihr steht und am Ende nirgendwo hinführt. Das bleibt aber auch der einzige Kritikpunkt, denn ansonsten wurde die Erzählung fast schon übertrieben textnah umgesetzt. Sogar einige Dialogzeilen scheint man eins zu eins der Vorlage entnommen zu haben. Zudem verhindert die Laufzeit von nur einer Stunde, dass unnötige Längen auftreten, mit denen man hätte versuchen müssen, die knappe Novelle auf Spielfilmlänge aufzublähen. Mario oder Lamberto Bava, wer auch immer nun hauptverantwortlich für die Inszenierung gewesen sein mag, schaffen es ganz gut, den Geist der Novelle adäquat einzufangen, und verzichten dabei auf irgendwelche Genrezugeständnisse, was den Film wohl in den Augen mancher Betrachter, die sich einen eher klassischen italienischen Horrorfilm erhoffen, oder gar auf Gore-Eskapaden warten, zu einem äußerst langweiligen Unterfangen werden lassen wird. Zugegeben ist das Tempo von LA VENERE D’ILLE alles andere als hastig. Die überschaubare, klare Handlung entwickelt sich langsam. Weder visuell noch inhaltlich lassen sich großartige Schauwerte finden. Auch gibt es nur zwei Suspense-Szenen, eine zu Beginn und eine im Finale (die dann allerdings eindeutig Mario Bavas Handschrift tragen). Geht man allerdings unvoreingenommen an das Werk heran, entpuppt sich LA VERENE D’ILLE als ein kurzweiliger Gruselfilm, der nie überragend wird, mich jedoch nicht schlecht unterhalten hat, und einen ordentlichen, interessanten Schlussakkord hinter Mario Bavas Lebenswerk setzt. 

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