Review

2004 war ein filmtechnisch gesehen ein äußerst innovatives Jahr.
Gleich 3 Filme aus verschiedenen Teilen der Erde sollten sich die so genannte „Digital Backlot“ – Technik zunutze machen, um den modernen Kinogänger mit Eyecandy der geilsten Sorte zu beeindrucken.
Die Franzosen boten “Immortal”, die Amis „Sky Captain and the World of Tomorrow”, und die Japaner “Casshern”.
Welcher denn der erste dieser Dreien war, lässt sich schwer sagen, also könnte man sie alle als Pioniere betrachten, die schließlich noch weitaus erfolgreichere Genre Kollegen (was also die Technik betrifft) nach sich zogen wie etwa Sin City oder 300.

Die Backlot Technik jedenfalls, die sich hervorragend eignet Comics und Sci-Fi Stories optisch prachtvoll und vor allem kostengünstig in Szene zu setzen, kommt den Japanern wie gerufen, um mal einen ihrer geliebten Animes „real“ zu verfilmen.
Für dieses Prototypprojekt hielt dann der auf dem internationalen Markt weniger bekannte „Casshan“ her.
Doch das war egal; das futuristische Szenario war wichtig, um hier die Technik sprechen zu lassen.

Hier wird eine Postapokalyptische Zukunft geboten, in der Asien zur absoluten Weltmacht geworden ist. Der geniale Wissenschaftler Dr. Azuma hat die sog. Neo-Zellen entdeckt, welche totes Bio Material rehabilitiert.
Wunden können schnell geheilt und abgetrennte Gliedmaßen wieder problemlos zusammengefügt werden.
Das Interesse des Militärs an diesem Wunder der Medizin lässt nicht lange auf sich warten.
Dr. Azuma jedoch zeigt sich weniger euphorisch, bleibt bodenständig und lässt den Status der Neo-Zellen nicht über dem eines „Experiments“ hinauswachsen.
Das Misstrauen bestätigt sich, als durch einen Betriebsunfall mehrere „Neo-Sapiens“ dem Neo-Zellen Becken entsteigen. Dieser Haufen von physikalisch gesehen „unvollkommenen“ Menschen wird größtenteils wieder zusammengeschossen, doch eine kleine Gruppe, die kurioserweise Superkräfte entwickelt hat, konnte entkommen.
Die Technologie der Neo-Zellen bleibt von da an jedoch nicht ungenutzt.
Als Dr. Azuma von dem Tod seines Sohnes erfährt, der während des Krieges gefallen ist, treibt ihn die Verzweiflung dahin, den Leichnam von Tetsuya den Neo-Zellen zu übergeben, womit er sich eine Wiederbelebung erhofft.
Es gelingt, jedoch kann Tetsuya auf Dauer nur noch in einem speziell angefertigten (Kampf)-Suit überleben, der ihm zusammen mit der künstlichen Wiederbelebung ungeahnte Kräfte verleiht.

Derweil hat sich die Gruppe von Neo-Sapiens in einer alten Burg verschanzt, die zufällig eine riesige, noch funktionstüchtige Roboterarmee beherbergt.
So bereiten sich die Neo-Menschen darauf vor, sich an der gesamten Menschheit zu rächen, die in ihren Augen vollkommen unbefugt über das Leben anderer Kreaturen entscheidet…

Und sowie das erstmal klar wird, sind bereits 50min vergangen.
Bis dahin kann man der Handlung noch recht gut folgen, doch der rote Faden verläuft dann irgendwann nicht mehr leicht wellenförmig Richtung Ende, sondern spaltet sich in mehrere Richtungen, bis daraus ein unübersichtlicher, zerschnippelter Kuddel-Muddel Woll-Knoll wird, und einzelne Handlungszüge unbegreiflich am Zuschauer vorbeigehen.

Es ist schon ein seltsames Gefühl, dazusitzen, und zu zusehen wie sich gewisse Szenen als selbstverständlich erachten, wenn Figuren auftauchen, an die man sich gar nicht erinnern und diese auch nicht so recht zuordnen kann, und dann prompt in einer ruhigen Szenen irgendetwas tun, das weder Sinn ergibt, noch den Zuschauer irgendwie berührt.
Beispiel wäre die Szene am Esstisch wo einer der Gäste ganz überraschend hingerichtet wurde.
Das Opfer war nicht zu erkennen, sodass nicht so richtig klar wird, was man nun daraus für den weiteren Verlauf der Handlung schließen soll, außer eben, dass der Kerl, der den Typen ermordet hat, fies ist.
Diesen BTW konnte ich auch nicht so recht zuordnen; wer war denn das überhaupt???
Bei all den Figuren, die Casshern ins löchrige Handlungskonstrukt hineinwirft bleibt bei der teilweise geringen Screentime einzelner, „wichtiger“ Charakteren, und dem Problem, dass sich Asiaten für Europäer manchmal schwer voneinander unterscheiden lassen, die Übersicht auf der Strecke.
Des Weiteren ist sehr fraglich, wie die Neo-Sapiens so von Heute auf Morgen in ihrer zufällig gefundenen, gut ausgestatteten Burg zu solch einer Übermacht werden konnten.
Was für ein schöner Zufall, dass dort lauter Roboter lagerten ;)
Warum muss Casshern am Ende die Uhrzeiger verdrehen?
Und warum stinkt deren Volks-Symbol so sehr nach dem Nationalsozialismus?
So bietet der Film 142min lang Plotlöcher, die sich irgendwann so sehr häufen, dass es dem Zuschauer auch schon wieder egal ist.

Da war wohl die böse Script-Mafia unterwegs und schoss reichlich Löcher in den Plot.
Doch die extravagante Optik schafft es hin und wieder darüber hinwegzusehen.
Die Digital Backlot Technik wird hier voll und ganz ausgenutzt, und mit vielen hübschen Extras versehen.
Die Optik im Film präsentiert sich äußerst facettenreich.
Da ist zum Beispiel die strahlende Familie, die in einem wunderschönen Garten vor einer Kamera posiert, während es weiße Blüten regnet. Ähnlich genial wie in dem Herbstbild aus „Hero“.
Dann wiederum haben wir gigantische Stadt- und Flugschiff Aufnahmen, die mit prächtigen Orange-Tönen nur so um sich schlagen.
Und dann sind da noch die grandiosen Schwarz Weiß Szenen, die gelegentlich schwache Farben andeuten, und zusammen mit der CGI-Technik so richtig schrägen und verdammt cool aussehenden Style aufkommen lassen.

Kiriya Kazukaki legte äußerst größten Wert auf die ästhetische Bilderflut, und präsentiert sie uns so vielfältig und unrealistisch schön, dass man guten Herzens über die Schwächen in der Story hinwegsehen kann.
Die Optik ist da aber auch nur die halbe Miete, denn richtig gut werden die Szenen erst mit der hervorragenden musikalischen Begleitung, die die entsprechenden ruhigen und ernsten Szenen symphonisch eindrucksvoll unterstreicht, und eine einzigartige Atmosphäre aufbaut.
Man achte auf die Szene, in der ein Soldat Tetsuya’s blinden Mutter die traurige Nachricht übermittelt, ihr Sohn sei im Kriege gefallen.
Hier, anfangs, wo der Zuschauer noch weiß was Sache ist, sorgt die Bildersprache für so manche Gänsehaut, wenn der Kerl mit schauspielerisch überzeugendem Gesicht die Lippen bewegt, ohne dass dabei ein Wort zu vernehmen ist. Gerade weil diese Szene auf das Stimmengeräusch verzichtet, und nur auf die Gesichtsmimik und der dazu passenden musikalischen Begleitung setzt, hat diese Szene eine besonders eindringliche Wirkung.
Grandios sage ich da nur!

Ebenso dann auch die Actionszenen.
Hier darf dann dieser zum Realfilm gewordene Anime zeigen wo seine Wurzeln stecken, und bietet total abgedrehte und atemberaubende Szenen.
Hier rennt unser Held Tetsuya, alias Casshern Gebäudewande entlang, und zieht dabei eine gigantomase Staubwolke hinter sich her, während eine Überzahl von Roboterarmeen auf ihn einfeuert.
Es ist zwar etwas zu viel des Guten, wenn Casshern sie alle so locker platt macht, doch auch hier will der Film weniger logisch und spannend sein, sondern viel mehr die grandiose Optik in diesen Crash Boom Bang Szenen ins Unermessliche steigern.
Bei dieser edlen und weichen Inszenierung bleibt dann aber auch der große „Wow“-Effekt leider aus. Soll heißen, es fehlt in den Action Szenen die dreckige Härte, die gelegentlich dann auch von den Socken hauen würde.
Doch bei der hektischen Schnittorgie, die nicht davor zurückschreckt, einen Sprung in 3-5 Schnitten zu präsentieren, verliert man dann schon oft, wie auch schon bei der Story den Überblick.
Hier wurde die Kampfchoreographie viel zu sauber gehalten, bis auf die Ausnahme im Black-White Schwert Duell zwischen Barashin und Casshern.

Und damit sehen die Actionszenen dann aber auch im Endeffekt nicht viel besser aus, als die ruhigen Szenen; und das will ich auch gar nicht als Kritik ankreiden.
Casshern ist ein wundervolles Kunstwerk, das optisch gesehen an Einfallsreichtum nur schwer zu schlagen ist; da zieht Sin City meiner Meinung nach deutlich den Kürzeren.
Jedes Bild, jede Szene und jede Einstellung ist wie ein Portrait des Gezeigten, es ist so als würde mein ein absolutes Ausnahme Museum besuchen.
Die Handlung behält man nur äußerst schwer im Überblick, viele Szenen werden unendlich lang unter Begleitung von Kirchenchor in Endlosschleife hingezogen und die gut gemeinte Botschaft, dass Krieg scheiße ist, und sich alle gern haben sollten ist auch nicht neu, wurde aber dafür einprägsam in Szene gesetzt.
Wie eben der gesamte Film! Wenn man sich drauf einlässt, vergisst man die inhaltlichen Defizite einfach, verschmilzt mit der melancholischen Atmosphäre, wird eins mit dem Film, und so kann man schließlich 2 sehr schöne, tief unter die Haut gehende Stunden verbringen.

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