Review

Dr. Jekyll, ein angesehener Wissenschaftler, stellt die Theorie auf, dass im Menschen stets eine gute und eine schlechte Seite im Konflikt liegen. Mittels einer chemischen Formel will er das menschliche Naturel vom Bösen befreien, stattdessen weckt er aber genau dieses und wird im Selbstversuch zum triebgesteuerten, sittenlosen und gewalttätigen Mr. Hyde. Erst geniesst er es noch, auf diese Art die Sau rauszulassen und seinen Spass zu haben, überlegt es sich dann aber doch anders, als ihm bewusst wird, was er als Mr. Hyde so anrichtet (bzw. zum Beispiel dem leichten Mädchen Ivy antut) und schwört der Droge ab (auch im Hinblick auf seine Heirat mit Muriel Carew). Doch seine dunkle Seite lässt sich nicht so einfach aufs Abstellgleis verfrachten…

Der Film bietet Hirnfutter in seinen Überlegungen zu den beiden Seiten menschlichen Verhaltens (Triebhaftigkeit oder Selbstkontrolle, Altruismus oder Egoismus, Gut oder Böse, etc.), ein interessantes Thema. Interessant auch der Charakter Dr. Jekylls, der gegen gesellschaftliche Zwänge und althergebrachte Traditionen protestiert und dem sich eben durch Mr. Hyde die Gelegenheit bietet, auf diese zu pfeifen. Wobei die Botschaft des Films schlussendlich eine recht konservative ist, wenn dieser Wunsch schlussendlich zur Katastrophe führt. Wenn er sich bloss an die Tradition gehalten hätte...
Formal ist der Film überraschend aufwändig (für seine Entstehungszeit), besonders die Kameraführung fällt auf: Gleich zu Beginn wird mit subjektiver Kamera gearbeitet, da erleben wir das Geschehen eine ganze Weile aus dem Blickwinkel des Protagonisten (wobei wir ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen, wenn er in einen Spiegel schaut). Das erinnert an den mehr als fünfzehn Jahre später entstandenen LADY IN THE LAKE, wurde hier allerdings sehr viel souveräner gelöst; die Kamerabewegung ist dynamischer, es werden Schnitte gesetzt, es gibt etwas spektakulärere Anblicke – z.B. die Kutschenfahrt – und vor allem wird die subjektive Kamera nicht den ganzen Film hindurch beibehalten (kommt aber auch später immer wieder mal vor). Etwas irritierend (und irgendwie erheiternd) ist es, wenn Darsteller in solchen Szenen in Grossaufnahme direkt in die Kamera reden (was dann z.B. in den eigentlich ernst gemeinten Liebeszenen für ein paar unfreiwillige Lacher sorgt).
Apropos erheiternd: In der ersten Hälfte hat der Film einen sehr lockeren Grundton, da gibt’s auch eine Menge gelungene Sprüche (aber zum Glück keinen der damals sonst typischen, notorisch unwitzigen Comic Reliefs). Schön witzig, etwas aufgedreht (vor allem auch dank dem sehr gut aufgelegten Fredric March in der Hauptrolle), auch mit einer überraschenden Freizügigkeit und ein paar gewitzten Szenenübergängen.
Im zweiten Teil wird es dann aber tragisch, zum einen durch das Schicksal von Ivy, zum anderen durch den zum Scheitern verurteilten Versuch Jekylls, den Geist, den er rief, wieder loszuwerden. Wobei es dann aber auch ein wenig zu theatralisch wirkt, wenn beispielsweise Jekyll ein langes Gespräch mit seiner Verlobten führt, in welchem er ihr sagt, dass er sie nicht mehr sehen darf, sie ihn dann immer wieder bittet, ihr zu sagen, weshalb, und er immer wieder erklärt, das könne er nicht. Und wenn er da auch noch Gott anruft, dann wird’s schon schwer erträglich (dabei „stört“ auch, dass man hier – wie so häufig bei frühen Tonfilmen – auf musikalische Untermalung der Szenen weitgehend verzichtet. Musik erklingt fast nur dann, wenn im Film ein Instrument gespielt wird).
Die Ernsthaftigkeit des Filmes wird auch durch die Darstellung Marchs von Mr. Hyde etwas unterhöhlt: Was der da als hyperaktiver Vandale abliefert, ist Overacting an der Grenze zur Peinlichkeit. Zudem ist das Hyde-Make-up eine Ecke zu übertrieben: Im echten Leben wäre er wohl sofort in den nächsten Zoo gesteckt worden.
So funktioniert der Film alles in allem eher als (manchmal halt unfreiwillige) Horrorkomödie denn als ernsthaftes Drama (macht allerdings auch seinen Reiz aus).
Zu den Spezialeffekten, die natürlich vor allem in den Verwandlungsszenen zum Einsatz kommen: Da wurde zum einen mit mehreren Schichten unterschiedlich lichtempfindlichen Make-ups gearbeitet; je nach Beleuchtung erscheint eine andere Schicht, was für einige wirklich verblüffende Momente sorgt. Ansonsten wurden (aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr allzu beeindruckende) Überblendungen und geschickt versteckte Schnitte eingesetzt.
Wie schon gesagt: DR. JEKYLL AND MR. HYDE ist top als teils unfreiwillige Horrorkomödie, hübsch dynamisch inszeniert und auch heute noch den einen oder anderen Blick wert.

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