Anders als die ein Jahr zuvor entstandenen Episodenfilme "L'amore in città" und "Siamo donne", an dem Roberto Rossellini ebenfalls beteiligt war, ist die Thematik in "Amori di mezzo secolo" schon durch das große Zeitfenster einer Jahrhunderthälfte deutlich breiter gefasst. Die fünf Episoden suchten sich zwar signifikante Ereignisse als Hintergrund aus - die Jahrhundertwende, die beiden Weltkriege und die Machtergreifung der Faschisten - blieben dabei aber immer stichprobenartig, da auch der jeweilige Umgang mit diesen prägenden historischen Vorkommnissen unterschiedlicher nicht sein konnte - einmal komödiantisch, dann tragisch oder melodramatisch.
Auch die Anordnung der letzten von Antonio Pietrangeli zu verantwortenden Episode "Girandola 1910" fällt aus dem Rahmen, da sie einerseits der chronologischen Abfolge der ersten vier Kurzfilme widerspricht, andererseits auf einen besonderen historischen Hintergrund verzichtet. Heute kann man nur noch darüber spekulieren, warum diese Episode, an der auch der junge Ettore Scola als Autor mitarbeitete, den Reigen abschliesst. Vielleicht wollte man - ähnlich wie beim später entstandenen Episodenfilm "Boccaccio '70" - das Publikum mit einem amüsanten Film verabschieden, vielleicht passte das einfach zu dem Charakter dieses nur 72minütigen Films, der jungen Talenten an der Seite Roberto Rossellinis die Möglichkeit gab, ihre Kunst zu entfalten :
1. "L'amore romantico" (Glauco Pellegrini)
Die Liebe zwischen Elena (Leonora Ruffo), Tochter aus gutem Hause, und dem verarmten Musiker Mario (Franco Interlenghi) wird ausgehend von den Silvesterfeierlichkeiten zum Beginn des 20.Jahrhunderts in melodramatischer Form erzählt. Mario muss die Geliebte verlassen, um auf eine große Konzerttournee zu gehen, da er nur so einen Stand erreichen kann, der es ihm ermöglicht, um ihre Hand anzuhalten. Elenas Vater und ihre Tante, die vordergründig Elenas Glück wollen, akzeptieren scheinbar diese Phase, die die Liebenden mit ständigem Briefeschreiben überstehen wollen, aber heimlich zerstören sie hinter deren Rücken das Glück, damit Elena eine standesmässige Verbindung mit einem Adeligen eingeht.
Der Film erzählt die bekannte Mär vom sich entwickelnden Misstrauen gegenüber dem entfernten Geliebten und der zu späten Erkenntnis, falsch gehandelt zu haben. Ihn als Kritik am Klassenbewusstsein dieser Zeit anzusehen, welches politische Entscheidungen über persönliches Glück stellte, wäre übertrieben, denn dafür ist Pellegrinis Film zu harmlos. Auch kann diese Liebesgeschichte kaum als exemplarisch im Zeitkontext angesehen werden, sondern könnte so ähnlich jederzeit vorkommen. Im Gesamtkontext des Episodenfilms kommt "L'amore romantico" ein wenig die Rolle des Türöffners zu, mit dem das Jahrhundert beginnt, ohne dass aus diesem Datum besonderes kritisches Potential geschöpft wird.
2. "Guerra 1915-1918" (Pietro Germi)
Germis Episode ist dagegen von ganz anderem Kaliber, denn er widmet sich der Betrachtung des 1.Weltkrieges aus der Sicht eines kleinen abgelegenen Dorfes. Die Bewohner sind nur wenig informiert und das einzige Anzeichen für die Kriegshandlungen ist ein Zeppelin, der in großer Entfernung am Himmel zu sehen ist. Die wenigen Intellektuellen um den Dorflehrer diskutieren zwar heftig über Taktik und Chancen, aber wirkliche Ahnung haben sie auch nicht.
Entsprechend freudig werden die Einzugsbefehle für die jungen Männer begrüsst, weshalb der junge Antonio (Albino Cocco) enttäuscht reagiert, als er erfährt, dass er noch zu jung ist. Doch ein Jahr später, nachdem er Carmela (Maria-Pia Casilio) geheiratet hatte, die inzwischen ein Kind erwartet, darf er doch in den Krieg ziehen. Germi vermittelt das Bild eines allgemeinen Unwissens, dass eine zunehmende Diskrepanz zwischen Realität und der Vorstellung der Bürger zeichnet. Parallel zu den Ereignissen im Dorf, dass die freudige Geburt eines Sohnes feiert, zeigt der Film die Kämpfe in den Schützengräben und während die Menschen das Ende des Kriegs bejubeln und Carmela ihrem Kind zuruft, dass Papa bald zurück ist, liegt dieser längst tot auf dem Feld.
Auffällig an Germis Inszenierung bleibt deren Leichtigkeit, da er auf melodramatische Momente verzichtet und ausschließlich freudige Ereignisse im Dorf schildert. Die letztliche Konsequenz für Carmela wird im Film nicht gezeigt, sondern entwickelt sich im Auge des Betrachters, der damit die kollektive Täuschung erkennt. Ähnlich wie Rossellinis Episode aus dem 2.Weltkrieg, bleibt die gelungene Mischung aus vordergründiger Lebensfreude und hintergründiger Tragik in Erinnerung.
3. "Dopoguerra" (Mario Chiari)
Vielleicht liegt es an der Besetzung des Komödianten Alberto Sordi als Mussolini-Anhänger, der im schwarzen Hemd nach Rom marschiert, dass dieser Kurzfilm nur wenig doppeldeutig, sondern vor allem albern daher kommt. Das das bewusst von Autor Ettore Scola angestrebt wurde, ist schon an den theaterartigen Kulissen zu erkennen, die keinerlei Realität vermitteln. Diese Künstlichkeit setzt sich im gesamten Film fort, in dem erst Alberto mit Susanna Schluß macht, weil die Liebe romantischer Quatsch sei (im Vergleich zu den Absichten eines Mussolini), bevor er dann schnell dem römischen Nachtleben erliegt, wo er die inzwischen vampartige Susanna wiedertrifft. Wieder in Liebe entflammt, kämpft er um sie, bis beide geläutert in ihr Dorf zurückkehren.
Scola und Chiari zeichnen hier ein Bild des Mussolini-Anhängers, dass zwischen Feigheit, Dummheit und Kleinbürgerlichkeit changiert. Da wird das Hauptquartier angerufen, weil sich den Truppen eine schwarze Katze in den Weg stellt, und der glühende Anhänger Alberto verliert , angesichts der Verlockungen der Grossstadt, schnell seine politischen Absichten. Aus der heutigen Sicht fehlt jegliche entlarvende Komponente, die auch die Gefahr verdeutlicht, die von diesen Horden ausgegangen ist, aber nur wenige Jahre nach Ende des Krieges, war es den Machern wahrscheinlich ein Bedürfnis, einfach nur die Lächerlichkeit hinter deren Verhalten zu entlarven.
4. "Napoli 1943" (Roberto Rossellini)
Rossellini schildert nur einen kurzen Moment des Tagesablaufs während des Krieges in Neapel. Die Sirenen warnen vor einem neuerlichen Bombenangriff und die Menschen strömen von überall her in den Bunker. Dabei lassen sie sich ihre Laune nicht verderben, sondern integrieren dieses Ereignis einfach in ihren Alltag. Die Einen haben noch ihre Kostüme an von der gerade stattfindenen Aufführung im Opernhaus, die Anderen machen Geschäfte, trinken Kaffee oder unterhalten sich einfach. Als es Entwarnung gibt kehren sie an ihren sonstigen Platz zurück, genauso wie sie beim nächsten Angriff wieder in den Bunker gehen.
In dieser Beschreibung erinnert Rossellini an seine neorealistischen Werke, aber er bricht diesen Alltag mit einer Liebesgeschichte. Dem jungen rekonvaleszenten Soldaten Renato (Franco Pastorini) war bei den regelmässigen Besuchen im Bunker die hübsche Schauspielerin Carla (Antonella Lualdi) aufgefallen und er nutzt die Gelegenheit, sie anzusprechen. In der kurzen Zeit des Aufenthalts während des Angriffs erklärt er ihr seine Liebe, die sie nach kurzem Zögern erwidert, worauf sie sich nach der Entwarnung ewige Liebe schwören. So alltäglich der Hintergrund ist, so unwirklich erscheint diese Entwicklung, aber Rossellini ist dabei keineswegs unrealistisch, denn er vermittelt damit die Sehnsucht, aus diesen Verhältnissen auszubrechen. Gleichzeitig holt er die Liebenden auch wieder auf den Boden der Realität zurück, denn im Krieg ist es nicht förderlich, die tatsächlichen Verhältnisse nicht zu akzeptieren.
5. "Girandola 1910" (Antonio Pietrangeli)
Die gemeinsam mit Ettore Scola entwickelte Story hat einen rein komödiantischen Hintergrund und erzählt die Erlebnisse des Arztes Michelangelo (Carlo Campanini), der mit Gefälligkeitsdiagnosen Karriere macht. Nachdem er einmal einem Bordellbesucher empfohlen hatte, aus gesundheitlichen Gründen kürzer zu treten, kommt diesem der Gedanke, dass man damit unliebsame Ehefrauen und Geliebte leicht wieder los wird. Sobald der Herr Doktor der gewünschten Person vermittelt hat, dass es um deren Gesundheit gar nicht gut steht, weshalb von ausschweifenden Tätigkeiten Abstand genommen werden sollte, kann sich der so befreite Lebemann anderweitig umsehen.
Auch wenn Pietrangeli und Scola ein spöttisches Bild einer gehobenen Bürgerschicht vor dem 1.Weltkrieg entwerfen,bleibt der Film nicht mehr als eine gelungene, komödiantische Fingerübung - schnell, unterhaltend, aber inhaltlich belanglos.
Der Gesamteindruck des Episodenfilms ist zwiespältig. Gemeinsam ist allen Folgen ein leichter komödiantischer Charakter, der in den zwei Episoden, die während der Weltkriege spielen, tragisch gebrochen und in der Folge über die Faschisten überhöht wird. Der Beginn mit seinen melodramatischen Anflügen bleibt ebenso im Ungefähren wie der Abschluss. Ein wirklicher Bogen, den der Film spannt ist genausowenig zu erkennen, wie eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem übergeordneten Thema - der Liebe in der ersten Jahrhunderthälfte (6/10).