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Für alle, denen die Blutsaugerinnen von Jean Rollins zu wenig mysteriös und konventionell sind, oder die einfach einen Film sehen wollen, in denen ein Damenschuh das wichtigste Requisit ist, empfiehlt sich dieses vergessene Meisterwerk des französischen Films. Walter (Daniel Mesguich, der so aussieht wie Männer einfach nur in französischen Filmen aussehen) wird in einem Nachtclub, in der er eigentlich nur seine “Bloody Mary” schlürfen will, heftig von einer jungen attraktiv Blondine angemacht. Sie will ihm allerdings weder Name, Telefonnr. noch Adresse verraten. Schließlich wird der junge Mann auch noch ans Telefon gerufen. Es ist seine Chefin. Denn er arbeitet für eine Organisation, über die nichts näheres bekannt wird, als Agent. Die Dame vereinbart einen Treffpunkt, zu dem sie auf einem Motorrad mit wehendem Haar heranbraust, heißt Sara Zeitgeist (!) und beauftragt ihn, so rasch wie möglich einen Brief an den Graf von Corinth zuzustellen. Walter macht sich auf dem Weg, wird aber gestoppt, als auf der Fahrbahn eine verwundete, mit Handschallen gefesselte Frau liegt, der der eine Schuh fehlt. Es ist natürlich die Unbekannt aus dem Nachtclub, deren Name später als Marie-Ange (also Maria Engel!) bekannt wird. Er nimmt die Verletzte zu sich ins Auto und steuert das nächste Haus an. Eine einsame Villa, in der er scheinbar schon erwartet wird. Die Männergesellschaft beginnt anzügliche Gespräche, als ob er das Mädchen als Gefangene zum Verkauf gebracht hätte, um sie “auszubilden”. Das Mädchen stürzt gierig ein Glas, das man ihr reicht, hinunter, das eine rote Flüssigkeit enthält, die mehr nach Blut als nach “Wodka-Tomate” aussieht. Walter insistiert einen Doktor zu sehen. Es erweist sich, daß einer anwesend ist, ein Dr. Morgentodt (!), der beide in ein Zimmer mit Bett führt und einschließt. Es geschieht das Unvermeidliche. Die Dame ist plötzlich entkleidet und die beiden verbringen offenbar eine Liebesnacht. Am nächsten Morgen erwacht Walter mit einer verdächtigen Wunde am Hals. Das Haus hat sich eine Ruine verwandelt und das Mädchen ist verschwunden und für den Rest des Films macht sich Walter auf die Suche nach ihr und der Frage nach ihrem Schicksal. Allerdings wird der Film nun wirklich ungewöhnlich und ich kapituliere vor einer Inhaltsangabe. Nur soviel: neben dem verlorenen Schuh spielt das Bild des surrealistischen Malers Magritte “Die schöne Gefangene”, das einen blutigen Damenschuh am Strand zeigt, einen wichtigen Part. Die traumhaften, surrealistischen Sequenzen werden von Wagners Rheingold-Vorspiel und Schuberts Quartett “Der Tod und das Mädchen” sehr passend untermalt (auch wenn die Wechsel zwischen beiden gelegentlich etwas hart sind und man sich den eingebauten Hinweis auf den Titel des Schubert-Quartetts sparen hätte können). Mesguich ist gewohnt phantastisch und Gabrielle Lazure als Marie-Ange ist wirklich bezaubernd. Die Krönung des Charakterkabinetts ist jedoch der Kommissar, der auch als Nosferatu eine passende Besetzung wäre. Es fällt mir wirklich schwer, über die Atmosphäre und die mysteriösen Bilder des Films viel zu sagen. Für mich gehört er einfach zu den zehn Filmen, die man gesehen haben sollte und immer wieder sehen kann. Warum dennoch nur 9 Punkte? Die visuellen Tricks sind leider nicht wirklich perfekt. Sicher waren die Effekte in den 70er Jahren, die man heute leicht mit Computeranimation bewerkstelligen könnte, eine schwere Aufgabe. Dennoch hätte es bessere Lösungen gegeben, die Magritte-Bilder einzubauen bzw. zum Leben zu erwecken. Das scheinbare Ende, wenn Walter aus seinem Traum erwacht und seine “Chefin” Sara Zeitgeist als Freundin oder Gattin neben ihm im Bett liegt, nur um danach zu erleben, daß der Traum - oder die Wirklichkeit - doch genauso surreal weitergeht, ist ebenfalls wenig originell. Das kann der Faszination dieses Films aber nicht wirklich beeinträchtigen.

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