Review

„Ich hab‘ kein gutes Gefühl, Klaus…“

Die Essener Kriminalkommissare Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) ermitteln im „Tatort: Schweigegeld“ in ihrem achtzehnten Fall, der zugleich ihr vorvorletzter ist. Als Drehbuch niedergeschrieben hat ihn Herbert Lichtenfeld, während Hartmut Griesmayr mit der Inszenierung betraut wurde. Griesmayr hatte bereits beim vorausgegangenen Essener „Tatort: Ein Schuss zuviel“ die Regie geführt. „Schweigegeld“ wurde am 18. November 1975 erstausgestrahlt.

„Der Dieb muss ausgeraubt worden sein!“

Klaus Storck (Dieter Kirchlechner, „Alle Sünden dieser Erde“) beobachtet durchs Fenster einen Einbruch im Haus gegenüber, das sein Schwager Helmuth Klaven (Wolfgang Kieling, „Die Abenteuer des Kardinal Braun“) bewohnt. Er verfolgt den Einbrecher (Helmut Stange, „Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt“), es kommt zu einem kurzen Kampf. Dabei stürzt der Einbrecher derart unglücklich, dass er an Ort und Stelle stirbt. Klaus steckt die Beute ein, geht wieder nach Hause und erzählt seiner Frau Ira (Hannelore Hoger, „Bella Block“) alles. Zudem wundert er sich darüber, dass der Einbrecher vor Verlassen des Tatorts noch ein Telefonat geführt hatte – und dass im Tresor lediglich ein Bündel Geldscheine lag. Als er kurze Zeit später in der Zeitung von vermeintlich gestohlenen Briefmarken liest, vermutet er Versicherungsbetrug. Dabei ist Klaven im Gegensatz zu Klaus bereits sehr vermögend. Da kommt ihm die Idee, seinen Schwager um Schweigegeld zu erpressen – anonym, versteht sich…

Klaus ist eigentlich gar kein Unsympathischer, das ist eher Klaven. Dieser steckt Klaus‘ Ehefrau Ira, also seiner Schwester, gern mal etwas Geld zu – um sie finanziell ein wenig zu unterstützen, wie er sagt. Es wirkt jedoch vielmehr so, als wolle er in diesen Momenten seine Schwester spüren lassen, welchen – aus seiner Sicht – Versager sie geheiratet hat. Dabei ist Klaus zwar arbeitslos, jedoch unverschuldet: Er ist chronisch krank, weshalb all seine Vorstellungsgespräche erfolglos enden. Nun hat Klaus, der gern gegen seinen Schachcomputer spielt, ziemlich freie Sicht aufs Nachbargrundstück, immer wieder beobachtet er die Geschehnisse von gegenüber (was mitunter ein wenig an Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ gemahnt). Gertrud (Liane Hielscher, „Cardillac“), die Frau des Einbrechers, und ihr Bruder Stefan (Erich Ludwig, „Titanic – Nachspiel einer Katastrophe“) machen sich Sorgen um Karl – so der Name des Toten Bauern in Klavens Spiel. Spätestens jetzt wird auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer klar, dass hier etwas nicht stimmt.

Kurz nachdem Haferkamp & Co. den Toten finden, liest Klaus besagte Zeitungsmeldung. Als er von Klavens Zuwendungen an seine Frau erfährt, reift sein Entschluss, den mutmaßlichen Kriminellen mit kriminellen Methoden um ein wenig Geld zu erleichtern. Kommissar Kreutzer ermittelt unterdessen die Identität des Toten und kabbelt sich mit Haferkamp, der gar nicht gut drauf ist, weil seine Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum) einen Unfall erlitten hat und notoperiert werden musste. Dennoch sucht man gemeinsam Gertrud und Stefan auf – u.a. um die Todesnachricht zu überbringen, auf die Gertrud sehr aufgelöst reagiert. Stefan glaubt nun, Klaven habe Einbrecher Karl reingelegt, und will ihn nun ebenfalls erpressen. Nun hat Klaven also mehrere Leute gegen sich und keinen rechten Durchblick, was diesem „Tatort“ stärker zu seinem dramaturgischen Reiz verhilft als die polizeilichen Ermittlungen – wenngleich auch die Frage im Raum steht, wie Haferkamp und Kreutzer dieses Geflecht denn zu entwirren gedenken.

Ihnen gegenüber gibt Klaven zu Protokoll, dass er Stefan für des Einbruchs verdächtig hält – und als Klaus ihn um 200.000 DM erpresst, hält er ihn für Stefan, kommt aber irgendwann darauf, dass es auch Klaus sein könnte, und trickst diesen böse aus. Das ist ein bisschen jeder gegen jeden in einer komplizierten Gemengelage, zu der Haferkamp schließlich dennoch Zugang findet, bis er in ein spektakuläres Finale auf Bahnschienen verwickelt wird. Zuvor war er öfter im Krankenhaus, um Ingrid zu besuchen; für die Einbruchsermittlungen ist eigentlich Kollege Nägel (Holger Hildmann, „Die erste Polka“) zuständig.

Dieser „Tatort“ punktet mit einer gelungenen Charakterzeichnung seiner Figuren und seiner ungewöhnlichen Struktur, in der es keinen klassischen Mörder gibt, man anfangs zusammen mit Klaus rätselt, später aber einen Wissensvorsprung vor der Polizei hat und einer Mischung aus außer Kontrolle geratenem Betrugsversuch und Familiendrama beiwohnt. Immer mal wieder wird das Display des Schachcomputers eingeblendet, dafür verzichtet man aber auf echte Schauwerte. Nervenkitzel oder gar Action sind ebenso Fehlanzeige wie aus der Haut fahrende Soziopathen, stattdessen bewahrt man bis zum Ende - gemessen an den Umständen - die Contenance. Das Erzähltempo ist ein wenig gering, sodass „Schweigegeld“ eher ent- denn anspannt. Dazu passt dann auch die sehr zurückhaltende, leicht melancholische Filmmusik.

So will man seine Krimis heutzutage vermutlich nicht mehr sehen, ein bisschen mehr darf dann schon los sein. Nichtsdestotrotz ist diese Episode passabel gelöst. Freundinnen und Freunde des gediegenen, etwas biederen Fernsehkrimis vergangener Zeiten kommen hier auf ihre Kosten, weil Team und Ensemble daran gelegen war, eine schlüssige Geschichte seriös zu erzählen, nach der man mit stabilem Blutdrucklevel einschlafen kann.

Details
Ähnliche Filme