Review

Wenn man Teenager ist und im Begriff, erwachsen zu werden, rebelliert man! Gegen die Eltern, gegen die Regierung, gegen das System. Man hat Ideale von einer friedlichen Welt, in der es keine Kriege gibt und in der niemand Hunger leiden muss.

Die meisten passen sich später dann sogar an das erst so verhasste System an, sie vertragen sich wieder mit den ignoranten Eltern, studieren vielleicht, heiraten, bekommen Kinder, kaufen ein Haus, müssen zur Finanzierung Karriere machen und sind plötzlich Teil des Systems.

In dem neuen Film von Hans Weingartner („Das weiße Rauschen“) geht es zunächst um drei Jugendliche, den Kopf voll mit Idealen und revolutionären Ideen.
Aber heute ist es gar nicht mehr so leicht, zu rebellieren. Früher reichte es schon, sich lange Haare wachsen zu lassen, zu kiffen und in einer WG zu wohnen, um gegen das Establishment zu demonstrieren. Aber die beiden Jungs Jan (Daniel Brühl, „Goodbye, Lenin!“) und Peter (Stipe Erceg) - natürlich wohnen auch sie in einer WG- haben eine neue Idee entwickelt, wie sie auch heute noch erfolgreich gegen das System rebellieren können: Sie brechen nachts in deren Abwesenheit bei reichen „Bonzen“ ein, aber nicht, um zu klauen, sondern um den angehäuften Luxus zu verstellen. So wandert z. B. die wertvolle Figurensammlung aus der Vitrine auf den Wohnzimmertisch. Und sie hinterlassen den verhassten Reichen einen Zettel mit ihrer Botschaft: Entweder „Sie haben zu viel Geld. Die Erziehungsberechtigten“ oder „Die fetten Jahre sind vorbei“.

Die Freundin von Peter, Jule (Julia Jentsch), ahnt nichts von den nächtlichen Aktivitäten der beiden Jungs, besucht Peter regelmäßig in der WG und hat selbst jede Menge Probleme: Als Verursacherin des Totalschadens eines Mercedes muss sie die Schadenssumme in Raten an den Besitzer des Wagens zurückzahlen. Deshalb ist sie aber mit den Zahlungen der Miete für ihre Wohnung in Rückstand geraten und muss diese binnen zwei Wochen in renoviertem Zustand an den Vermieter übergeben. Zu allem Überfluss muss Peter wegen einer beruflichen Chance ins Ausland. Aber zum Glück ist ja Jan noch da, der Jule bei der Renovierung helfen kann. Natürlich kommt man sich dabei dann auch näher. Und schließlich verrät Jan Jule von seinen nächtlichen Aktivitäten. Jule ist einerseits erschrocken, aber auch begeistert. Gemeinsam fahren sie in ein Villenviertel und als Jule dann per Zufall die Villa des Mercedesfahrers entdeckt, ist sie nicht mehr zu halten: Sie will in die Wohnung ihres Schuldners einbrechen. Aber es kommt wie es kommen muss: Als sie in der Wohnung nach Jules verloren gegangenem Handy suchen, steht der Besitzer (Burghard Klaußner, der in „Goodbye, Lenin!“ noch den Vater von Daniel Brühl spielte) plötzlich in der Wohnung. Im Affekt schlagen sie ihn nieder und nehmen ihn als Geißel ...

Wenn es nach der Länge der Inhaltsangabe von „Die fetten Jahre sind vorbei“ geht, dürfte eigentlich jetzt nicht mehr viel kommen. Aber: weit gefehlt! Denn jetzt fängt ein völlig neuer Film an: Aus dem einfühlsamen Revoluzzerdrama wird ein intensives Kammerspiel mit den Jugendlichen und dem Besitzer von Haus und Mercedes.

Beide Seiten bekommen Gelegenheit, ihre Standpunkte darzustellen, die im Wesentlichen in den ersten beiden Absätzen dieser Review zusammengefasst sind. Jedes Mal wenn der Film den Eindruck macht, sich auf eine Seite zu schlagen, entzieht er sich genau so schnell wieder einer Wertung. Die Wertung überlässt er ganz allein dem Zuschauer. Und die fällt gar nicht so leicht, denn beide Parteien haben gute Argumente.

Man fragt sich schon am Anfang des Films, in welche Richtung sich der Film bewegen wird. Und immer wieder gelingt es den Regisseur, den Zuschauer zu überraschen. Was werden die Jugendlichen mit dem Mercedesfahrer machen? Nähert man sich vielleicht sogar an? Was geschieht mit den Schulden von Jule bei dem Fahrer des Mercedes? Wie wird Peter reagieren, wenn er von Jans und Jules Liebelei erfährt? Können Jan, Jule und Peter überhaupt wieder in ihr altes Leben zurück?

„Die fetten Jahre sind vorbei“ bietet auf der einen Seite ein sehr einfühlsames, stellenweise sehr witziges Portrait der heutigen Jugend, mit ihren Problemen, mit ihren Sorgen, mit ihren Idealen. Alle Hauptdarsteller bekommen viel Raum, ihre schwierigen Charaktere auszuloten.

Auf der anderen Seite wirft der Film grundsätzliche Fragen auf: Ist das System, in dem wir leben, gerecht? Warum müssen in der dritten Welt Millionen von Menschen in Armut leben, während man sich hier im Restaurant darüber beschwert, dass ein Getränk im falschen Glas serviert wird?

Dabei ist der Film immer nah am Geschehen, nah an den Figuren. Das wird sicher auch durch den dokumentarischen Stil des Films erreicht, in dem er erzählt wird: Wackelige Handkamera, immer wieder eingestreute unscharfe Bilder und die Optik einer Videokamera.

Aber „Die fetten Jahre ist vorbei“ ist auch die Geschichte einer Entführung, die vielleicht nicht so spannend ist, wie man das aus anderen Entführungsthrillern kennt, aber das muss und will sie auch gar nicht sein, denn sie ist vor allem eines: Interessant! Dem Zuschauer wird einiges an Aufmerksamkeit abverlangt, aber der Film wird nie unverständlich oder unglaubwürdig.

Das liegt zum einen am hervorragenden Drehbuch, aber zum anderen auch an den großartig agierenden Schauspielern, die das Drehbuch zum großen Teil wohl improvisieren. Es fällt schwer, einen der vier Hauptdarsteller herauszuheben, denn alle spielen auf höchstem Niveau. Wenn es aber sein müsste, würde ich Julia Jentsch in der Rolle der Jule nennen. Selten habe ich in der letzten Zeit eine Schauspielerin so natürlich, so glaubwürdig, so intensiv spielen sehen.

„Die fetten Jahre sind vorbei“ ist nach „Gegen die Wand“ die zweite herausragende deutsche Film-Produktion dieses Jahres. Er bietet eine anspruchsvolle Story, die auf einem intelligenten Drehbuch basiert, das von tollen Darstellern interpretiert wird. Zurecht wurde er auf den Filmfestspielen in Cannes für die Goldene Palme nominiert. Jetzt liegt es an uns, den Zuschauern, den Film durch zahlreiche Besuche zu adeln. Man wird spannend und witzig unterhalten, zum Nachdenken angeregt und vielleicht ändert sich der eine oder andere Zuschauer nach dem Genuss dieses Films. Aber am Ende steht vielleicht auch die Erkenntnis: Manche Menschen ändern sich nie!

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