In My Skin
(I-On New Media)
Manche Filme schaffen es, einem als Zuschauer nicht nur ein ungutes Gefühl zu verschaffen, sondern echten Schmerz zuzufügen. Wenn einem als interessierter, für filmische Experimente offener Zuschauer so was widerfährt, ist dies einer kleinen Offenbarung gleichzusetzen. In My Skin, das Langfilmdebüt der Schauspielerin und Regisseurin Marina de Van (als Regisseurin lieferte sie bisher diverse Kurzfilme, unter anderem den verstörenden Alias, der es als Bonus auf die DVD aus dem Hause I-On New Media geschafft hat. Schauspielerisch zeigte sie sich unter anderem in dem Film Besuch am Meer von Francois Ozon) schafft dieses fast von der ersten Sekunde an. Die auf beruflichem Erfolgskurs schwimmende Esther zieht sich bei einer Party auf einer Baustelle hinter dem Gastgeberhaus eine tiefe Fleischwunde am Bein zu. Sie bemerkt diese Wunde jedoch erst einige Zeit später, als ihr die Blutspur auffällt, die sie hinterlässt. Nun erwacht bei Esther ein manisches Interesse, diese Wunde immer wieder zu öffnen. Erst zögerlich werden diese Versuche immer intensiver, die benutzten Werkzeuge immer größer und schärfer. Dem Zuschauer wird hier nicht viel erspart. Ähnlich den Mitmenschen Esthers bleibt man rat- und fassungslos am Bildschirm hängen, um zu verstehen, was in dieser Frau vorgeht. Ist es eine extreme Variante des Borderline -Syndroms, wo statt Haut zu ritzen ganze Gliedmaßen geöffnet werden, oder ist es das immer wieder angedeutete „nichts empfinden“ und der damit verbundene Wunsch, irgendetwas zu spüren? Alle ihre Freundinnen nehmen Tabletten gegen zu viele Emotionen, sie geht den umgekehrten Weg, und fängt an, sich Schmerzen zuzufügen, wenn sie zu wenige Emotionen hat. Immer wenn Esther merkt, gedanklich abzuschweifen (bei Feiern, Geschäftsessen oder Meetings), werden alle verfügbaren spitzen und scharfen Gegenstände benutzt, dieses Dämmern zu durchdringen (fast kann man die gewagte These der Lebensbejahung durch Schmerzen zwischen den Zeilen lesen). Als ihre Mitmenschen diese Selbstverstümmelung immer massiver kritisieren, wird es in aller Heimlichkeit im angemieteten Hotelzimmer vollzogen. Die Messer, die zur Selbstverstümmelung genutzt werden haben hier ihren phallischen Symbolcharakter verloren, wie er etwa bei Hitchcock oder vor allem Dario Argento genutzt wurde. In My Skin verstört auf ganzer Linie. Handwerklich brillant gefilmt (sehr modern, teils sehr kalt und klinisch fast schon statisch), schauspielerisch sehr intensiv, spielt er in einer ganz hohen Liga, und ist ohne Schwierigkeiten mit einigen Werken von David Cronenberg (Videodrome, Existenz hier zieht sich die Faszination an Blut und Fleisch durch viele der wichtigen Werke des Regisseurs) oder Shinja Tsukamoto (Tetsuo, Haze, und andere Extremwerke) zu vergleichen. Die Veröffentlichung aus dem Hause I-On New Media überzeugt in allen Bereichen. An Bonusmaterial findet man den üblichen Trailer und die Programmschau, dazu ist noch ein Videoclip zum Soundtrack vorhanden, welcher Szenen des Filmes nutzt, die Krönung ist jedoch der eingangs erwähnte Kurzfilm Alias der Regisseurin, welcher schon hier das große Können Marina de Van zeigt.Bild und Ton sind makellos. Wer als Zuschauer also Interesse am bisherigen Werk von Cronenberg oder anderen Filmemachern dieser Art hat, kommt auf keinen Fall an In My Skin vorbei. Der Film verlangt viel von seinen Zuschauern, liefert aber auch eine der interessantesten Charakterstudien der letzten Jahre! Keine leichte Kost, aber eine, die sich definitiv lohnt!
CFS