Review

Setting: Esther (Marina de Van) arbeitet in einer Werbeagentur und bereitet sich auf eine Karriere als internationale Projektleiterin vor. Ihr Freund Vincent (Laurent Lucas) soll eine Imagekampagne für eine große Bank durchführen. Die beiden entscheiden sich in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen.
Problem: Als Esther sich bei einer Party am Bein verletzt, relativ schwer sogar, verspürt sie keinen Schmerz und geht erst spät zum Arzt. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich Esther. Sie spielt oft an der Wunde herum, und fügt sich sogar mit einem Messer am Oberschenkel weitere Wunden zu. Ihr linker Unterarm scheint ein Eigenleben zu führen. Bei einem Geschäftsessen muss der linke Unterarm vom rechten daran gehindert werden den Dr. Seltsam zu machen. Irgendwann liegt dann der Unterarm ohne Verbindung zum Oberarm auf dem Tisch, was aber niemanden wirklich stört. Esther „schraubt“ den Unterarm wieder an und malträtiert ihn mit den Fingernägeln und dem Messer.

Es gibt solche Filme und solche. Manche Filme machen Freude, andere geilen auf, Filme können ängstigen, wiederum andere geben Denkanstöße oder sogar Impulse sein Leben zu ändern. Und dann gibt es noch Filme die nicht schön sind, die das Wohlgefühl des Menschen angehen, und ihn unruhig auf dem Sofa hin- und herrutschen lassen. So ein Film ist IN MY SKIN.

Das Auf-dem-Sofa-hin-und-her-rutschen, das begann bei mir etwa 10 Minuten nach Beginn des Filmes. Zuerst ist es nur die merkwürdige Atmosphäre – warum geht Esther nicht zum Arzt? Warum bemerkt sie die Verletzungen überhaupt erst, nachdem sie ihre eigenen Blutspuren im Bad gesehen hat? Offensichtlich ist ihr Schmerzempfinden ausgeschaltet, aber bereits in diesem frühen Stadium scheint Esther von ihrem Blut, ihrer Haut, ihrem Fleisch fasziniert zu sein.
Eine Faszination, der sie zunehmend alles andere unterordnet. Ich möchte nicht zuviel verraten, aber die Szenen, in denen Esther sich zusammenkauert und ihr eigenes Bein anfängt aufzuessen (während das Bein noch am Körper ist wohlgemerkt), diese Szenen gehen ganz schön unter die Haut … Großaufnahme auf das blutverschmierte Gesicht Esthers, keine Musik, nur das schmatzende Geräusch des Essens, und die zunehmende Gier nach mehr in ihren Augen.

Durch den weitgehenden Verzicht auf Musik sowie die Fokussierung auf die Gesichter der HautHauptdarsteller inszeniert die Regisseurin ein unglaublich dichtes Kammerspiel. Sie macht deutlich wie sehr Esther in ihrer eigenen Welt versinkt. Am deutlichsten wird dies beim Geschäftsessen, wenn der Chef und die Kunden vollkommen idiotischen Smalltalk blubbern („Rom hat ja kulturell überhaupt nichts zu bieten“), während Esther mit ihrem Arm und der Lust auf ihr eigenes Fleisch kämpft und versucht, diesen Kampf unbemerkt zu halten. Aber auch wenn Esther und Vincent am Bankautomaten stehen – Vincent faselt nur von der besichtigten Wohnung und den baulichen Veränderungen, während Esther ihre eigene Haut im Portemonnaie findet und daraufhin einfach wegdriftet. Vincent hat dafür überhaupt kein Verständnis, er scheint sowieso eher auf ihr Geld und ihr Renommee als neue Projektleiterin aus zu sein, und so bekommt er überhaupt nicht mit, dass Esther längst in einer Parallelwelt lebt, in der niemand außer ihr Zugang hat.

Überhaupt die Parallelwelt. Die Darstellung der inneren Welt eines Protagonisten wird filmisch selten so überzeugend dargestellt wie in IN MY SKIN. Längere Zeit zeigt die Kamera einen Splitscreen, und auf beiden Hälften erscheinen nur Details einer selbst-kannibalistischen Aktion. Die Aufspaltung einer Person, die sich in ihrer eigenen Welt verliert. Auch der Vorspann bekommt im Nachhinein somit Sinn – er zeigt Objekte einmal natürlich und einmal als eine Art Negativ. Zwei verschiedene Welten, die miteinander verwandt sind, und sich doch so unterschiedlich anfühlen. Irgendwann im Film zeigt eine Szene ein paar Hochhäuser und eine Lücke zwischen diesen Häusern, allerdings nicht in der Bildmitte. Und es ist klar zu erkennen, dass Esther ihre Mitte längst verloren hat und auf dem Weg an den Rand ist. Und doch scheine ich bei der Szene im Hotelzimmer bei Esther eine Befriedigung zu bemerken. Das Gefühl, das sie an einer Stelle angekommen ist wo sich sie wohl fühlt und mit sich im Reinen ist. Wo sie die oberflächliche Welt, in der ihr Äußeres lebt, einfach aufessen kann und bei sich selbst ankommt.

David Cronenberg’s SPIDER ist mir während des Schauens öfters eingefallen, auch hier wird die Innenwelt eines Menschen durch filmische Mittel gezeigt. Aber auch der „Körperhorror“ eines Shinya Tsukamoto (HAZE, TETSUO) ist nicht weit entfernt, genauso wenig wie IREREVERSIBLE. Wer mit den genannten Filmen etwas anfangen kann sollte auch hier unbedingt hinschauen. Und genauso wie dort ist auch bei IN MY SKIN die Stimmung düster und krank, also nicht für jeden Zuschauer unbedingt zu empfehlen. Aber wer nun bluttriefende Schockmomente erwartet der sei gewarnt: Marina de Van spielt mit der Erwartungshaltung des voyeuristischen Zuschauers, und da sie die ursprüngliche Wunde am Bein kaum einmal richtig zeigt, entstehen Bilder im Kopf, die erheblich unangenehmer sind als die Bilder die auf dem Screen gezeigt werden können.

Direkt nach der Sichtung war ich vor allem von dem verklausulierten Schluss noch etwas enttäuscht, mittlerweile, während ich über den Film nachdenke, fällt mir auf wie geschickt die Szenen konstruiert sind, wie exzellent der Lauf der Handlung gearbeitet ist, und wie sich die Bilder in meine Gehirnwindungen gedübelt haben.

Auf der DVD von I-ON ist auch noch de Vans früherer Kurzfilm ALIAS enthalten. Sicher nicht der Brüller vor dem Herrn, und doch sind hier alle Elemente aus IN MY SKIN bereits enthalten. Der Splitscreen, sehr genial dargestellt durch eine Wand, die einen Flur und ein Zimmer voneinander trennt. Das dumme Geschwätz anderer Menschen, die das Seelenleben ihrer Mitmenschen vollkommen ignorieren (und die Mitmenschen oft noch gleich dazu). Die etwas düstere und irgendwie kranke Atmosphäre. Und wenn am Ende von ALIAS ein Personentausch stattgefunden hat der von niemandem bemerkt wird, weil das Kleid der Person ja immer noch das Gleiche ist, dann ist die Analogie zu dem Geschäftsessen in IN MY SKIN da, und die Faszination dieser Filme wird wieder ein wenig größer.

Großes Kino für sehr dunkle Stunden. Für mich definitiv einer der intensivsten Filme der letzten Monate.

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