„Ich schaff’s nervlich nicht!“
Zwischen der Erstausstrahlung des zweiten Falls, den der Münchner Kriminalhauptkommissar Ludwig Lenz (Helmut Fischer) nach Veigls Pensionierung zu lösen hatte, und seinem dritten, dem „Tatort: Roulette mit 6 Kugeln“, vergingen satte 16 Monate: Dieser von Peter Hemmer geschriebene und von Lutz Büscher inszenierte Fall kam erst am 16. Oktober 1983 ins Fernsehen – und somit nachdem Fischer von einem breiten Publikum mittlerweile vorrangig mit seiner Rolle als Monaco Franze aus der gleichnamigen Serie assoziiert wurde, die im Frühjahr 1983 erstausgestrahlt worden war. Es wurde Büschers nach dem missglückten „Das Mädchen am Klavier“ zweiter und letzter Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe.
„Gibt es irgendetwas, das du mir verschweigst?“
In einem Vorort Münchens wurde der dreijährige Martin Steinemann entführt. Der Entführer verlangt 100.000 DM Lösegeld von Martins Eltern, das sich Vater Arthur (Manfred Zapatka, „Rivalen der Rennbahn“) von seinem Bruder Felix (Edwin Noël, „Die Buddenbrooks“) leiht. Obwohl der Entführer sich das Einschalten der Polizei strikt verbat, wendet sich Arthur an die Polizei – zum Entsetzen seiner hysterischen Frau Ruth (Ilona Grübel, „Die Schwarzwaldklinik“). Die Polizei plant, den Täter bei der Lösegeldübergabe dingfest machen zu können, doch diese traut Arthur sich nicht zu. Stattdessen übernimmt Sonderfahnder Seibold (Henner Dobrick) diese Aufgabe – und wird dabei prompt vom Täter erschossen. Hauptkommissar Lenz‘ Mordkommission, die ursprünglich nur wegen der Mobilisierung aller verfügbaren Einsatzkräfte hinzugezogen worden war, hat nun einen echten Mordfall aufzuklären. Immerhin ist der kleine Martin unversehrt, er wird schlafend in einem Münchner Wirtshaus gefunden. Warum schoss der Entführer? Irgendetwas scheint an diesem Fall faul zu sein und nicht alle sagen die Wahrheit…
„Mein Kollege ist tot.“
Der Entführer veranstaltet die reinste Schnitzeljagd mit der dem Kindsvater und der Polizei; umso überraschender und härter wirkt der tödliche Schuss. Ruth scheint anschließend überrascht, dass ihr Mann nach Hause zurückkehrt – und dieser wiederum hat möglicherweise etwas geahnt…? Die Dramaturgie arbeitet nun verstärkt mit Unausgesprochenem, was seinen Reiz hat, aber auch etwas Konzentration erfordert. Das dafür nötige nuancierte Schauspiel beherrschen Grübel und Zapatka gut. Die klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit fördert anschließend zutage, dass es zwischen Arthur und Felix schon länger Streit ums Haus gibt. Lenz hängt sich an Felix‘ Fersen, findet heraus, dass ein „interessanter“ Vertrag übers Lösegeld abgeschlossen wurde, und stellt psychologische Überlegungen an.
„Man muss nur wissen, was man finden will – dann tut man sich leichter beim Suchen, hm?“
Wer dieser Entwicklung halbwegs aufmerksam folgt, riecht den Braten recht bald; ab einem gewissen Punkt geht es im Prinzip nur noch darum, wie die Polizei den oder die Täter überführt. Nachdem Uschi Koch (Gisela Freudenberg, „Berlin Chamissoplatz“), Ruths attraktive Freundin, unbewusst die letzten Puzzleteile offenbart, spielt dieser „Tatort“ seinem Publikum gegenüber auch konsequent mit offenen Karten. So etwas muss gut gemacht sein, darf nicht langweilen, wenn, wie hier, erst ungefähr die Hälfte der Laufzeit vorbei ist. Hierfür setzt das Drehbuch von nun an verstärkt auf Szenen einer Ehe und man lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer an Arthurs zunehmendem Erkenntnisgewinn teilhaben.
„Das ist so ungeschickt, dass es schon fast wieder schlau ist…“
Und man hat noch ein Ass im Ärmel, das schließlich genüsslich ausgespielt wird: Dass sich Felix und Ruth Lenz gegenüber widersprechen, kommt einer interessanten Wendung gleich, durch die es noch einmal richtig spannend wird. Ruth erweist sich als beinahe klassische, Film-noir-inspirierte Femme fatale innerhalb eines Falls, dessen mörderischer Plan das falsche Opfer forderte und den Tätern aus einer gehobenen gesellschaftlichen Schicht damit letztlich auf die Füße fällt. Das ist alles ansprechend inszeniert und passabel erzählt, zudem sehr stimmig orchestral untermalt. Und wenn es doch mal etwas zu bieder zu werden droht, zaubert man eine interessante Nebenfigur aus dem Hut oder lässt „der ewige Stenz“ Helmut Fischer seinen subtilen Charme spielen. Seltsam nur: Den kleinen Martin sieht man einmal schlafend und dann nie wieder. Wurde das Kind etwa erneut entführt und keiner hat’s bemerkt, weil alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren…?