Review

Mehr als ehrlich

„Ich liebe die Frauen, das ist krankhaft bei mir!“

Nach dem Anschluss der DDR an Staatsgebiet der BRD wurde das DDR-Fernsehen aufgelöst. Dessen Nachfolger wurde der MDR, der nun auch seinen eigenen „Tatort“-Ableger erhielt: Der renommierte DDR-Schauspieler und ehemalige Kabarettist Peter Sodann („Jugend ohne Gott“) schlüpfte in die Rolle des Dresdner Kriminalhauptkommissars Bruno Ehrlicher und bildete zusammen mit seinem Kollegen, dem wesentlich jüngeren Unterkommissar Kain (Bernd Michael Lade, „Karniggels“) das erste ostdeutsche Ermittler-Duo der öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Das Debüt „Ein Fall für Ehrlicher“ wurde vom erfahrenen DDR-Krimiregisseur Hans-Werner Honert (u.a. „Polizeiruf 110“) geschrieben, im Jahre 1991 inszeniert und am 19. Januar 1992 erstausgestrahlt.

„Ich habe 20 Jahre auf Ihrem Stuhl gesessen. Ich begreife Sie. Ob Sie mich begreifen, das weiß ich nicht.“

Der Dresdner Kriminalhauptkommissar Bruno Ehrlicher liegt gerade einem Sexualverbrecher auf der Lauer, als er die Aktion auf einem Schrottplatz bei Starkregen abbrechen muss. Zunächst scheint es ins Bild zu passen, dass die Jugendliche Katja Beck (Claudia Stanislau, „Trutz“) plötzlich spurlos verschwunden ist – ausgerechnet kurz bevor ihre Mutter Anne (Rita Feldmeier, „Liane“) den Polen Daniel Tuskiewitsch (Aleksander Trabczynski, „Korczak“) ehelichen will. Pikanterweise hielt sich Katja kurz vor ihrem Verschwinden in dessen Bootshaus auf…

„Das gab's schon öfter im Kino...“

Die eröffnende verdeckte Ermittlung, für die Ehrlicher eine Kollegin als Prostituierte verkleidet ausgerechnet auf einem Schrottplatz dem Starkregen aussetzt, wirkt etwas befremdlich, doch im weiteren Verlauf entpuppt sich Ehrlicher als der Typ besonnener Denker, ein bescheidener Pragmatiker im Knittermantel und mit Ledertasche, menschlich zudem, mehr oder weniger ein einfacher Mann wie du (sofern du ein einfacher Mann bist) und ich. Seine Frau (Monika Pietsch, „Die Schauspielerin“) betreibt eine Kneipe neben dem Blauen Wunder, Dresdens bekanntester Elbbrücke, und mit seinem Sohn (Thomas Rudnick, „Der Bruch“) liegt er im Clinch, weil dieser die Veranda radikal renovieren will. Alles muss neu in dieser Nachwendezeit, und vielleicht hadert Ehrlicher damit nicht nur in Bezug auf seine Veranda ein bisschen. Als ehemaliger Volkspolizist der DDR muss er gegenüber dem Münchener Kommissar im Ruhestand Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer), der ihm nach der Bundesrepublikanisierung als Dienststellenleiter vor die Nase gesetzt wurde, Rechenschaft ablegen, soll er doch lernen, wie die Verbrecherjagd in der BRD funktioniert. Eine kleine Demütigung, entsprechend leicht trotzig reagiert er auf leicht arrogante Belehrungen Veigls, der vor seinem Ruhestand als langjähriger Münchner „Tatort“-Kommissar in Erscheinung getreten war.

„Es kotzt einen alles an!“

Die Gespräche zwischen den beiden nutzt Autor und Regisseur Honert aber nicht etwa für Krawall, sondern für einen letztlich konstruktiven Ost-West-Austausch. Mit dieser Konstellation greift er ein Stück deutsch-deutsche, damals neue Realität auf, ebenso mit den Bildern der zahlreichen Baustellen in Dresden. Auch das karge Polizeirevier sieht noch aus wie eine. Auf einer Infotafel wurde aus „VP-Amt“ durch einen weißen Aufkleber kurzerhand „P-Amt“. Auf den Straßen sind noch zahlreiche DDR-Karossen unterwegs; ganz so, wie es damals eben war. Dazu zählt auch die grassierende Ausländerfeindlichkeit, die der polnische Bräutigam und Tatverdächtige zu spüren bekommt. „Ein Fall für Ehrlicher“ fängt Zeitgeschichte ein. Zugleich will er aber auch ein Kriminalfall sein. Ist aber eigentlich gar keiner, vielmehr mäandert er irgendwo zwischen Zeitgeist- und Gesellschaftsporträt, Sozialdrama und Familientragödie.

„Das Recht ist für alle.“

Nach der Eröffnungssequenz auf dem Schrottplatz lernen wir Katja kennen, eine optisch äußerst erfreuliche Erscheinung, die ihren Stiefvater in spe im Bootshaus besucht und sich direkt die regennassen Kleider vom Leib reißt, um ihn splitterfasernackt zu verführen zu versuchen. Von Letzterem bekommen wir nicht wirklich etwas mit; ihr Auftritt beschert diesem Ost-„Tatort“ jedoch eine über FKK-Klischees hinausgehende Erotiknote, womit er sein Publikum erst einmal am Haken hat. Was mit Katja geschehen ist, ist die große Frage, die anschließend im Raum steht. Das Brautpaar rätselt und die Polizei ermittelt, befragt u.a. einen irren Vergewaltiger, den sie gerade gefasst hat. Parallel dazu hören wir ausländerfeindliches Gebrüll von einer der vielen Baustellen – es ist die, auf der Tuskiewitsch arbeitet, und es gilt ihm. Ungefähr zu Hälfte stellt sich heraus, dass er, mittlerweile verhaftet, eine gemeinsame Nacht mit Katja hatte. Plötzlich steht ein Vergewaltigungsvorwurf im Raum, den der Parolenpöbler erhebt, welcher sich zudem als Katjas Freund Uli (Volker Ranisch, „Heute sterben immer nur die andern“) vorstellt.

Wirklich schlau wird man aus alldem lange Zeit nicht, erhält durch die jüngsten Entwicklungen aber zumindest Anhaltspunkte. Zudem taucht in der zweiten Hälfte auch noch Katjas Vater (Detlef Heintze, „Die Reise nach Sundevit“) auf, der auf Wendegewinner macht und damit zu einem weiteren Exponat dieses (im positiven Sinne) Nachwendezeit-Museums wird. Einen Toten gibt es die meiste gar nicht, doch dann plötzlich gleich zwei an der Zahl. Eine Rückblende am Ende zeigt, was passiert ist – und verdeutlicht, auch ohne dass es ausgesprochen werden würde, dass die Polizei in diesem „Fall“ im Prinzip völlig nutzlos ist.

Ob dieser Umstand die Ohnmacht ehemaliger DDR-Ordnungshüter ob des für sie neuen Chaos andeuten soll, sei dahingestellt. So oder so ist „Ein Fall für Ehrlicher“ eine etwas arg melodramatische Angelegenheit geworden, worauf die musikalische Untermalung mit ihrer prägnanten, minimalistischen Flötenmelodie und dem melancholischen Klaviergeklimper eventuell bereits von Beginn an hindeutete. Die Opfer können einem leidtun und ebenso Ehrlicher, der als sympathische neue Kommissarsfigur zurückgenommen und famos zugleich vom noch viel sympathischeren Peter Sodann verkörpert wird. Willkommen im „Tatort“, Ehrlicher, und willkommen im tiefsten Ostdeutschland, verehrtes Publikum!

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