„Aids hat er gesagt ist in der Spritze!“
Regisseur Oliver Hirschbiegels („Mörderische Entscheidung“) erster von bis jetzt drei Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe ist der von Peter Zingler geschriebene „Kinderspiel“, der fünfte von insgesamt neun Fällen des Wiener Inspektors Michael Fichtl (Michael Janisch). Die Erstausstrahlung erfolgte am 16. August 1992.
„Bist du wahnsinnig?!“
Eine skrupellose Bande ausländischer Kinder begeht zahlreiche Diebstähle, die noch skrupelloseren Hintermänner kassieren ab. Nachdem US- Kriminologe Mr. Haller (Steve Barton) vor dem Nationalkongress einen Vortrag über Jugendkriminalität gehalten hat und zusammen mit den Wiener Inspektoren Fichtl und Kern (Sylvia Haider, „Totstellen“), Fichtls neuer Assistentin, den Prater besucht, treibt die Bande auch dort ihr Unwesen. Jedoch gerät sie ausgerechnet an die wehrhafte Kern, die daraufhin von Istvan (Shanel Philipp), einem Mitglied der Bande, mit einer Spritze gestochen wird – angeblich mit dem HI-Virus verseucht. Einen der Jungen, Mirko (Basgun Cetin), können sie festhalten, die anderen entkommen u.a. mit Kerns Dienstwaffe. Kern sorgt sich um ihre Gesundheit und versucht, den Spritzenstecher ausfindig zu machen. Gleichzeitig versucht die Wiener Polizei, der Bande den Garaus zu machen und der Hintermänner habhaft zu werden…
„Hast du Kabelfernsehen?“
In diesem „Tatort“ kommt einiges an gesellschaftlichen Themen zusammen: Zum einen perfide organisierte Ausländerkriminalität, zum anderen das Thema HIV und Aids in einer Mischung aus respektvollem Ernstnehmen der damals die Mitte der Gesellschaft erreicht habenden Infektionsgefahr und schierer Angst vor derselben. Und dann ist da noch Inspektor Adolf Hollocher (Michael Bukowsky), der ein Baby an der Backe hat, dessen Mutter (Michaela Pilss, „Familie Merian“) ebenfalls beruflich eingespannt ist – in diesen Nebenhandlungsdetails geht es um die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hauptthema ist aber die Bande, die von Hintermännern ausgebeutet wird und deren Mitglieder kurzerhand ausgetauscht werden, wenn sie nicht spuren. Szenen außerhalb der polizeilichen Ermittlungsarbeit zeigen die Jungs untereinander und lassen sie mit ihren Sorgen und Träumen menschlich erscheinen. Sie erhalten individuelle Charaktereigenschaften und Kontur.
US-Amerikaner Haller geht rabiat vor und droht mit Folter, während die sich um ihre Gesundheit sorgende Kern auf eigene Faust ermittelt und dafür die Hilfe eines Informanten in Anspruch nimmt: des Kleinkriminellen Fredi Pöckl, gespielt vom Drehbuchautor dieser Episode. Wir erfahren, dass die Bande (von der ein Mitglied ein Guns-N’-Roses-Shirt trägt) auch Wohnungseinbrüche begeht, was die Furcht der Zuschauerschaft vor derartigen Umtrieben zusätzlich schürt. Als einer der Jungs in die eigene Tasche wirtschaften will, wird er erwischt und daraufhin abtrünnig – eine Chance für die Polizei. Kern schnappt ihn sich und quetscht ihn aus, gewinnt mit der Zeit aber auch sein Vertrauen. Ohne, dass es ausgesprochen würde, kann dies als Statement für einen weniger rabiaten Umgang mit den minderjährigen Bandenmitgliedern und als Absage an Hallers Rambo-Methoden verstanden werden.
Pikant ist’s auch, dass der Polizeivorgesetzte, Hofrat Dr. Putner (Gerhard Dorfer) ein Parteifreund des rechtspopulistischen Ostjek (Jed Curtis, „Die Abenteuer des Kardinal Braun“) ist, der wiederum in die Bande verwickelt ist. In Zeiten grassierender Ausländerfeindlichkeit eine bemerkenswerte Aussage. Einige Szenen finden in einer furchtbar ungemütlichen Kneipe statt und nicht nur das Ende ist übertrieben auf spektakulär getrimmt, aber dennoch nicht schlecht gemacht. Überraschend sind u.a. die hervorragenden Deutschkenntnisse der Jungs und des dämlichen Amis. In Sachen Sozialrealismus ist hier also einige Luft nach oben; zudem wirkt „Kinderspiel“ etwas überfrachtet und umständlich erzählt, scheint das Herz aber am rechten (nicht politisch gemeint) Fleck zu haben. Schön auch das Dead-Kennedys-Graffito im Waisenhaus.
Man versucht offenbar, einen Blick hinter die so gern rechtspopulistisch ausgeschlachtete Ausländerkriminalität zu werfen und gibt den strammen Einheimischen dabei kräftig einen mit, schreckt dafür aber auch vor einer überkonstruierten Handlung nicht zurück. Aber die authentisch wirkenden Jungmimen wissen zu überzeugen und die Kern macht fast Lust, sich weitere Wiener „Tatorte“ anzusehen.