IL DIO SERPENTE ist ein Film, der mich überraschte. Eine italienische Produktion von 1970, die hier mit den Schlagwörtern Horror und Erotik kategorisiert wird: das lässt einen natürlich sofort einen typisch schmuddeligen Softpornostreifen vermuten, vor allem, wenn man sich grob über den Inhalt informiert hat. Rein optisch erinnert IL DIO SERPENTE freilich an all die Produktionen, die Joe D’Amato etwa zehn Jahre später in der Karibik inszenierte, wo auch Piero Vivarelli den vorliegenden Film drehte. Allerdings trennen IL DIO SERPENTE Welten von Machwerken wie PORNO HOLOCAUST oder HARD SENSATION. Der Film hat weder besonders viel, was das Horror-Label verdienen würde (selbst wenn in einer Dialogszene die Sprache auf Zombies kommt, was natürlich ebenso an die filmischen Ergüsse des guten Aristide denken lässt, bleiben die Untoten hier alle schön in ihren Gräbern) noch würde ich ihn als reinen Sexfilm der damaligen Ära bezeichnen, schon gar nicht als Softporno.
Wie schon gesagt: IL DIO SERPENTE verschlägt seine Heldin Paola mitsamt ihres wesentlich älteren Ehemanns in die Karibik, was Anlass zu einigen wunderschönen Landschaftsaufnahmen gibt, die man sich für sein eigenes privates Urlaubsvideo wünschen würde. Paola und ihr Gatte verbringen ihren Urlaub auf einer klassischen Insel, die alles hat, was man sich als hübsche junge Frau wünscht: gelbe Sandstrände, einen hellblauen Ozean und viele kolorierte Schönlinge. Es dauert nicht lange und Paola lernt Stella kennen, die dort heimisch ist und sie in die Geheimnisse der exotischen Inselwelt einführt, während Paola sie mit ihrem westlichen Lebensstil vertraut macht. So gehen die Frauen gemeinsam shoppen und Stella klagt über die Umweltzerstörung, die der Einbruch der Zivilisation in die unberührte Natur verursacht. Schnell ist Paola aber vor allem von dem Mystizismus fasziniert, der Stella umgibt. Immer öfter spricht sie von einem Gott der Liebe, der in Gestalt einer Schlange erscheine, und nimmt sie zu einem Voodoo-Ritual mit, aus dem Paolo verändert herauskommt. Sie hat plötzlich Visionen, in denen ihr ein dunkelhäutiger Mann erscheint, mit dem sie leidenschaftlichen Sex hat, und lässt sich von Stella immer tiefer in den Strudel aus Magie und Erotik hineinziehen…
Die Story von IL DIO SERPENTE gibt wirklich nicht viel her und man muss sich schon auf wenige Sätze beschränken, wenn man sie beschreiben will, ohne zu verraten, in welche Richtung sie sich entwickeln wird. Doch auch wenn der Film für sein Drehbuch keinen besonderen Applaus verdient, gebührt er ihm für die Atmosphäre umso mehr. IL DIO SERPENTE will nicht unbedingt eine Geschichte erzählen (und falls doch, ist er darin gescheitert), sondern eine gewisse Stimmung hervorrufen, eine Mischung aus sonniger Leichtigkeit und lustvollem Schauer, und das gelingt ihm vor allem über seine Bilder. Der Höhepunkt ist sicherlich die Voodoorzeremonie, an der Paola und Stella teilnehmen. Sie dauert mindestens zehn Minuten, in denen kein einziges Wort gesprochen wird, dafür erklingen Trommelrhythmen, die sich zu immer größerer Lautstärke und Heftigkeit steigern, und darin den Frauen gleichen, die zunächst ruhig zu tanzen anfangen und dann immer ekstatischer werden, sich schlussendlich in Krämpfen und geilem Stöhnen im Sand winden, als würden sie es mit der Luft, die sie umgibt, treiben. Rein atmosphärisch ist dieses Ritual, das unheimlich und leise beginnt und sich zu einem Inferno entwickelt, mehr als gelungen. Und dass darin auch eine grausige Szene zu sehen ist, in der einer Ziege bei lebendigem Leibe der Kopf abgeschnitten wird, trägt durch den Schock noch zusätzlich dazu bei, dass man die Szene wie einen Fiebertraum erlebt. Überhaupt gefällt sich der Film darin, immer mal wieder Szenen einzustreuen, die über ihre beschwörerischen Trommelklänge funktionieren, und eigentlich nur tanzende Eingeborene zeigen, oder Paola, die sich in einer ihrer Sexvisionen wiederfindet. IL DIO SERPENTE wird gerade dort meisterhaft, wo er seine hauchdünne, teilweise unsinnige Story vergisst und sich auf seine Bilder verlässt. Zu erwähnen sei hier auch eine recht gruslige Autofahrt in ein Sumpfgebiet hinaus, bei der Paola eine unheimliche Greisin als Beifahrerin neben sich sitzen hat.
Im Kontrast dazu steht die Musik, die sonst vornehmlich erklingt. Besser kann Easy-Listening eigentlich nicht werden. Karibische Rhythmen (oder das, was die italienischen Komponisten dafür hielten) untermalen Szenen, in denen die bildhübsche Hauptdarstellerin Nadia Cassini die Insel erkundet, das alles außerordentlich catchy und tanzbar. Überrascht war ich auch darüber wie zahm der Film sich in Punkto Sex gibt. Reine Sexszenen sind sowieso äußerst selten und wenn, dann werden sie nur kurz angedeutet. Das alles reicht nicht mal aus, um das Ganze einen Sexporno nennen zu können. Selbst die Brüste von Nadia Cassini sind immer nur kurz zu sehen. Falls dann aber doch mal die Hüllen fallen wie in einer langen Traumsequenz, in der Paola vom Schlangengott in Gestalt eines Jünglings verführt wird, geschieht das so ästhetisch und geschmackvoll, dass es das meisten in den Schatten stellt, was ich sonst an italienischen Sexfilmchen jener Zeit kenne.
Was dem Film aber schlussendlich doch das Genick bricht, ist sein Mangel an Höhepunkten. Wenn die lange Voodoosequenz vorbei ist, hat sich das Potential im Grunde erschöpft, und später folgt nur manche Einzelszene, die aus dem Rest heraus sticht. Vor allem in seiner letzten halben Stunde verfällt IL DIO SERPENTE in eine relativ uninteressante Liebesgeschichte, die vor sich hinplätschert, ohne nennenswerte Tiefpunkte, ohne nennenswerte Höhepunkte, und auch das simple Ende, das man schon lange vorausahnen kann, enttäuschte mich. Nichtsdestotrotz ist Vivarellis Mär vom Schlangenliebesgott für jeden Freund des italienischen Kinos einen Blick wert, vor allem, wenn er eben nicht erwartet, hier einen typischen Sexploitation-Streifen serviert zu bekommen. Das vielfach erwähnte Voodooritual reißt einiges heraus und der Soundtrack schmeckt größtenteils nach Sangria und Sonnenschein und versprüht nostalgisches 70er Flair. Und für die Männer mag schon Nadia Cassini Grund genug sein, eine Kopie des seltenen Streifens aufzutreiben.