„Chariots of Fur“ ist der (vorläufig?) vorletzte Road-Runner-vs.-Coyote-Film. Aber er hat alles, was wir von diesem Duell seit Jahrzehnten zu erwarten haben. Kein Wunder – denn wieder zeichnete Cartoon-Legende Chuck Jones verantwortlich, der schon 1949 beim ersten Road-Runner-Film Regie führte.
Der Film hat wie immer nur zwei Protagonisten – den Road Runner und Wile E. Coyote. Und wie immer ist der Film an eine Tierdoku angelehnt: Am Anfang erscheinen pseudolateinische Gattungsbezeichnungen der beiden. Der Road Runner ist ein Rennvogel, der den ganzen Tag offenbar nichts anderes zu tun hat, als in der Gegend herumzurennen – mit einer Geschwindigkeit, die jeden Formel-1-Fahrer vor Neid erblassen ließe. Der Kojote als sein Gegenspieler kommt da nicht mit. Er probiert trotzdem alles, den Vogel zu fangen. Dazu hat er nur zwei Möglichkeiten: Entweder er beschleunigt sich auf dieselbe Geschwindigkeit mittels Basteleien aller Art oder er stellt mehr oder minder trickreiche Fallen, die den Road Runner zum Stoppen zwingen sollen. Aber egal, was er probiert – es geht daneben. Und wie!
Das alles spielt in einer äußerst kargen Gegend, Arizona etwa, mit steilen Berghängen, tiefen Schluchten, weit und breit nur Felsen, Sand und Kakteen. Nur ganz selten tauchen andere Tiere in den Filmen auf, in „Chariots of Fur“ ist es eine mies gelaunte Riesenmaus. Und manchmal –natürlich nur dann, wenn es mehr als ungünstig für den Kojoten ist– braust wie aus dem Nichts ein Zug oder ein Truck durch die Landschaft. Beide Darsteller sprechen nicht während des Cartoons, wissen aber um die Kamera, in die vor allem der Kojote immer mal wieder schaut. Die simple Moral der simplen Fabel ist stets: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
Diese Reduktion der Filmumgebung und Grundhandlung auf das Notwendigste lässt die jeweiligen Tricks des Kojoten umso einfallsreicher und witziger erscheinen. In „Chariots of Fur“ hantiert er unter anderem mit einer ausrollbaren Straße, einem Kaktuskostüm und kleinen Blitzen zum Werfen. Übrigens besorgt er sich die Sachen stets von der berühmt-berüchtigten Firma Acme, obwohl sie im entscheidenden Augenblick nie funktionieren. Das ist ohnehin ein weiteres Merkmal neben dem vorherrschenden Slapstick, der stets mit voller Wucht den Kojoten trifft: die herrliche Absurdität des Ganzen. Cartoon-typisch sind selbstverständlich die physikalischen und medizinischen Gesetze komplett auf den Kopf gestellt, klar. Was es hier alles an morbiden Ereignissen und vor allem saukomischen Kettenreaktionen gibt, kann wahnwitziger nicht sein. Aber daneben gibt’s auch Szenen wie die, wo der Kojote, als der gespannte Flitzebogen nicht im richtigen Moment losgeht, auf einmal beginnt, darauf wie auf einer Harfe zu spielen. Oder an anderer Stelle hält er ein Schild in die Kamera, worauf er fragt, was er denn da eigentlich tue…
Ganz abgesehen von der Frage, warum er sich eigentlich überhaupt immer wieder neue, sicher nicht ganz billige Gerätschaften besorgt, um einen dürren, superschnellen Vogel zu fangen, anstatt sich einfach bequem ein ordentliches Stück Fleisch zu holen. Etwa deswegen, weil -pathetisch gefragt- das Böse bis zum Erreichen des Ziels, wie fernliegend es auch sein mag, nie aufgibt – obwohl das Gute am Schluss doch immer gewinnt? Oder ganz einfach weil der Kojote wie so viele Menschen ist: von seinen eigenen Fähigkeiten und Zielen überzeugt und tatsächlich recht einfallsreich, aber dann doch immer wieder sehenden Auges an Murphys Gesetz scheiternd?
Überhaupt ist keiner der beiden Darsteller unsympathisch: der süße Road Runner auf der einen Seite, der nur ganz selten selbst aktiv wird, um sich gegen den Kojoten zu wehren, stets mit einem „Beep! Beep!“ auf dem Schnabel. Und auf der anderen Seite eben der fast schon bemitleidenswerte Unglückskojote. Wenn man das mal mit anderen stark enervierenden Warner-Cartoonfiguren vergleicht, wie dem schnöseligen Bugs Bunny oder gar dem neunmalklugen Vogelblag Tweety, dem man nur die postnatale Abtreibung wünschen kann!
Aus diesen Gründen ist die Reihe der Road-Runner-Filme für mich die beste Slapstick-Cartoonserie aller Zeiten – nicht obwohl, sondern weil es im Prinzip immer das Gleiche ist. „Chariots of Fur“ (Was dieser Titel wohl mit dem Film zu tun haben mag…?) ist dabei noch nicht einmal der beste der Filme, obgleich man hier wie immer durchgehend laut lachen kann. Selbst Tom und Jerry in ihren besten Zeiten kommen da nicht ran.
8 von 10 Punkten.