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SWASTIKA, wohl eine der kontroversesten Dokumentation der 70er, beginnt mit einer Texttafel, die eigentlich jegliche Kontroversen im Keim hätte ersticken müssen, da sie relativ deutlich klarmacht, was das Anliegen der Filmemacher Philippe Mora und Lutz Becker bei der Realisierung des Werks war: If the human features of Hitler are lacking in the image of him that is passed on to posterity, if he is dehumanised and shown only as devil, any future Hitler may not be recognised, simply because he is a human being. 

Die Ambitionen von SWASTIKA sind hoch, der Aufwand, der von den beiden Regisseuren betrieben wurde, immens. Durch unzählige Archive voller Filmmaterial der Nazidiktatur wühlten sie sich, um das Material für die eineinhalb Stunden zusammenzustellen, die SWASTIKA dauert. Der Film besteht ausschließlich aus Originalaufnahmen, die zwischen 1933 und 1945 entstanden. Ein erklärender Kommentar fehlt völlig. Tatsächlich ist die Texttafel zu Beginn das einzige Mal, in dem die Regisseure sich selbst zu Wort melden und so etwas wie einen Hinweis darauf abgeben wie sie ihr Werk verstanden wissen wollen. Wie Anthropologen haben Becker und Mora sich den Filmaufnahmen angenommen und sie zusammengefügt, um nicht etwa die Geschichte des Dritten Reichs zu erzählen, sondern die Stimmung wiederzugeben, die damals in Deutschland herrschte, von den euphorischen Anfangstagen bis zu den rauchenden Ruinen des Untergangs. 

Fast alles, was der Zuschauer in SWASTIKA zu sehen bekommt, sind inszenierte Filmdokumente, Ausschnitte aus Wochenschauberichten oder Propagandafilmen, von den Nazis abgesegnet oder bewusst manipuliert, um den Kinobesuchern ein ideologisch eingefärbtes Bild der Wirklichkeit zu vermitteln. Die Eingriffe der Regisseure finden sich auf der Tonspur oder in der Art und Weise wie sie gewisse Bilder miteinander kombinieren. Teilweise haben sie den Ton bei manchem Wochenschaubericht abgestellt, um den Zuschauer das Wesentlich sehen zu lassen. Andere Aufnahmen, die ursprünglich stumm waren, sind mit Musik oder Geräuschkulissen unterlegt worden. In gewisser Weise erklärt (und entlarvt) das Dritte Reich sich in SWASTIKA selbst über die Bilder, die in ihm produziert wurden. Diese Bilder sind meist Masken, Verschleierungen. Becker und Mora lüften nun die Schleier, blicken hinter die Maske, indem sie die Bilder aus ihrem Kontext lösen und in einen neuen setzen. 

Das allein wäre noch keine Kontroverse wert, doch das Herzstück von SWASTIKA bilden ganz andere Aufnahmen, nämlich die Homevideos, die Eva Braun während ihrer Zeit auf dem Obersalzberg schoss, und die von Mora und Becker bei ihren Recherchen in einem Archiv in Washington aufgespürt wurden. SWASTIKA ist somit der erste Film, der mit diesen bis dahin unbekannten Privataufnahmen arbeitet. Diese Homevideos sind nicht nur in Farbe gedreht (für die Zeit ungewöhnlich und vor allem für das Publikum der frühen 70er, das bis dahin an das Dritte Reich nur in distanziertem Schwarzweiß dachte), sondern offenbaren zudem auch Einblicke in den Privatzirkel um Hitler in dessen idyllischer, von der Welt abgeschiedenen Bergresidenz. Eva Brauns Kamera befindet sich mitten unter den Besuchern, mitten in Kaffeekränzchen, banalen Plaudereien, filmt Hitler beim Herumtollen mit seinem Schäferhund oder wie er mit Kindern seiner engsten Vertrauten spielt. Sicher sind sich Hitler und seine Vertrauten jeden Moment bewusst, dass gerade eine Kamera läuft und daher nicht völlig ungehemmt, privater als in diesen Aufnahmen wird man sie allerdings nie zu sehen bekommen. In den frühen 70ern hatte den ehemaligen Führer der Deutschen in dieser Weise kaum jemand zu Gesicht gekriegt, und so lässt sich leicht der Skandal nachvollziehen, der SWASTIKA begleitete. 

SWASTIKA ist ein Film für ein intelligentes Publikum, der selten wertet und bewertet. Nicht so wie in den meisten Historiendokumentationen wird dem Zuschauer kein vorgefertigtes Bild vorgesetzt, sondern an seinen Verstand appelliert. Nie weisen Mora und Becker explizit darauf hin, dass Hitler alles andere als ein Sympathieträger ist. Höchstens in einigen wenigen Montagen verlassen sie das sachliche Terrain und werden eindeutiger, wenn sie Szenen, die Hitler beim Hätscheln von deutschen Mädels zeigen, mit denen von halb verhungerten Kindern in irgendeinem Ghetto in Kontrast setzen. Ansonsten verhält sich SWASTIKA ganz gemäß des Anthropologenblicks, der forscht und nicht beurteilt. Wie eine fremde Kultur untersuchen die Regisseure das Dritte Reich auf Distanz und rufen gerade dadurch einen ungemeinen emotionalen Gehalt hervor. 

Rein ästhetisch erinnert SWASTIKA wohl nicht zufällig an die pompösen Propagandafilme einer Riefenstahl. Prunk wird aufgefahren, Massendemonstrationen, jubelnde Mengen, die sich ihrem Führer entgegendrängen wie Besucher eines Rockkonzerts, pathetische Lobgesänge auf das Deutschtum, die Baupläne, die Berlin zur Weltmetropole umgestalten sollten. Ruhepol sind hier die Aufnahmen Eva Brauns. Eva Braun lässt sich selbst filmen wie sie mit einem weißen Kaninchen im Unschuldsmantel schmust. Hitler genießt auf der Terrasse den Ausblick auf die imposante Berglandschaft. Albert Speer und Martin Bormann werden zum Essen erwartet. Ursprünglich sind diese Aufnahmen stumm, doch Mora und Becker scheuten keine Mühe, engagierten Taubstumme, die die Lippen der Gefilmten ablasen, und fügten dem Filmmaterial nachträgliche Synchronstimmen und englische Untertitel hinzu, die verständlich werden lassen, welcher Small Talk in der unmittelbaren Nähe Hitlers betrieben wurde. 

Auch an anderer Stelle wird die Intention der Filmemacher deutlich. Zu Propagandazwecken wurde die alljährliche Gedenkfeier für die Gefallenen des Hitlerputschs gefilmt. Hitler läuft die Reihen der trauernden Angehörigen entlang, schüttelt Hände, nimmt Glückwünsche entgegen. Ein junges Mädchen ist völlig in Tränen aufgelöst. Hitler streicht ihr zweimal liebevoll tröstend über die linke Wange. Gerade in dieser Szene wird es verständlich, weshalb der Film 1973 teilweise als Pro-Nazi-Werk verurteilt wurde. Eine solche Emotion, eine Emotion, die die eigene in solch einer Situation wäre, eine menschliche Emotion, traut keiner dem personifizierten Bösen zu, das Hitler damals noch in vielen Köpfen darstellte. In dieser Szene nähert sich der Betrachter unweigerlich Hitler an, weil er mit ihm etwas gemeinsam hat: die intuitive Gefühlsregung, das weinende Mädchen zu trösten. Solche Aufnahmen, die Hitler eben nicht als stilisierte Ikone oder glorifizierte Führerfigur transportieren, sondern seine menschliche Seite durchschimmern lassen, zerstören die Illusion, dass ein Hitler nicht in jedem von uns stecken könnte. 

Vorwerfen kann man SWASTIKA nicht viel, höchstens dass der Film stellenweise zu viel auf einmal will, und seine Laufzeit zu kurz geraten ist, um all die Themen abzudecken, die er aufwirft. Es geht eben nicht nur um Hitler und die Banalität des Bösen. Es geht auch um die gesamte Gesellschaft in Nazideutschland. Es geht um die Olympischen Spiele 1936 und einen Jesse Ownes, der voller Begeisterung in eine Kamera davon spricht wie großartig und gastfreundlich er Deutschland fände. Es geht um die Jugend, die von Kindesbeinen an auf die Ideologie getrimmt wurde, die sie später im Krieg verteidigen sollte. Es geht um Leichenberge, die mit Traktoren in Gruben geschoben werden, da die Zeit und der Platz nicht ausreichen, um jedem ausgemergelten Körper ein eigenes Grab zu schaufeln. Es geht um die Art und Weise wie in Nazideutschland Filmpropaganda betrieben wurde. Es geht um den heutigen Blick auf die Vergangenheit, und der Bruch mit bisherigen Sichtweisen. Quasi jede Szene in SWASTIKA hat irgendeine Bedeutung, irgendeine konkrete Aussage, die jeder selbst unter der Oberfläche finden muss. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen ist SWASTIKA mehr als empfehlenswert.

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