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Han Byung-tae ist der Neue, ein Stadtkind, so arrogant und versnobt wie es nur geht – mit elf, zwölf Jahren. Han Byung-tae hasst es, in dieser Landschule zu sein. Sein Status, die gute Schule, die er in Seoul besucht hat, das ist hier gar nichts wert. Er weiß sich nicht anders zu helfen, als seinen Mitschülern zu signalisieren, dass er von Oben auf sie herab schaut. Zu Freunden braucht er die ja nicht. Auf die Bauernkinder hat seine Weltgewandtheit - oder immerhin seine saubere Schuluniform - dennoch eine unleugbare Anziehung. Schnell entwickelt sich ein Konkurrenzverhältnis zu Um Suk-dae, dem Klassenaufseher, der jedoch in einer ruhigen, fast väterlichen Art, in einer unerschütterlichen Selbstsicherheit, seine Mitschüler die alltäglichen Rituale vollziehen lässt und sich um die Eingewöhnungsschwierigkeiten des Neuen zunächst wenig bekümmert. Er weiß ja, dass seine Autorität unerschütterlich ist. Erst als Byung-tae ihn öffentlich vor der Klasse und den Lehrern herausfordert, ihn anklagt, er würde seine Autorität ausnutzen um Sachleistungen und Dienste von seinen Mitschülern zu erpressen, hat dies Konsequenzen ... jedoch nicht für Suk-dae, den Tyrannen, sondern für den Aufrührer Byung-tae.
Byung-tae bekommt nicht nur seine Tracht Prügel ... – während der im Unterricht völlig teilnahmslose Suk-dae auch weiterhin Bestnoten in allen Klausuren erhält, fallen Byung-taes Leistungen beständig ab. Die Distinktion, die das Großstadtkind zunächst so ausdrücklich betont hatte – seine bessere Bildung – wird ihm Stück um Stück genommen. Er sieht sich konfrontiert mit einem Konsens, der weit über den Klassenraum hinaus geht, einen Konsens, den er sich als Individuum nicht erklären kann. Die Position, das Anrecht Um Suk-daes, wird ein Mythos – weder werden verwandtschaftliche Beziehungen erläutert (eine Lobby die Einfluss auf die Schulleitung nehmen könnte), noch wäre der durchaus große und kräftige Suk-dae den Lehrern per se körperlich und an Autorität überlegen. Die Landschule ist ein soziales Gefüge, in dem die Positionen so umgedeutet sind, dass Recht und Moral, wie sie außerhalb dieser Schule konventionell sind, hier nicht mehr zu gelten scheinen.
Byung-tae ergibt sich schließlich diesen Strukturen, exerziert die Aufträge Suk-daes, lässt ihn abschreiben, macht dessen Hausarbeit und avanciert ob seiner überdurchschnittlichen Bildungen schnell zur Rechten Hand des Klassentyrannen. Tatsächlich gibt es in der ganzen Schulen nur ein Kind, das abseits dieses sozialen Klüngels steht, oder wahrscheinlich doch abseits stehen gelassen wird, weil es ob seiner minder entwickelten kognitiven Fähigkeiten nur einen sehr beschränkten Wert für die Gemeinschaft zu haben scheint. Dieses Kind, das einzige das Kontakt zu Byung-tae pflegte, als dieser sich selbst als Außenseiter positioniert hatte, wirft dem Konvertiten schließlich unter Tränen vor, er sie jetzt wie die anderen, genau so grausam, grausamer noch. Es wäre jedoch ein Märchen, keine soziale Parabel, die Park Chong-won mit „Our Twisted Hero“ inszeniert hätte, ergäbe sich aus diesem Appell eine nachhaltige Wirkung.
Das Ende dieses Reiches kommt erst mit einer neuen Autorität, einem neuen Lehrer. Das System ist gar nicht in der Lage, sich aus sich selbst heraus zu kurieren. Ein wesentlicher Teil der Mechanik, nach der dieses Imperium funktionierte, wird nun offensichtlich: Parallelen zu Orwellscher „Neu-Sprech“ und der Strategie der Nazis, ihre Tyrannei über neue Begrifflichkeiten zu etablieren (z.B. Höhere Demokratie), sind nicht wegzudeuten. Lehrer Kim verweist die Fraktionen dieses Miniatur-Imperiums zurück auf die Position, die ihnen im übergeordneten sozialen Gefüge der koreanischen Gesellschaft zugedacht werden. Suk-dae ist nicht mehr Klassenaufseher, er ist ein Schüler, und ein Lehrer ist ein Lehrer, eine Institution mit Autorität über alle Schüler. Lehrer Kim selbst muss Gewalt anwenden, um dieses System zu re-installieren. Bedenken, dass auch dieses Vorgehen im Grunde nichts anderes ist als das Festschreiben von Individuen auf einen lediglich anderen Konsens, in dem sie strukturell keine drastisch variierende Funktion erfüllen, sind berechtigt, führen aber zu einer grundsätzlichen Diskussion über soziale Gefüge, die in diesem Kontext nicht angemessen ist.
Die Pointe dieser Geschichte verlegt Park Chong-won gemäß der Romanvorlage - für die abermals Yi Mun-yol verantwortlich zeichnete – in die 90er Jahre. Han Byung-tae erhält die Nachricht vom Tode seines Klassenlehrers Mr. Choe. Etikette gebietet die Kondolenz. Stärker als diese Verpflichtung ist es jedoch die Neugier, die heimliche Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Suk-dae, eine immer noch latente Faszination für den Mythos, die – so soll er herausfinden – auch viele seiner Mitschüler an das Grab des alten Lehrers treibt.

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