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Ein bisschen verwundert es mich schon, dass der Film CASANOVA fast völlig in Vergessenheit geraten zu sein scheint, handelt es sich doch um eine Art europäische Super-Produktion, mit einem russischen Regisseur und Hauptdarsteller, vorwiegend finanziert von deutschen Geldern und gedreht in Frankreich, dazu augenscheinlich um ein Werk, dessen Budget nicht gerade gering gewesen sein muss, mit einer Laufzeit von beinahe zweieinhalb Stunden, und gegen Ende als besonderem optischem Reiz gar einer längeren handkolorierten Passage. Am für seine Entstehungszeit einigermaßen gewagten Inhalt kann es, denke ich, auch nicht liegen, dass CASANOVA nie in den Kanon der großen Stummfilmepen aufgenommen worden ist. Skandalträchtig, wenn auch wenig innovativ und schon gar nicht historisch akkurat erzählt der Film einige Abenteuer des Giacomo Casanova, begleitet seinen Helden von Venedig über Österreich nach Russland und wieder zurück nach Venedig, und breitet dabei vor seinen Zuschauern ein Bild des 19.Jahrhunderts aus, das vor politischen Intrigen, ausschweifenden Orgien und sexuellen Freizügigkeiten nur so strotzt. An Schauwerten fehlt es dem Werk zu keiner Sekunde: seien es nun opulente Studiokulissen, prachtvolle Landschaftsaufnahmen mit teilweise regelrecht genialen Bildkompositionen, erotisch-skurrile Tanzsequenzen oder aufwändige Massenszenen. CASANOVA wirkt über weite Strecke so, als ob seine Verantwortlichen im Champagnerrausch alle Ideen zusammengeworfen hätten, die ihnen gekommen seien, um den Film danach förmlich unter ihnen zu begraben. Ein gutes Beispiel hierfür ist allein schon die erste halbe Stunde, die noch in Venedig spielt, wo Casanova so lange den männlichen Vertretern der High Society ihre Frauen abspenstig macht bis diese beim Obersten Gericht so viele Klagen über ihn einreichen, dass die Autoritäten der Stadt sich schließlich genötigt sehen, den Haftbefehl auf Casanova auszusprechen, der sich allerdings listig der Schlinge des Gesetzes zu entziehen weiß und inkognito nach Österreich flieht. Hektisch beginnt CASANOVA mit diesem Prolog, in dem mehr Einfälle untergebracht wurden als in manch anderem Film der damaligen Zeit über die gesamte Laufzeit hinweg. Diese sind teilweise ehrlich witzig, zuweilen gar surreal. Beispielweise sucht ein kleiner schwarzer Diener nach Casanova, fragt einen Passanten nach dem Weg, der allerdings den Kopf schüttelt und verneint, worauf sich sofort sämtliche Fenster der umliegenden Häuser öffnen und unzählige Arme in die Richtung von Casanovas Anwesen deuten. Eine Geliebte Casanovas hat einen verfänglichen Brief empfangen, den sie, damit ihr Gatte ihn nicht in die Finger bekommt, in winzige Stücke zerreißt und aus dem Fenster riesen lässt, natürlich direkt vor die Füße ihres Ehemanns, der unten auf der Straße steht. Auch übt sich Casanova in der Kunst der Magie und führt einem Geldleiher, der gekommen ist, um die ihm zustehenden Finanzen einzutreiben, eine Kostprobe seines Könnens vor, mit dem Hintergedanken, ihm das Angebot zu unterbreiten, von seinen Schulden freigesprochen zu werden, wenn er ihm dafür sein Zauberbuch überlässt, wobei der Film suggeriert, dass Casanova sich von zwei seiner Gespielinnen wie ein Luftballon aufblasen lassen kann, die ihm versteckt zu Füßen sitzen und einen Blasebalg betätigen, der offenbar mit seinem Körper verbunden ist. Zu erwähnen ist natürlich auch die Orgie, die Casanova später besucht, und wo man gar einige kurze Blicke auf nackte Frauenbrüste erhaschen kann, und eine schwül-sündhafte Atmosphäre herrscht, die so manchem zeitgenössischen Betrachter die Schamesröte in die Wange getrieben haben mag.

In seinem Prolog gönnt CASANOVA seinem Publikum keinen Moment Ruhe, stolpert von einer verrückten Szene in die nächste, und ruft in seinen besten Momenten Erinnerungen an die süffisanten Phantasien eines Erichs von Stroheim wach. Leider kann der Film dieses hohe Niveau späterhin nicht durchgängig halten. Kaum ist Casanova erst mal aus Venedig vertrieben, verfällt der Film in eine Episodensammlung, deren einzelne Stränge sich erst im Finale teilweise miteinander vereinen. Im Grunde ist die Struktur der einzelnen Segmente stets dieselbe: Casanova lernt eine Frau kennen, unternimmt alles, um seine sexuelle Lust an ihr auszulassen, und muss am Ende, entweder nach erfolgtem Höhepunkt oder unbefriedigt, die Flucht antreten, da man ihm auf die Schliche gekommen ist und ihn ins Gefängnis werfen will, oder ein eifersüchtiger Ehemann ihm nach dem Leben trachtet. Dabei wechselt Casanova mehrmals seine Identität, rutscht durch einige Betten, wird in politische Machtspiele verwickelt und gewinnt am Ende gar die frischgekrönte Katharina II. von Russland erst für sich und dann zur Feindin, an seiner Seite als ständigen Begleiter nur seinen dunkelhäutigen Diener Djimmy, gespielt von einem kleinen Jungen, dem man das Gesicht schwarz anmalte. Die weiteren Ingredienzien des übermütigen Epos wären Frauen in Männerkleidern, Männer in Frauenkleidern, Degenduelle, ein wahnsinniger Despot in Form des kurzlebigen russischen Kaisers Peter III., dessen Sturz zu schildern der Film sich viel Zeit nimmt, Verfolgungsjagden zu Fuß, zu Pferd und in Kutschen durch winterliche Landschaften: das alles lässt zu keiner Sekunde wirkliche Langeweile aufkommen bis es Giacomo zuletzt zurück nach Venedig verschlägt, wo das Karnevalstreiben tobt, und die bunten Kostüme und die schillernden Feuerwerke in den handkolorierten Szenen noch besser zur Geltung kommen als sowieso schon, was alle vorherige Pracht nochmals toppt.

CASANOVA ist ein Gemälde, das man derart mit Figuren, ausladenden Dekors und die Blicke auf sich ziehenden Details vollstellte, dass man seinen Bildmittelpunkt kaum noch ausmachen kann. Im Falle des Films ist das Casanova selbst, der wie eine weiße Leinwand innerhalb des wogenden Geschehens wirkt, und stets nur das spiegelt, was um ihn herum stattfindet, selbst aber nichts nach außen wirft. Die Hauptfigur in CASANOVA ist blass, besitzt keine tiefergehende Psychologie, hat im Laufe der zweieinhalb Stunden im Grunde nichts weiter zu tun als sich an Frauen heranzupirschen, diese zu umgarnen und zu pflücken - oder zu fliehen, um seinen Kopf zu retten. Dass es um seine weiblichen Opfer nicht besser bestellt ist, und man unter ihnen auch keinen wirklichen Charakter findet, sondern einzig und allein wandelnde Klischees, verwundert da kaum noch. Zwischen dem Schmuck, der die Paläste St. Petersburgs oder die Aristokratenvillen Venedigs verziert, und den Personen, die in diesen Palästen agieren, scheint kein großer Unterschied zu bestehen: beide sind sie leerer Pomp, eigentlich nichtssagend, ohne Innenleben. Ob es beabsichtigt war, CASANOVA mit einem solchen Anti-Held auszustatten, mit dem sich der Zuschauer unmöglich identifizieren kann, und der zu keiner Sekunde Gefühle zeigt, die nicht automatisiert wirken, bezweifle ich eher, da der Film auch an anderen Stellen die Vermutung weckt, dass es seinen Machern wichtiger war, eine berauschende, bestaunenswerte äußere Form zu schaffen, als sich um einen ebenso begeisterungswürdigen Inhalt zu kümmern. CASANOVA hat auf der Ebene der Geschichte etwas Unfertiges, Unausgegorenes. Das Kennenlernen zwischen Casanova und einem gewissen Grafen Vorontzoff in Venedig wird ausführlich geschildert, ohne dass das spätere zweite Auftreten Vorontzoffs, der Casanova in einer brenzligen Situation das Leben rettet, dies rechtfertigen würde. Die gesamte Österreich-Episode, in der Casanova sich in eine als Mann verkleidete Frau verliebt, hat kaum Berührungspunkte mit dem Restfilm, und lässt viele offene Fragen zurück, die im weiteren Verlauf nie wirklich geklärt werden. Das Ende könnte man fast schon als misslungen bezeichnen, wenn Casanova von einer Sekunde zur nächsten die wahre Liebe für sich entdeckt, und sein Herz einer einzigen Frau schenkt, bevor er erneut die Flucht aus Venedig antritt. Die einzige Charakterentwicklung Casanovas ist auch noch eine, die man dem Film in keiner Sekunde abnimmt. Da die Vorteile die Nachteile allerdings bei weitem überwiegen, hat dieser mehr als ungewöhnliche Stummfilm mich nichtsdestotrotz bestens unterhalten.

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