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Während der Erfolg von Hayao Miyazakis Animefilmen in der Heimat keine Grenzen kennt, fällt es der breiten Masse hierzulande doch immer noch schwer, sich auf die japanischen Zeichentricks einzulassen. Miyazakis Werke spielen eben nicht in Disneyland, sondern in einer anderen mentalen Liga. Da ist nicht alles einfache Unterhaltung und bequeme Polarisation. Veränderungen bestimmen seine komplexen Welten. In "Das wandelnde Schloss" ist es Sophie, die von der eifersüchtigen Hexe aus dem Niemandsland verflucht und ihrer Jugend beraubt wird und dadurch um Jahre altert. Als gebrechliche Greisin verlässt sie ihre Heimatstadt und findet Obdach im wandelnden Schloss des Zauberers Hauro.

Die Ghibli-Produktionen leben seit jeher von anrührenden Impressionen. Auch hier präsentiert sich eine wundervolle Melange aus gefühlvoller Musik und kraftvollen Bildern. Da sehen wir beeindruckende Stadtansichten und anmutige Panoramen von blühenden Alpenlandschaften - aber auch unheilvolle Bruchstücke aus einem Krieg. In dieser infernalischen Szenerie schwingt sich Hauro als Falkenwesen durch die Lüfte, um es mit den gewaltigen zerstörerischen Energien aufzunehmen. Dieser Krieg ist ein undurchsichtiger ohne Motivation. Warum auch Motive benennen, wenn jede kriegerische Auseinandersetzung doch mit dem gleichen Ergebnis endet, Belebtes und Unbelebtes vernichtet zu haben.

Der schier tägliche Kampf Hauros findet am Rande einer vielseitigen Geschichte statt, die einige rational schwer fassbare Haken schlägt. Nicht immer ist es ein Leichtes, Miyazaki sofort zu folgen. Seine Botschaften jedoch bleiben stets verständlich. Charismatische Charaktere und ihre faszinierende Menschlichkeit bereiten den Weg dafür. Wie zuletzt die kleine Chihiro in "Chihiros Reise ins Zauberland" zeichnet sich auch Sophie durch ihre Tüchtigkeit und Gutherzigkeit aus. Vergessen sind alle körperlichen Gebrechen, wenn ihr Putztick sie vergleichsweise Großes leisten lässt und sie es tatsächlich schafft, das Chaos im Burginneren zu beseitigen. Das Schloss selbst ist ein ausgesprochen phantasievolles Gebilde, eine mobile Behausung auf Hühnerbeinen, zusammengeballt aus Türmen, jeder Menge Metall, Häuserfassaden und anderen Einzelteilen. Bewegt wird es von dem Feuerdämon Calcifer, den ein Geheimnis mit Hauro verbindet. Eine weitere Einzigartigkeit der Burg ist seine Eingangspforte, die seine Bewohner an vier verschiedene Orte zu führen vermag - ein magisches Phänomen, das auch ein symbolischer Ausdruck für die allgegenwärtige Mannigfaltigkeit Miyazakis ist.

Obwohl in Europa spielend und auf einem Roman der Britin Diana Wynn Jones basierend, ist "Das wandelnde Schloss" ein alles andere als europäischer Film. Dort, wo Vogelscheuche und Feuer eigene Individuen sind, Zauberei und Magie zur natürlichen Selbstverständlichkeit gehören wie der alltägliche Sonnenaufgang, wo Kampfschiffe in Insektengestalt am Himmel schweben und schwarze gelatineartige Geister ihrer Gebieterin dienen, wo unsere von Grimm'schen Märchen geprägte Vorstellungskraft an ihre Grenzen stößt, dort beginnt erst der eigentümliche Horizont Hayao Miyazakis. Wie beispielhaft ist dafür der Wechsel von Hauros Haarfarbe durch ein Missgeschick von Sophie. Eintönigkeit ist nicht des Japaners Tugend. Miyazakis Figuren durchlaufen Veränderungen, äußerliche und innerliche. Manchmal ist der Wandel ein ganz radikaler, eine Drehung um 180 Grad, wie bei der königlichen Zauberin Suliman, hinter deren gutmütiges Erscheinungsbild sich die abgründigste Persönlichkeit verbirgt.

Ein regelrechtes Exempel für die Unberechenbarkeit der Figurenentwicklung statuiert Miyazaki schließlich an der Hexe aus dem Niemandsland. Mit einem Schlag werden ihr die magischen Kräfte geraubt und aus der mächtigen, furchteinflößenden Frau wird ein um Jahre gealtertes, seniles Weib. Sophie nimmt sich ihrer sogar an, sie ist freilich eine Person, die an ihrer Güte wächst; die Generationen verschmelzen in ihr, eine jugendliche Seele in einem alten Körper. Die detailfreudigen Zeichnungen überspitzen gerne das faltige Gesicht, in dem sich das Alter offenbart. Diese neckische Übertreibung von Mimik und Gestik ist bei Miyazaki ein wesentliches Element des Humors; so auch bei der großen schweißvollen Quälerei Sophies und der Hexe, die die vielen Stufen des königlichen Palastes mühsam erklimmen. Der japanische Regisseur betrachtet das Altern nicht wehmütig und erlaubt sich selbst solche Scherze, weil nur derjenige wirklich altert, der seelisch verwelkt.

Bezeichnend dafür ist der auferlegte Fluch, der lediglich das Aussehen verwandelt. Seine Macht reicht nicht weit und kann von zwei Dingen gesprengt werden: Das eine ist das Herz, der Quell der Leidenschaften; sie sind wie das Wasser aus dem Jungbrunnen. Die ungezähmte Liebesoffenbarung besitzt schließlich die Kraft, Sophies Antlitz wieder zu verjüngen. Das andere ist der Schlaf, ein Sammeln neuer Energien und Abstreifen aller Fesseln - eine Befreiung. Dann zerfällt jede Fassade. Der Mensch hat bekanntlich viele Gesichter, aber sein wahrhaftiges ist nur das schlafende.

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