"5x2" ist die Geschichte der gescheiterten Ehe von Gilles und Marion. Sie wird in fünf schlaglichtartigen Episoden erzählt, die jedoch chronologisch rückwärts angeordnet sind: Der Film beginnt mit der Scheidung, es folgt eine Episode aus dem Eheleben einige Monate oder Jahre vorher, dann ein Sprung etwa drei Jahre zurück zur problematischen Geburt des Sohnes Nicolas. Wieder einige Zeit zuvor die gemeinsame Hochzeit, und schließlich ein Sprung zum Zeitpunkt des Kennenlernens und Verliebens. In den jeweiligen Episoden erfährt der Betrachter jeweils etwas mehr über die Ursachen der Scheidung, es handelt sich entweder um bestimmte Ereignisse oder auch nur um sorgfältig plazierte Informationen, deren Bedeutung erst kombiniert werden muß.
Die inverse Chronologie hat hier jedoch nie den Komplexitätsgrad oder den Anspruch etwa des berühmt-berüchtigten "Memento", doch ist die angestrebte Funktion im Film eine ähnliche: Man bekommt eine außergewöhnliche Situation präsentiert, die unverständlich oder in ihrer Bedeutung nicht nachvollziehbar ist, und der Film liefert stückweise die Aufklärung, ein fast klassisches "Whodunnit".
So wird in "5x2" der Zuschauer von Beginn an durch das Verhalten des Paares immer wieder irritiert, es geschehen Dinge, es fallen Worte oder Blicke, die zunächst rätselhaft bleiben und im Lauf des Filmes an Dringlichkeit gewinnen, da sie zum Teil unmotiviert oder überzogen erscheinen. Erst in der vorletzten Episode, der Hochzeit, erklären sich diese Irritationen, jedoch nicht als großer Aha-Effekt, sondern wiederum quasi unter der Hand und die Kombinationsgabe des Zuschauers voraussetzend.
Der Einstieg in den Film geschieht sehr drastisch: Nach einer recht trockenen Verlesung der Scheidungsparagraphen durch einen würdigen Beamten trifft sich das ehemalige Paar in einem Hotelzimmer, um miteinander zu schlafen. Doch als Marion es sich anders überlegt, kommt es zu etwas, das man oberflächlich als Vergewaltigung durch Gilles beschreiben könnte: Nachdem Marion ihn abgewiesen hat und ihm, immer noch nackt, den Rücken zudreht, vergeht er sich unter Gewaltanwendung an ihr. Hier stellen sich gleich mehrere Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Warum hat sich das Ex-Paar noch einmal getroffen? Warum wehrt sich Marion längst nicht so stark, wie man es bei einer klassischen Vergewaltigung erwarten würde? Warum bleibt sie danach noch, redet "normal" mit Gilles, der sie anschließend sogar fragt, ob sie es nicht noch einmal miteinander versuchen sollten?
Die nächste Episode zeigt die beiden in ihrer Wohnung, man wird Zeuge der üblichen Genervtheiten langjähriger Paare. Sie bringen den etwa dreijährigen Sohn Nicolas ins Bett und empfangen Besuch, Gilles' homosexuellen Bruder mit seinem derzeitigen Freund. Das Gespräch kommt auf Partnerschaft und Treue, mit einem Seitenblick auf Gilles betont Marion, wie wichtig Treue ist. Da erzählt Gilles, daß er einmal untreu war und an einer Sexorgie teilgenommen hat, daß Marion aber dabei war und ihn sogar zum hemmungslosen Sex ermutigte, selbst aber am Rand des Geschehens blieb. Während Gilles schwadroniert, stehen Marion Tränen in den Augen – warum? Später in der Nacht wacht Marion allein im Ehebett auf und findet Gilles schlafend, eng umschlungen mit Nicolas in dessen Bett. Was bedeutet das?
Ein Sprung in die Zeit von Marions Schwangerschaft: Es gibt Komplikationen, einen Kaiserschnitt. Gilles weiß Bescheid, verläßt sein Büro, geht aber nicht ins Krankenhaus, sondern treibt sich stundenlang ziellos in der Stadt herum. Ganz kurz kommt er ins Krankenhaus, wirft einen Blick auf das Kind im Brutkasten, verschwindet wieder. Ein Anruf für Marion im Wochenbett, mehr nicht. Für den typisch männlichen "Bammel" ist das entschieden zuviel, doch Marion erduldet das nicht nur, sie läßt Gilles – am Telephon – sogar den Namen Nicolas aussuchen. Man ist irritiert.
Wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte den folgenden Absatz überspringen, denn er enthält die Auflösung der bisher gestellten Fragen.
Ein Sprung zum Hochzeitstag. Der Standesbeamte zitiert Paragraphen, die in frappierender Art an die Rede des Scheidungsanwalts zu Beginn des Films erinnern, später sieht man das rauschende Fest und das Brautpaar, wie es sich anschickt, die Hochzeitsnacht zu vollziehen. Doch bevor es dazu kommt, fällt Gilles müde und alkoholisiert in vorzeitigen Schlaf. Marion geht hinaus in die Nacht, trifft einen Fremden und läßt sich von ihm verführen. Im Morgengrauen eilt sie zurück, schmiegt sich an den noch schlafenden Gilles und flüstert ihm wiederholt "Ich liebe Dich" zu. In ihrem Gesicht und ihren Gesten drückt sie aus, was ihr Verhalten der zukünftigen Jahre diktieren wird und dem Zuschauer auf einen Schlag alles erklären kann: Schuld. – Tief empfundene Schuld, Reue und die Bereitschaft, zu sühnen, bis fast zum Äußersten. Alles bisher Gesehene läßt sich erschließen. Offenbar hat Marion Gilles alles gestanden, und nicht er, sondern der Fremde ist Vater des Kindes. Sein Verhalten während der Geburt rührte aus seinem inneren Kampf, die Vaterschaft trotzdem anzuerkennen – ein keineswegs selbstverständliches Opfer, wie Marion wohl weiß und daher alles erduldet. Die Sexorgie war ein Zugeständnis Marions ob ihrer eigenen Unzulänglichkeit, und im Rückblick gewinnen die scheinbar beiläufigen Bemerkungen über Treue ungeahntes Gewicht. Die Nähe zwischen Gilles und dem Kuckuckskind Nicolas – ein Schimmer der Hoffnung, ob die von Anfang an vergiftete Ehe zu retten sei. Und schließlich die scheinbar sinn- und motivationslose Vergewaltigung zu Anfang des Films, aber am Ende der Beziehung: ein letztes Opfer, vielleicht das größte.
Den Abschluß des Films bildet das sonnendurchflutete Urlaubsresort am Mittelmeer, in welchem sich Marion und Gilles kennenlernen. Gilles befindet sich in einer festen Beziehung, plant sogar zu heiraten, doch die Anspannung des Paares ist mit Händen zu greifen. Nicht zufällig wiederholen sich Gesten und Abläufe, die man aus der zweiten Episode, der belasteten Ehe mit Marion, bereits kennt. Zu Marion, die selbst gerade eine Beziehung beendet hat, fühlt Gilles sich hingezogen, und das Schlußbild zeigt beide, wie sie vor einem klischeehaften Sonnenuntergang baden gehen. Mit Berücksichtigung des vorher Gezeigten konterkariert die Einstellung natürlich die standardisierte Schlußformel des klassischen Liebesfilms.
Der Grund für das explizite Darlegen des Plots (und das Vernachlässigen der anderen Aspekte) liegt in meinem Eindruck, daß diese beinahe kriminalistische Dimension in der Rezeption von "5x2" weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. Für die meisten Rezensenten ist er, natürlich berechtigt, eine Bergmann-Reminiszenz (Szenen einer Ehe), eine Stilübung in spezifisch französischer Kamera- und Erzähltechnik, ein Beitrag zur Schlechtigkeit des (heterosexuellen) Mannes oder einfach nur ein trauriger Film. Dies nimmt nicht wunder angesichts der Behutsamkeit und des Grades an Verschlüsselung, mit welchem die Hinweise und Clues (es wurden nur die offenkundigen genannt) angebracht sind. Eine Entschlüsselung ist jedoch möglich, wie eben gezeigt, und liefert den denkbar handfestesten Grund für das ansonsten unerklärliche passive bzw. aggressive Verhalten von Marion und Gilles. Daß es bei aller Leidensfähigkeit Marions trotzdem zur Scheidung kommt, ist wohl am ehesten durch die Maßlosigkeit zu erklären, mit der Gilles seine Vormachtstellung ausnutzt.
Was bleibt, ist ein packendes, dabei erstaunlich konservatives Schuld und Sühne-Drama. Dabei spielt Sex als Machtmittel und zerstörendes Element eine tragende Rolle: Der Sündenfall Marions zu Beginn der Beziehung, die anhaltende Geilheit Gilles', seine totale sexuelle Entgrenzung bei der Orgie, die gewaltsame Anwendung zum Schluß. Alle fünf Paarkombinationen ("5x2": Gilles–Ex, Gilles–Marion, Marion–Fremder, Bruder–Freund, die Schwiegereltern Marions) werden durch Sex definiert, ob und auf welche Weise er stattfindet, welchen Effekt er zeitigt. In der filmischen Darstellung ist der Sex dabei nie lustvoll, sondern angestrengt, automatisiert, Mittel zum Zweck. Eng mit dem Sex verknüpft ist die Frage nach der Treue in einer Liebesbeziehung bzw. der klassischen Ehe, und wie sehr letztere durch die vorgebliche sexuelle Freiheit unserer Tage bedroht ist. Das mag man, wie erwähnt, für konservativ oder rückständig halten, doch wenn sich ein bekennender Homosexueller wie Ozon zu einer solchen Stellungnahme hinreißen läßt, kann sie nicht als Ausgeburt eines ewiggestrigen Hirns abqualifiziert werden und verlangt nach differenzierter Auseinandersetzung.