Als der einflussreiche Ximeng Qing auf die unglücklich verheiratete Pan Jinlian trifft, ist es Begierde auf den ersten Blick. Um seine unerfüllten Träume wahr werden zu lassen, setzt er eine Spirale des Verderbens in Gang: Anschläge, Verschwörungen und erotische Eskapaden türmen sich zu einer Welle aus Machtgier und Eifersucht auf, während die neue Konkubine den Haushalt des wohlhabenden Händlers von innen heraus ins Chaos stürzt…
Kein leichter, vielmehr ein existenzieller Stoff, den sich das seinerzeit fleißigste Filmstudio Hongkongs mit „The Golden Lotus“ ans Bein band. Schließlich zählte die Romanvorlage „Jīnpíngméi“, übersetzt „Die Pflaumenblüte in der goldenen Vase“, ursprünglich zu den Vier Klassischen Romanen der chinesischen Literatur. Als moralisches Lehrstück über die weltlichen Abgründe menschlichen Strebens, das zugleich als allumfassendes Portrait Chinas zu Zeiten der Ming-Dynastie dient, muss es schwer gewogen haben in den Händen der Shaw Brothers, die alleine im Jahr 1974 mehr als 40 Filme produzierten, von denen die meisten wohl eher Leichtgewichte waren.
Und doch wird das High-Society-Epos zunächst in den etablierten Baukasten einer – zugegeben hübsch geschmückten – Fließband-Studiokulisse gezäunt, die ebenso gut in jedem der vielen Martial-Arts-Streifen der Shaw-Schmiede ihren Zweck erfüllt hätte. Während die 35mm-Fischaugenkamera das Cinemascope an Brücken entlang, über Leitern hinweg und durch die Torbögen der Höfe gleiten lässt, werden die Eckpunkte des Sets langsam zu einem inzestuösen Mini-Globus verknüpft, einem autonomen Reich, das aber, wie sich herausstellt, nicht nur als Spielplatz für akrobatische Kunststücke geeignet ist, sondern durchaus auch für die perfiden Herrschaftsmethoden eines Schurken der klassischen Literatur, der unbeobachtet vom Himmel seinen unter der Studiodecke seinen Trieben freien Lauf lassen darf.
Dabei beginnt „The Golden Lotus“ harmlos, lieblich, fast wie in einem romantischen Märchen. Das breite Villain-Lächeln von Ximen Qing (Peter Yang), welches im späteren Verlauf zunehmend mit negativen Konnotationen belegt wirkt, badet noch in reiner Unschuld, als er beim Spaziergang über den erwachenden Marktplatz das Engelsgesicht von Pan Jinlian (Hu Jin) registriert. Es braucht lediglich den Amorpfeil-Auslöser in Form einer sich lösenden Markisenhalterung, um die Magie der sich kreuzenden Pfade der Liebe in Gang zu setzen.
Die bis zu diesem Punkt noch losgelöste Stimmung des Films wird nicht zuletzt durch einen blutjungen Jackie Chan befeuert, der als schlitzohriger Birnenverkäufer zunächst sämtliche Tropes der traditionellen Kung-Fu-Produktionen des Studios befeuert und darüber hinaus bereits seinen eigenen charakteristischen Humor andeutet. Wenn er sich an eine Person anschleicht, um ihr mit voller Lautstärke den Marktruf ins Ohr zu donnern, als befinde sich das gepeinigte Ohr nur ganz zufällig in unmittelbarer Reichweite, kann man nicht anders, als darin die Vorschatten seiner späteren Ulkereien zu erkennen. Unerwartet werden ihm bald aber weitere Aufgaben zuteil, übernimmt er doch im Rahmen des vorherrschenden Settings die Rolle des tragischen Harlekins, der mit sehendem Auge die roten Fäden der Verschwörung erkennt, die seinem Umfeld verborgen bleiben. In dieser Konstellation ist außerdem noch Platz für Wang Lai, die als Fäden spinnende Tante herrlich verschlagen aufspielt.
Es entsteht der Eindruck eines Kammerspiels zu Hofe, das auf dem besten Wege ist, in einer Tragödie zu münden. Nur die Rollenverteilung entspricht nicht immer den klassischen Mustern. Gerade Hu Jin liefert in diesem Zusammenhang eine darstellerische Leistung voller Extreme. Was als verhuschte Schüchternheit in Person beginnt, nimmt nämlich bisweilen selbst skrupellose Verhaltensmuster an. Schließlich gibt der Roman vor, dass sich hier zwei Menschen begegnen, die bereits in ehelichen Verhältnissen leben. Diese Zustände zu überwinden oder schmerzhaft zu dehnen, gehört zu den klimaktischen Eckpfeilern der Rahmenhandlung. Die weibliche Hauptdarstellerin wird damit zu radikalen Verwandlungen getrieben, welche das Ende des Films durchaus überdauern und sich so zu seinen Highlights entwickeln.
Peter Yang auf der anderen Seite bewahrt mit seinem steinernen Grinsen hinter ausgebreitetem Fächer eine Fassade der Kontrolle, während im Hintergrund sein Fundament zu bröckeln beginnt. Er ist im Grunde lediglich Repräsentant sowie Profiteur einer hierarchischen Ordnung, die es erlaubt, sämtliche moralische Grenzen einzig ob des gesellschaftlichen Stands zu überwinden, um die individuellen Gelüste zur höchsten Priorität zu machen.
Der immerhin fast zwei Stunden lange Film rechtfertigt seine Laufzeit mit einer ausholenden Narrative, die sich in der zweiten Hälfte von der reinen Einzelfallbetrachtung löst und auch zu kontextualisieren beginnt: Gesellige Zusammenkünfte werden zunehmend zur Kulisse gemacht, so dass in dem bunten Treiben die Verkrüppelung ethischer Standards vorangetrieben werden kann. Insbesondere der Handlungsstrang um den historisch tief mit der Geschichte des Landes verwurzelten Brauch des Füßebindens, bei dem jungen Mädchen aus rein ästhetischen Gründen die Füße gebrochen und abgebunden wurden, um auf diese Weise das Schönheitsideal des winzigen Fußes mit trippelndem Gang zu erreichen, wird in einem nahezu fetischistischen Maße ausgelotet, was wenig verwunderlich ist, ist dieses Prozedere doch Pate des Filmtitels und somit zentral für den Inhalt.
Als softpornografisch wird „The Golden Lotus“ bisweilen im Übrigen etikettiert, wobei das möglicherweise eher der Verknüpfung mit der Vorlage geschuldet ist, die sich dadurch auszeichnete, auch gerade bei der Beschreibung von Sexualität kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Der Verfilmung wiederum, obgleich sie sich vor nackter Haut nicht scheut, haftet über weite Strecken nicht einmal etwas primär Erotisches an, geschweige denn etwas Pornografisches, sondern eher etwas, das mit melodramatischem Ausdruck das Begehr der Hauptfigur ausdrückt. Dieses Begehr muss nicht einmal zwingend vom Betrachter geteilt werden, sind die Darstellungen doch eng mit den Ritualen und Prozeduren rund um damalige Beziehungskonstellationen verknüpft, welche hier in ein kritisches Licht gestellt werden.
Überhaupt dauert es alleine eine halbe Stunde, bevor die Figuren die Konventionen der Höflichkeit überwunden haben und in den zweiten Gang schalten. Erst im Finale, als sie sich extravaganter Fesselspiele erfreuen und die Kamera dabei gewagte Perspektiven einnimmt, ohne natürlich völlig das Feigenblatt fallen zu lassen, wird es ein wenig pikanter. Der Kern der Aufmerksamkeit gilt aber allenfalls im zugehörigen Werbetrailer der Erotik; der fertige Film verlagert den Fokus doch überdeutlich auf das unmoralische Handeln Ximen Qings im Kontext der Zeit, in der er lebte.
Die Regie Li Han-hsiangs bleibt insgesamt konventionell und setzt lediglich bei einigen Überblendungseffekten besondere Akzente, etwa wenn die Gesichter der Konkubinen auf dem Körper der Geliebten Karussell fahren, um die Identitätskrise des Lebemanns visuell herauszuarbeiten; ansonsten geht es ihm darum, die Kulisse und die Gesichter der Schauspieler einfach wirken zu lassen. Die daraus entstehende innere Ruhe, die im Übrigen durch keinerlei Kampfszenen gestört wird, wird dadurch effektiv kanalisiert.
So fühlt sich „The Golden Lotus“ streckenweise an wie ein Theaterstück, das alles Plakative, den Sex inklusive, in den Hintergrund rückt, um im Kontext des Gezeigten den Geist der literarischen Vorlage durchscheinen zu lassen, der über Generationen hinweg ins Kulturerbe des Landes einsickern konnte. Nicht einmal das Voice-Over, das gelegentlich eine räumliche und zeitliche Distanz zwischen dem Betrachter und dem Geschehen auf der Leinwand schafft, kann etwas an dem eher klein skalierten Rahmen ändern. Der gewichtigen Vorlage wird diese, für ein Epos zumindest, wenig opulente und schmuckhafte Shaw-Brothers-Produktion so sicherlich nicht gerecht. Wohl aber gelingt es ihr, Dramatik freizulegen, indem sie das Augenmerk einfach auf das Essenzielle legt und nicht der Versuchung erliegt, die Handlung in gleicher Weise auszubeuten, wie die Figuren es untereinander zu tun pflegen.