Review

Ein Thriller, der sich an Alfred Hitchcock und seinen Werken orientiert, bedeutet natürlich per se nicht automatisch einen Volltreffer, aber wer sich daran versucht, hat von vornherein erst einmal meine Sympathien, denn es gibt eindeutig schlechtere Vorbilder. Curtis Hanson hat den Vorteil, neben den guten Absichten, eine Hitchcock-Hommage zu präsentieren, auch das nötige Talent mitzubringen. Den Beweis trat er mit „Das Schlafzimmerfenster“ an, das Hitchcocks am häufigsten verwendeten Plot – ein Unschuldiger gerät in Verdacht, ein Mörder zu sein – in einer Variation eines der populärsten Filme des Altmeisters („Das Fenster zum Hof“) unterbringt.

Abgesehen von der Ausgangslage hat „Das Schlafzimmerfenster“ allerdings nicht viel mit dem Klassiker gemein – und selbst diese Ausgangslage wird leicht variiert, indem es nicht die männliche Hauptfigur Terry (Steve Guttenberg) ist, die ein Verbrechen – keinen Mord, sondern eine versuchte Vergewaltigung – beobachtet, sondern seine Geliebte Silvia (Isabelle Huppert). Das Dilemma: Silvia ist mit Terrys Chef verheiratet und fürchtet Indiskretionen, falls sie ihre Beobachtungen der Polizei mitteilt. Andererseits plagt sie ihr schlechtes Gewissen, als sie und Terry herausfinden, daß in derselben Nacht in unmittelbarer Nähe eine andere junge Frau vergewaltigt und getötet wurde. Aus einer fixen Idee heraus meldet Terry Silvias Augenzeugenbericht bei der Polizei, gibt ihn allerdings als seinen eigenen aus. Er wird diese Entscheidung noch mehr als einmal bereuen...

Terry erinnert in der Folge in seiner hoffnungslosen Naivität nicht selten an Roger Thornhill aus „Der unsichtbare Dritte“, der es ja für eine gute Idee hielt, ein soeben von einem Unbekannten als Mordwaffe verwendetes Messer medienwirksam aus dem Rücken eines Toten zu ziehen und direkt mit einem „Sehen Sie!“ auf den Lippen in die Fotoapparate der anwesenden Presse zu halten. Im ehrenhaften Bestreben, nur das Richtige zu tun, reitet sich der Sonnyboy mit seinen Aussagen immer weiter in die Scheiße, bis ihm das Wasser selbst bis zum Hals steht. Guttenberg, oftmals als Fehlbesetzung bezeichnet, verkörpert den Verdächtigen wider Willen mit seinem freundlichen Gesicht entsprechend gutmütig – ein sympathischer Jedermann, der die ganze Zeit wie ein tapsiger Teddybär wirkt. Der gute Roger hatte wenigstens noch jederzeit einen flotten Spruch auf den Lippen, während Terry mit großen Augen fragend das Unheil über sich hereinbrechen sieht. Das macht ihn als Frauenschwarm eher unglaubwürdig, aber als Sympathieträger hätte man kaum einen Besseren finden können – vor allem wenn man in ihm immer noch Mahoney aus den ersten vier „Police Academy“-Streifen sieht.

Während die männliche Hauptfigur etwas langweilig und farblos bleibt, sind die beiden weiblichen Charaktere umso interessanter. Die wunderschöne Isabelle Huppert ist etwas unterfordert, strahlt aber auch in ihrer größeren Nebenrolle genügend Glanz aus, um darin überzeugend auszusehen. Wer nun meint, die von ihr gespielte Silvia würde ihrem Freund (à la Grace Kelly im Vorbild) zur Seite stehen, sieht sich getäuscht, wenn sie sich immer deutlicher zu einem egoistischen Miststück wandelt, das nur irgendwie selbst heil aus der Nummer herauskommen möchte, egal welche Konsequenzen das für andere hätte. Demgegenüber steht mit Elizabeth McGovern als der fast einer Vergewaltigung zum Opfer gefallene Denise ein mit äußerst hintergründiger Erotik ausgestatteter Frauentyp, der seine Mitmenschen augenblicklich zu durchschauen scheint. Von wegen Opfer – mit ihrem spröden Charme erobert sie die Herzen der Zuschauer im Sturm und wird zur eigentlichen Attraktion des Films, wenn sie auch erst ab der zweiten Hälfte mehr in den Fokus rückt.

Auch Brad Greenquist, vielen wohl eher bekannt als Geist Pascow aus „Friedhof der Kuscheltiere“, ist keiner dieser nach Schema F gestalteten Schurken, die man sonst so häufig sieht. Fast wortlos huscht der schüchterne und völlig unscheinbare junge Hüne mit seinen roten Haaren und einem blassen Teint durch die Geschichte und ist lediglich ein von außen gezeigtes Chiffre, das offenbar von seinen Trieben geleitet wird. Sein Henderson ist ein authentischer Antagonist, der nie in den übertriebenen Psychopathenmodus fallen muß, um bedrohlich zu wirken, wobei er sich gleichzeitig von außen den netten introvertierten Schwiegersohn bewahrt.

Mit diesem Quartett im Vordergrund entwickelt sich eine spannende Story, die nur zwei Minuten nach den letzten Opening Credits in die Vollen geht und den Zuschauer gleich hineinstößt und trotz bekannter Schemata manch unerwartete Wendung einstreut. Ungewöhnlich ist, daß der Täter nicht nur dem Zuschauer von Anfang an bekannt ist, sondern auch bei der (hier durchaus gut und eifrig arbeitenden) Polizei ganz oben auf der Verdächtigenliste steht, sich aber immer weiter herauslavieren kann, je mehr Widersprüche sich aus Terrys Aussagen ergeben. Ein wahres Glanzstück ist die Gerichtsverhandlung, in der der wunderbare Wallace Shawn (Vizzini aus „Die Braut des Prinzen“) als Hendersons Verteidiger Terry mit Fragen zur fraglichen Tatnacht bombardiert, die harmloser nicht sein könnten, aber gleichzeitig nötig sind, um nur wenige Augenblicke später mit einem Schlag den vermeintlichen Zeugen genüßlich demontieren zu können.

Generell hat der Film den interessanten Nebeneffekt, daß man Terry zwar einerseits die Daumen drückt, er möge heil aus der Sache herauskommen, andererseits beobachtet man aber auch mit einigem Vergnügen, wie sich durch eine unbedachte Äußerung oder bloß simplen unglücklichen Zufall nach dem anderen die Schlinge um seinen Hals immer enger zusammenzieht. Da darf man auch mal schmunzeln, selbst wenn es auf Kosten des Helden geht. Denise trifft den Nagel schon auf den Kopf, wenn sie einmal zu Terry sagt: „Entweder sind Sie ein hoffnungsloser Romantiker oder Sie sind ein Idiot.“ So entwickelt sich ein stetiges Gefühl zwischen Mitleid und Schadenfreude für den armen Terry, dem über kurz oder lang nichts anderes übrigbleiben wird, den Täter selbst zu stellen, um zu beweisen, daß er aufgrund enormer Blauäugigkeit ganz zufällig in die Sache hineingeschlittert ist.

Letztlich ist „Das Schlafzimmerfenster“ natürlich nichts für die Ewigkeit, aber eben einfach sehr passable, flotte und angenehm bodenständige Unterhaltung mal nicht ganz so nach Schema F wie viele Thriller ganz ohne Effekthascherei und jegliches Blutvergießen zum Immer-wieder-Ansehen, mir zudem seit Jugendzeiten noch mit einem Schuß Nostalgie positiv in Erinnerung, als er noch hin und wieder im Nachmittagsprogramm auftauchte. 7/10.

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