Hier ist er, der letzte Teil der losen Trilogie über die psychischen Folgen des völlig anonymisierten Lebens in der Großstadt. Durfte ich Ekel noch nicht bewundern, kann ich sagen, dass zumindest Rosemaries Baby von diesem Film klar übertroffen wird.
Dies liegt gerade daran, dass Der Mieter keine klar erkennbaren Anleihen beim Übernatürlichen hat und dass der Zuschauer nicht in Wirklichkeit schon mehr weiß als die Hauptperson und mit ihr nur mitfiebert, um zu wissen, wann sie endlich hinter das Komplott kommt, nein, das Böse bekommen wir hier nie zu Gesicht. Stattdessen: Es lauert hinter jeder Ecke, überall verstecken sich grausige Abgründe, kein Mensch ist, was er zu sein vorgibt. Oder ist das alles nur blanke Vermutung? Mit dieser Paranoia spielt dieser Film geschickter als jener Horrorklassiker (der natürlich mehr ist als nur ein Gruselstreifen), da er die Frage nach dem Wer, Wie und Warum bis zum Schluss offenlässt. Dadurch vermag dieses Psychodrama mit seinem tückisch trägen Tempo eine weitaus spannendere und beängstigendere Atmosphäre aufzubauen als in anderen Studien über den möglichen Wahnsinn eines paranoiden Menschen und lässt den Zuschauer dank dem offenen Ende im Gegensatz zu Filmen mit deutlicherer Aufklärung wie z.B. Cronenbergs Spider (ebenfalls sehr empfehlenswert) im Unklaren über die Wahrheit des Gesehenen.
Der eigenbrötlerische und psychisch labile, leicht beeinflussbare Trelkovsky ist natürlich wie geschaffen für den gezielt hervorgebrachten Verfall des Geistes. Aufgrund mangelnder Alternativen bezieht er eine kleine, heruntergekommene Pariser Mietwohnung, die zudem noch vorher von einer Selbstmörderin bewohnt wurde. Diese eigentlich wohl sehr lebenslustige Frau stürzte sich aus heiterem Himmel aus dem Fenster zum Hof (das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen) und durchbrach das Glasdach darunter. Der Blick auf diesen kleinen, verwinkelten, gar verzaubert wirkenden Innenhof eröffnet den Film. In einer langen Kamerafahrt ohne einen einzigen Schnitt zeigt uns Polanski zu hypnotischer Musik (allerdings nicht ganz so gelungen wie in Rosemaries Baby) die Fenster der einzelnen Mietwohnungen. Die meisten Gardinen sind zugezogen, Schemen schauen dahinter hervor. Gestalten, die kurz hervorlugen, verschwinden alsbald wieder im Schatten. Haben sie etwa Böses zu verbergen? Möchten sie nur nicht gesehen werden? Eines wird bereits nach dieser Sequenz deutlich, die das Thema des Films zusammenfasst: Die Anonymität des verschlossenen Lebens bringt nur Schaden. Diese Kritik ist die erste Botschaft, die diesem Film mit Bestimmtheit entnommen werden kann. Der Rest verschließt sich hinter den vielen Türen des Mietshauses.
Trelkovsky ist dazwischen gefangen: Während er alles um sich herum beobachtet, hat er das Gefühl, seinerseits unter ständiger Beobachtung zu stehen. Wenn er aus dem Fenster sieht und nach Zeichen, vielleicht Gründen der Tat späht, blickt der Zuschauer mit ihm. Die Identifikation fällt leicht, denn die Umwelt ist verschlossen und feindlich.
Zudem ist sie äußerst rätselhaft: Beim Blich hinaus sieht Trelkovsky auch auf die außerhalb seiner Wohnung gelegene Toilette. Jedesmal, wenn er sie beobachtet, steht dort ein anderer Mieter. Rührt sich nicht. Verzieht keine Miene. Stundenlang. Diese völlig paranormale, unbestimmt beklemmende Beobachtung in trister Alltagskulisse wiederholt sich den ganzen Film hindurch und wird zur Klaue, die sich in Trelkovskys Psyche bohrt und ihm die Frage unterschiebt, was von der heilen Welt um ihn herum eigentlich noch normal ist. Eine andere Klaue ist das seltsame Verhalten der anderen Mieter und des kleinen Cafés gegenüber. Zunehmend behandelt ihn sein Umfeld wie die verstorbene Vormieterin: Er bekommt die noch für sie bestimmte Post, ihm wird ihr Verhaltensmuster nahegelegt, ihm wird ihr Lieblingsfrühstück serviert, ihm wird ihre Zigarettenmarke gegeben - bis er anfängt, sie selber zu bestellen.
Das Rad dreht sich weiter und die Verstörung Trelkovskys nimmt zu. Er hasst seine dominant auftretenden Mitmieter, geht aber immer auf sie ein und gibt ständig nach. Die zweite Botschaft dieses Films, sich nicht auf Teufel komm raus der Umwelt zu unterwerfen, erinnert stark an Rosemaries Baby, wenn sie auch dort noch ein ganzes Stück pointierter (da mit feministischen Anklängen versetzt) hervorsticht. Er beginnt sich im Fiebertraum so zu schminken uns zu kleiden wie die Vormieterin - das Kleid hing beim Einzug im Schrank. Schließlich spitzt sich die Situation zu und es kommt zu einem äußerst bösartigen Finale, das keinem Zuschauer die Genugtuung "Hab ich's doch gewusst" bieten kann. Haben die Mieter Trelkovsky durch perfide Psychospiele in den Wahnsinn getrieben? Dagegen sprechen die Selbsttäuschungen Trelkovskys. Ist er einfach nur paranoid? Dagegen wiederum sprechen einige sehr deutliche Manipulationsszenen sowie einige Szenen, bei denen nicht mit Gewissheit gesagt werden kann, ob sie nur seiner Einbildung entspringen.
Polanski, gleichzeitig äußerst bravourös spielender Hauptdarsteller, zeigt uns ein hintergründiges Spiel, deren Spieler keine Identität haben - bis auf einen. Dieser zerbricht unter seiner eigenen zurückhaltenden Höflichkeit, der Schroffheit der abgehärmten Anderen und der Einsamkeit in der abweisenden Großstadt Paris, die hier jeden positiven Charme verliert. Dabei verzichtet er auf allzu deutliche Anspielungen, liefert noch nicht einmal eine Lösung und lässt den Zuschauer mit einem klammen Gefühl alleine stehen. Ein abgründiges Meisterwerk!