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Haben Sie jemals in einem Haus gelebt, das eine derart widerliche Verdammtheit ausstrahlte, als stünde es als finstere Bedrohung über allem? Nein? Vielleicht beabsichtigen Sie ja demnächst umzuziehen in eine heruntergekommene Wohnung mit blumig-grau befleckter Tapete und morschen Dielen. Selbstverständlich ohne eigene Toilette. Sie können, wenn Sie möchten, von Ihrem Fenster aus, und im Schutze nikotinfarbener Gardinen, mit paralysierter Miene in die Gemeinschaftstoilette auf der anderen Seite Ihrer neuen Wohnerrungenschaft blicken. Oder Sie lenken Ihre Augen auf den eingekesselten Hinterhof, aus dem sich jeder Räusperer zu einem heraufgewirbelten Schall empört, um schließlich hernieder zu gehen auf dessen aschfahlen Antlitz. Ist Ihr Interesse geweckt? Bevor Sie aber den Mietvertrag unterschreiben, denken Sie bitte daran, Ihre zukünftigen Nachbarn genau unter die Lupe zu nehmen. Nichts könnte mehr so sein wie bisher, sollten Sie gewisse Dinge nicht beachten.

Betrachten wir beispielsweise Trelkovsky, den "Glücklichen Mieter", so hatte er anfangs noch geheißen, als er eine kleine 2-Zimmer Wohnung in Paris bezog. Doch in der Rue des Pyrénées geschehen unheimliche Dinge. Nicht nur, daß sich die Vormieterin, Mademoiselle Choule, aus dem Fenster und schließlich zu Tode stürzte, einige unheilbringende Scharmützel mit den Nachbarn läuten sogleich eine bedrohliche Abfolge schrecklicher Ereignisse ein. Zugleich schüren sie die Angst des schüchternen Angestellten Trelkovsky (Roman Polanski höchstselbst) und veranlassen ihn zu glauben, er sei der Auserwählte, das nächste Opfer einer sich gegen ihn verschworenen Mörderbande, der auch Simone Choule zum Opfer fiel. Als er kurz darauf mysteriöse Beobachtungen im Wohnkomplex macht und unheimliche Beweismittel sicherstellt, muß sich Trelkovsky mit der suizidalen Kraft überhitzter Atome auseinandersetzen. Simones beste Freundin Stella (Isabelle Adjani) kann jedoch nicht so recht an eine Verschwörung glauben. Im Verlauf erzwingt Trelkovsky förmlich die nähere Bekanntschaft zu Stella, die für ihn allmählich zur einzig vertrauten Bezugsperson wird ohne, daß sie seinen Geisteszustand einzuschätzen versteht. Und mit jeder weiteren Mietbeschwerde gegen den auf "Ruhestörung spezialisierten" Trelkovsky, gleitet der Arme immer tiefer in die Klauen des "Satans", denn die drangsalierenden, rügenbeseelten Nachbarn, allen voran Hausbesitzer Monsieur Sy (Melvyn Douglas) und die mürrische Concierge (Shelley Winters) sind mit karbolischem Witz à la "Rosemarys Baby" ausgestattet und von derart beschämend-unsympathischer Erscheinung, daß man durchaus nachvollziehen kann, weshalb sich ein "... schmaler, scheuer Bursche mit dem Charakter einer feuchten Hand ..." (wie ihn Roland Topor in seiner gleichnamigen Novelle beschreibt) als gesellschaftlich ausgestoßen und bedroht sieht. In der Annahme, eine Flucht, ja sogar der Selbstmord könne nicht alle Probleme lösen, kehrt Trelkovsky trotz alledem immer wieder an den so gefürchteten, ja infernalischen Ort zurück. Ein Mann zwischen Verfolgungswahn und Realität.

Roland Topors locker leichte Erzählstruktur steht Roman Polanski wunderbar zu Gesicht. Da ist es auch kaum verwunderlich, daß er sich dieser spöttisch-untertönigen Geschichte annahm und gemeinsam mit Gérard Brach die feinen Rhythmen der Dialoge voranbrachte. Roman Polanski ist ohne Zweifel ein Enfant Terrible im internationalen Filmgeschäft. Ein unverwechselbares Genie des Suspense, der Schauderlichkeit und der Begierde. Nicht selten stand ihm dabei der große Meister, Alfred Hitchcock, im Geiste zur Seite. Nehmen wir Hitchcocks großen Lebenskomplex, die vielstufige Treppe, die sich im "Mieter" ebenso widerspiegelt, wie der brilliant hommagierte Innenhof aus "Das Fenster zum Hof". Brisant, ironisch und unter Einbindung klaustrophobisch unterkühlter Farben, gelingt es Polanski wieder einmal, den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle zu stürzen.
Natürlich ließ er es sich nicht nehmen, auf ein regelmäßig wiederkehrendes und exemplarisches Element seiner Filmkunst zurückzugreifen. Jene betörende Tanzszene mit Isabelle Adjani, die eine spannungslösende Wirkung entfaltet und zumindest für einen Moment eine Verschnaufpause gewährt, bevor das große, überaus finstere Finale wortwörtlich ins Haus steht. Die Instrumente werden gestimmt für Trelkovskys Vorstellung. Machen Sie sich auf was gefasst.

Mein Fazit:
Roman Polanskis gruseligster Filmbeitrag wurde seit jeher von einigen Unbelehrbaren als Horror tituliert und entsprechend abgewertet. Dabei dürften die ohnehin schrillen Kritikerstimmen um eine weitere Querpfeifenoktave angestiegen sein. Tatsächlich aber ist ihm mit "Der Mieter" ein Film gelungen, der die Unvergänglichkeit menschlicher Schwächen genüßlich aufarbeitet, ohne das Schlagwort Horrorfilm auch nur jemals in den Mund genommen zu haben.
Mein persönlicher 3. Platz in der Polanski-Filmographie hinter "Chinatown" und "Frantic".
10/10

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