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Von der ersten psychotherapeutischen Patientin des Freud-Schülers Carl Gustav Jung zur selbst Kinder behandelnden Psychiaterin und Theoretikerin: Die Geschichte der Sabina Spielrein gehört zu den faszinierendsten Kapiteln der frühen Psychoanalyse – und zu den tragischsten, denn die russische Jüdin wurde später Opfer der Shoah.

Die europäisch co-produzierte Spieldokumentation zeichnet ihre bewegte Geschichte im Spannungsverhältnis des beginnenden 20. Jahrhunderts nach, zwischen Freud, Jung, der aufblühenden Psychoanalyse, den politischen Umwälzungen jener Jahre und ihren ganz persönlichen Erlebnissen. Dazu werden historische Briefe und Unterlagen, essayistische Texte und literarische Quellen durch einen Sprecher aus dem Off zitiert, während eine Handvoll Darstellender die beschriebenen Szenen zur Visualisierung nachstellen – ohne eigene Dialoge, stets nur als verstärkende bildhafte Beschreibungen.

Diese inszenatorische Herangehensweise verleiht „Ich hieß Sabina Spielrein“ anfangs eine durchaus interessante Atmosphäre: In oft dunklen, teils poetischen Bildkompositionen – Detailaufnahmen auf Briefe oder Alltagsutensilien, vor Gegenlicht agierende Figuren, deren Gesichter unkenntlich bleiben, Szenen, die das Beschriebene illustrieren, dabei aber aus dem inhaltlichen Zusammenhang gerissen scheinen – werden die persönliche Notsituation Spielreins sowie die klinisch unterkühlte Herangehensweise Jungs und Freuds Kommentare inszeniert. Die Off-Sprechenden machen ihre Sache gut, verleihen den einzelnen Figuren charakteristische Sprechweisen, Formulierungen und Akzente, sodass man als Zuschauender nie in Verwirrung zu geraten droht, wessen Gedanken oder Hinweise gerade zu hören sind. Der zurückhaltende Score und die mäandernde Erzählweise tun ihr Übriges, um der Erzählung eine dichte, reflektierende Atmosphäre zu verleihen.

Mit der Zeit jedoch erstarrt diese Art der inszenatorischen Umsetzung in repetitiven Schleifen. Die einzelnen Stationen dieser bewegten Geschichte werden arg kurz und verdichtet abgehandelt – die erfolgreiche Therapie, die persönliche Übertragung Spielreins gegenüber Jung, ihr Aufstieg zur selbst anerkannten Therapeutin – sodass die für die betroffenen Personen wohl sehr tiefgreifenden Ereignisse relativ simpel zu lösen wirken und keine echte Dramatik in der Erzählung aufkommt. Auch werden die Ereignisse mit fortlaufendem Zeitraum immer theoretischer – von der immerhin noch durch neurotische Verhaltensweisen geprägten Behandlungszeit entwickelt sich alles immer stärker zu rein fachlichen Diskussionen und Überlegungen. Natürlich ist ein Film mit dokumentarischem Anspruch an den historischen Gang der Ereignisse gebunden, dennoch hätte es hier Mittel und Wege geben sollen, diese Geschichte bis zum Ende spannender zu vermitteln.

Auch merkt man dem Film an, dass er sich in erster Linie an ein ziemlich intellektuelles Publikum wenden will. Die Hintergründe der Psychoanalyse, ihre Bedeutung und gesellschaftserschütternde Dimension werden nur angerissen und schnell abgehandelt, ebenso wie einige wichtige politische Umwälzungen im Russland jener Jahre (die politischen Erdbeben im deutschsprachigen Raum, ja selbst der Erste Weltkrieg, werden beinahe völlig ignoriert), sodass hier eine ganze Menge Vorwissen verlangt und erwartet wird. Wer sich unbedarft an diesen Film heranwagt, wird wohl die eine oder andere Schwierigkeit haben, die Bedeutung einzelner Aspekte vollumfänglich zu begreifen. Auch die eher träge dramaturgische Umsetzung mit ihrem durchgehend langsam und gemächlich bleibenden Erzählfluss wirkt recht selbstverliebt und prätentiös, da sie eine spannendere Inszenierung der eigenen intellektuellen Darstellung zu opfern bereit ist.

„Ich hieß Sabina Spielrein“ bleibt als dokumentarischer Spielfilm zwischen bildhaftem Essay, historischem Abriss und informativem Kino ein interessanter Versuch, verhebt sich aber ein wenig am eigenen Anspruch und kann das anfängliche Interesse für seine ungewöhnliche Herangehensweise nicht durchgehend aufrecht erhalten. Am Ende ist er nur für psychologiehistorisch vorgebildete Zuschauende von echtem Interesse – und ob die hier über einige schöne Bildkonstellationen hinaus etwas wirklich Neues entdecken, bleibt fraglich.

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