Vorwort:
Wenn man die innovativsten, wichtigsten Serien des neuen Jahrtausends ausmachen will, dann fallen zwangsläufig immer die gleichen Namen:
Auf Kabelserien sind das beispielsweise The Shield, the Wire oder nicht The Sopranos. Und im öffentlichen Bereich sind es lediglich 24 und nicht zuletzt Lost.
Sicherlich fallen auch mal hier und da andere Namen aber sollte man wirklich nur 5 US-Serien nennen dürfen: Auf diese 5 Serien läßt sich das erste Jahrzehnt des dritten Jahrtausends reduzieren.
Viele Kritiker sprechen dann sogar von den besten Serien aller Zeiten, weil hier erstmal innovative Erzähltechniken verwendet wurden und dem Zuschauer ein neues Seherlebnis vermittelt wurde.
Es gab nicht nur in sich geschlossene Episoden-Folgen sondern es wurde eine durchgängige Geschichte in einem langen Erzählbogen wiedergegebn, die sich, je nach Serie entweder über 1 Staffel oder serienübergreifend entfaltete, ohne jedoch als Seifenoper a la Dallas abgetan zu werden.
Tatsächlich war es so, dass diese Serien durch ihren staffelübergreifenden Handlungsbogen wöchentlich zwar immer mehr Zuschauer abgaben, dafür jedoch andere Medien wie Internet, Aufzeichnungen und nicht zuletzt DVD- und oder BluRay-Verkäufe, eher die Popularität der Serie wiedergab als die tatsächlichen Einschaltquoten.
Hier in Deutschland ist dies bei den Verantwortlichen Senderbossen entweder noch gar nicht angekommen oder zu sehr verzögert.
Der hohe Kritikerlob sowie die Anerkennung beim Publikum in den anderen Medien ebnete daher weiteren Serien den Weg in die Produktion, welche teilweise erfolgreich funktionierte (zB Dexter, Breaking Bad) oder sich nicht dauerhaft durchsetzen konnte (Prison Break, Flash Forward etc). Hier wurde auch ersichtlich, dass die Kabelserien dauerhaft stärkere Überlebenschancen hatten, dafür aber nicht mehr die ganz große Geschichte erzählen konnten, wie es 24 oder Lost getan hatten.
Doch wie gut waren diese Serien tatsächlich?
Innovativ? Ja!
Wichtig? Auf alle Fälle!!!
Bedeutend? Sicherlich....
Dauerhaft gut und tatsächlich die besten Serien aller Zeiten? Nun ja, man neigt gleich dazu, alles derzeitige zu superlativieren.
The Wire ist schwer zugänglich, Sopranos ist mehr als nur manchmal sperrig und langweilig, Shield ist teilweise bitterböse Seifenoper im tristen Polizeidrama-Outfit. 24 ist Propaganda pur. Und Lost?
Man kann ganze Bücher und Romane über Lost schreiben, oder aber versuchen es ebenfalls nüchtern zu subsummieren:
In einer Serie wie Lost zählt letzten Endes nur das Endresultat, weil alles darauf hinaus läuft, es wird eine Geschichte erzählt, die über Umwege von A nach Z führen sollte. Und nur wenn am Ende Z tatsäch kommt, kann es allenfalls als Erfolg durchgehen.
Wir werden jetzt die einzelnen Staffeln kurz anschneiden, bewerten, den Durchschnitt bilden, und dann trotzdem eine subjektive Bewertung abgeben...
Staffel 1:
Ein Flugzeugstürzt ab, viele Leute überleben, pro Episode wird ein Überlebender in Rückblenden näher beleuchtet, während man auf der Insel versucht, erstens irgendwie zu überleben und zweitens Rettung zu finden.
Nicht unwichtig hierbei ist, dass auf der Insel merkwürdige Sachen passieren.
So nichtssagend diese prämisse daher kommt, gelingt es den Machern auf geniale Weise, mit den Fremden Protagonisten mitzufühlen, Sympathien für sie zu entwickeln, und man möchte von Woche zu Woche mehr über sie erfahren.
Dabei erfährt man nicht immer nettes über sie (Betrüger, Mörder, Drogenbarone, Drogenabhängige, Betrüger, alles scheint dabei zu sein), gleichzeitig wird aber die Inselgeschichte im richtigen Tempo vorangetrieben.
Tatsächlich mag man fast meinen: Eine der gelingensten ersten Staffeln aller Zeiten. Nimmt man noch das pervers spannende Staffelfinale kann es hierfür nur 10 Punkte geben.
Staffel 2:
Die Macher der Serie ruhen sich nicht auf ihren Lorbeeren aus sondern vertiefen das Mysterium der Insel im gerade nötigen Maße, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Hierbei werden immer deutlicher die Verflechtungen der protagonisten untereinander zelebriert, was in Staffel 1 noch subtiler Stil wurde, wird nun stärker in den Fokus gerückt.
Außerdem wird ganz deutlich, dass man nicht alleine auf der Insel ist.
Es werden außerdem mehrere der populärsten Charaktere der Serie überhaupt eingeführt und die Handlung bewegt sich zusehends in eine Metaebene, mit mehr als nur einer Deutungsmöglichkeit.
Tatsächlcih ist diese zweite Staffel wirklich sehr gut, durchaus aber mit leichten Längen, hinzu kommt ein gewisser Frustrationseffekt, weil plötzlich immer mehr Fragen gestellt werden, ohne Antworten zu liefern.
Trotz allem - vor allem auch wegen der Kompromißlosigkeit bezüglich gewisser Charaktere und Überaschungsfähigkeit der Serie - 9 Punkte.
Staffel 3:
Deutliche Abnutzungserscheinungen machen sich breit im narrativen Konzept der Serie, viele handlungen der Charaktere ergen plötzlich keinen Sinn mehr, viele Charaktere die glaubwürdig aufgebaut wurden, verlieren zusehends eben an dieser. Dadurch dass die Charaktere ständig im Fluß befinden, verschieben sich die Sympathien der Zuschauer auch mehrmals seit Staffel 1.
Erstmals gelingt den Insulanern der Kontakt mit der außenwelt und das Finale der Staffel suggeriert, dass man von der Insel entkommen ist.
Wer eine grandiose Serie im Gedächtnis behalten möchte, hört nach dieser Staffel auf, weiterzuschauen, denn man kann dies als Abschluß, wenn man denn will, ansehen.
Gleichzeitig wird neben den Rückblenden ein weiteres Stilelement überraschend eingeführt, welches der Serie in den folgenden Staffeln neues Blut injiziert.
Mit Wohlwollen 8 Punkte, auch wenn es hier deutliche Längen gibt.
Positiv ist auch festzuhalten, dass viele - ja fast alle - Rückblendengeschichten abgeschlossen werden. Auch dies spricht für den Abschlußcharakter dieser Staffel.
Staffel 4:
Wie kommt man von der Insel, was ist die Insel, sollte man irgendwann doch auf die Insel zurückkehren? Und noch wichtiger: Ist das alles von Belang?
Ohne Rücksicht auf Verluste erhöht sich die Schlagzahl der Serie, es geht ab wie sonst in drei Staffeln kaum. Action und Mystery gehen Hand in Hand, dabei wird auf Logik größtenteils gepfiffen, statt dessen wird eine interne Serienlogik bemüht, die Zeit und Raum zu krümmen vermag.
Wie gesagt, Meta-Ebene und Pop-Kultur. Action und Anspruch. Charakterisierung und Hnadlungsvorantreibung.
Die Charakterisierung klappt hierbei immer seltener, die figuren verlieren zusehends an Profil, die Story wird zusehends undurchschaubarer.
Zum Glück steht nun das Enddatum und die Macher können uns auf das Ende vorbereiten.
Die Staffel selbst lebt nur von der Prämisse der vorangegangenen Staffeln, verbunden mit dem neuen Erzählkonzept und dem Versprechen der Erlösung, sprich Antworten sollen folgen.
An und für sich eine konfuse Gelegenheit, die für Quereinsteiger zusehends ungeeignet wird und selbst eingefleischte Fans am Endsinn zweifeln läßt.
Dennoch: Anspruchsvolle Lektüre ist es allemal, und fesselnd auch. 6 Punkte.
Staffel 5:
Nun ja, wer gedacht hatte, dass Staffel 4 den Vogel abschießt, der hat die erste Hälfte dieser Staffel nicht erwartet: Mit welcher Schlagzahl welche narrativen Wechsel eingeführt werden, wie welche Konzepte auf den Kopf gestellt werden, wie fragen beantwortet werden, nur um dann wieder zu noch mehr Fragen zu führen, das ist wirklich aller Ehren wert. Ganz nebenbei wird in der zweiten Staffelhälfte das tatsächliche Serienfinale mustergültig verbereitet, mit einem Staffelfinale, das es in mehrerer Hinsicht in sich hat.
und man darf einfach nicht vergessen, die Schauspieler, die größtenteils auch nicht wissen, wohin die Reise gehen soll mittlerweile durchgängig gute bis sehr gute Leistungen liefern.
So muß eine Serie im neuen Jahrtausend sein: Mitreißend, fordernd und gleichzeitig unterhaltend. Letzteres ist die Hauptsache.
Die beste Staffel seit der dritten Staffel, ja fast besser: 8 Punkte.
Staffel 6:
Die Inselgeschichte wird konsequent zu ende erzählt, gleichzeitig werden die Antworten gegeben, die die Autoren für nötig erachten. Eine Reise von 6 Jahren findet ihr Ende in einem nervenzerfetzenden, den Zuschauer auch irgendwie schlauchenden, monumentalen Showdown und darüber hinaus.
Viele Zuschauer werden sich wie vor den Kopf gestoßen fühlen. Viele werden irgendeinen Sinn hinein interpretieren. Viele werden sich verraten fühlen. Andere werden sich gereinigt fühlen. Und wieder anderen wird am Arsch vorbeigehen.
Das Ende, welches tatsächlich ein absolutes Ende dieser Serie ist, und keinerlei Hintertür für eine weitere Serie offen läßt - obwohl viele Fans das anders sehen dürften - ist eines, das viele Fragen offen läßt, bewußt offen läßt und es dem Zuschauer selbst überläßt, wie er es gesehen hat.
Auch dies ist das Privileg einer überragenden Serie.
Die Staffel selbst ist ein bißchen stümperhaft aufgestellt, ja geradezu irgendwie zurechtgebogen: 6 Punkte.
Serienfinale: 9 Punkte
Letzte 15 Minuten: Keine Wertung.
Durchschnittswertung:
rein mathematisch wäre dies (10+9+8+6+8+6)/6=47/6= aufgerundet 8 Punkte.
Doch wie eingangs erwähnt lebt solch eine Serie wie Lost davon, wie der Weg von A nach Z zustandekam, und ob Z einem gefällt, die Wertung muß also mit dem Zustandegekommenen Finale völlig subjektiv ausfallen.
Fakt ist, Lost hat sich jede Staffel neu erfunden, ist sich aber gleichzeitig selbst treu geblieben: dafür 10 Punkte.
Fakt ist, Lost hat eine Geschichte -auf ganz großen Umwegen - erzählt, die man sicherlich auch kürzer hätte fassen können, ja, fast müssen. dabei aber den zuschauer förmlich in den Sessel gedrückt. Auch dafür 10 Punkte, denn unterhalten war mal allemal.
Fakt ist, Lost war ein Serienprodukt, und mußte dementsprechend aufgebläht werden, solange es lukrativ war, damit sich die produktion lohnt, damit wurde es zu einem Merchandising, das es so in der Art erstmalig gab. Mit Argwohn auch hierfür 10 Punkte.
Fakt ist, DAS Ende ist nicht jedermanns Sache. Auch das ist gut so, denn irgendwann war ja sowieso klar, dass nicht alle Zuschauer zufrieden sein würden: Ich bin auch nicht wirklich glücklich über das Ende. Dennoch muß ich zugeben, die Erklärung hat was, wenn auch nicht als Erklärung aller Fragen. 8 Punkte.
Wie gut ist Lost also wirklich?
Tatsächlich ist sie sehr gut. Niemals die beste Serie aller zeiten. Auf einer Stufe mit Nummer 6. Extrem innovativ und seiner Zeit weit voraus. Außerdem hat sie Pioniersarbeit geleistet. Und viele zukünftige Serien werden sowhl von den Errungenschaften als auch von den fehlern der Serie profitieren.
Würde ich sie wieder schauen? Gute Frage, weiß ich nicht, derzeit aber auf gar keinen Fall.
Nicht die qualitative sondern subjektive Wertung: 9 Punkte, gerade weil ich bis zum Ende gehofft habe, und am Ball blieb und 6 Jahre sollten doch was wert sein...