Bei jeder Oper gibt es ein Vorspiel, eine Ouvertüre in der die Leitmotive des kommenden Singspiels vorgestellt werden. Bei "The Scarlet Letter" gibt es auch ein kleines Vorspiel. Es wird ein Bibeltext zitiert ; der Sündenfall im Garten Eden, Eva nimmt von der Schlange den Apfel und isst davon, sie reicht ihn an Adam und auch er isst davon. Das bedeutete dann das Ende der Aufenthaltsgenehmigung und die zwei wurden vertrieben.
Treffender kann die Ouvertüre zu diesem Film nicht sein, "The Scarlet Letter" ist eigentlich wie eine Oper. Der Film ist dekadent aber edel, er ist übertrieben und forciert, spielt mit Verführung und Sünde ebenso wie mit Reue und Melodramatik. Die Vernunft der Liebe und die unbändige Leidenschaft des instinktiven Verlangens werden hier gegeneinander ausgespielt. Es wird sowohl gemordet und gehasst als auch geliebt und begehrt, ein Wechselbad der Gefühle in ästhetischen Bildern. Niemals billig oder schmuddelig zeigt der Film was passiert, wenn die Äpfel im Leben eines Menschen einen übermenschlichen Reiz auszuüben scheinen.
Wir sehen den Polizisten Ki-hoon ( gespielt von Han Suk-kyu ) wie er im Auto eine Opernarie mitsingt. Lässig den Arm aus dem Fenster macht er sich noch über die übertriebene Dramatik des Textes lustig. Dann wird er zu einem Mord gerufen. Der Besitzer eines Fotostudios wird von seiner Frau Kyeong-hie ( gespielt von Seong Hyeon-a ) tot aufgefunden. Schnell gerät diese in den Verdacht ihren Mann selber umgebracht zu haben. Ki-hoon verdächtigt sie eine Affäre zu haben.
Er selber allerdings ist alles andere als ein Unschuldslamm. Verheiratet mit der schönen Cellovirtuosin Su-hyeon ( gespielt von Uhm Ji-won ) leistet Ki-hoon sich eine heisse Affäre mit deren Schulfreundin Ga-hee ( gespielt von Lee Eun-ju ). Die ist Klaviervirtuosin und spielt in einem Blues-Club. Wie überhaupt die beiden Frauen seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der Musikhochschule einen gänzlich unterschiedlichen Weg gegangen sind. Su-hyeon verwirklicht ihren Traum von der christlich heilen Familie und erwartet das erste Kind ; Ga-hee lebt zwar unabhängig aber dennoch allein und ziellos ein vollkommen anderes Leben.
Als Ga-hee ebenfalls von Ki-hoon schwanger ist und sich mit ihrer Rolle als Betthäschen immer schwerer abfinden kann, steuert der Film unaufhaltsam in die finale Katastrophe. Neben dem Mordfall gerät sein privater "Fall" für Ki-hoon zum Trauma.
Den Vergleich mit der Oper mache ich ziemlich bewusst. Wo sonst wird in kürzester Zeit gemordet und geliebt, gestorben und geboren, in einer Intensität gelebt wie sonst nirgendwo?
Richtig... in den dramatischen romantischen Opern aus Italien. Und mit einem ebensolchen Blutrausch endet auch "The Scarlet Letter". Die finale Katastrophe sucht sich ihren Weg und kommt in einer ungeahnten Intensität über den Zuschauer. Der Weg dahin bietet allerdings edles und höchst ansehnliches koreanisches Kino der Sonderklasse.
Der Film geizt nicht mit nackter Haut und heissen Sexszenen ; alles zwar wunderschön gefilmt aber dennoch zielsicher auf ein erwachsenes männliches Publikum losgelassen. Natürlich gehöre ich zur Zielgruppe und wenn der Film einen Kritikpunkt vertragen muss, dann den in diesem Punkt berechnend zu sein. Dennoch lasse ich mich durch "Sex sells" doch gerne ködern, gerade wenn es so ansehnlich wie von Lee Eun-ju und Han Suk-kyu vorgetragen wird.
Beide haben extrem starke Szenen und beide spielen als wenn es um ihr Leben ginge. Tragisch nur, dass es bei Lee Eun-ju tatsächlich wohl schon darum ging. "The Scarlet Letter" war ihr letzter Film und sie beging kurz danach im Jahr 2005 Selbstmord. Über die Gründe wurde viel spekuliert, doch mit diesem Film vollzog Lee Eun-ju einen drastischen Imagewechsel ; vom braven Mädchen zur selbstbewussten und sehr freizügigen jungen Frau. Ihr Spiel wirkte auf mich wie eine Befreiung, doch gleichzeitig auch eine unglückliche Emanzipation, hatte sie sich die Aufmerksamkeit doch durch nudistische Szenen teuer erkauft. Dennoch eine starke Rolle für eine starke und vor allem betörend schöne Lee Eun-ju.
Die beiden anderen Frauen spielen zwar etwas zurückhaltender, doch nicht minder schlechter.
Leider kann der Kriminalteil des Films nicht mit dem dramatischen Teil mithalten und dient manchmal nur als Mittel zum Zweck. Die Krimiauflösung erscheint uns dann im Gegensatz zur Dramaauflösung trivial ; doch gegen dieses Ende hätte selbst der gewitzteste Krimiteil alt ausgesehen. Die dramatische Schlussoffensive von Regisseur Hyuk Byun ist einfach zu übermächtig. Und so werden es am Ende knappe 9 Punkte, einfach weil ich gebannt und gefesselt war und weil die Bilder so traumhaft schön waren.
Äpfel gibt es viele im Leben. Viele erscheinen uns auffällig gefärbt und sehen schon allein so lecker und süss aus. Andere sind weniger auffällig aber unter ihrer nichtssagenden Schale verbirgt sich dennoch saftiges Fleisch. Die Kunst scheint zu sein, ebensowenig wie ich im Glashaus sitzend mit Steinen werfe, die Äpfel wenn überhaupt wohldosiert zu kosten. Wie auch woanders die Dosis das Gift macht, scheint es auch hier zu sein.
Nach zwei Stunden läuft dann der Abspann und ein heftiger Schlagabtausch zwischen zwei Frauen und einem Mann ist beendet. Die Vertreibung beendet auch hier die Gier und wie sagt Ga-hee als erstes Wort so schön am Handy als sie Ki-hoon in der Konzerthalle anruft... "AMEN".