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"Man sagt zwar sehen heißt glauben, doch manchmal sind die wertvollsten Dinge auf der Welt die, die wir nicht sehen."

Ein kleiner Junge wartet am Abend vor Weihnachten auf den Weihnachtsmann. Durch zahlreiche Zeitungsauschnitte ist er nicht mehr bereit an ihn zu glauben, er möchte einen Beweis und ihn sehen während er Geschenke bringt. Das Bange warten auf ein Geräusch des Schlittens, das schellen der Glöckchen oder Schritten im Haus wird jäh unterbrochen, als eine Dampflokomotive vor dem Haus des Jungen lautes Getöse verursacht. Als er heraus tritt eröffnet ihm der Schaffner, dass es sich um den Polarexpress handelt. Dieser Zug fährt zum Nordpol, um ein paar ausgewählte Kinder dem Weihnachtsmann vorzustellen, der dort das erste Geschenk persönlich überreichen wird. Zögernd steigt er in den Zug ein und erlebt eine wahnwitzige Fahrt.

Der animierte Kinderfilm "Der Polarexpress" basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Chris Van Allsburg, das in Europa lange Zeit weniger Zuspruch als in Amerika fand. "Der Polarexpress" entführt seine Zuschauer in eine märchenhafte Winterwelt, für die sich Regisseur Robert Zemeckis ("Falsches Spiel mit Roger Rabbit", "Zurück in die Zukunft"-Reihe) einige Kniffe ausdenken musste.

Da das Bilderbuch lediglich fünfzehn Illustrationen beinhaltet wurde das Skript für den Film um einige Sequenzen erweitert. Die eigentliche Handlung und die Botschaft bleiben dadurch aber unberührt. Sie handelt vom Geist der Weihnacht, von Freundschaft, davon dass Geschenke nicht das Wichtigste sind und auch mal kleiner ausfallen dürfen, und vom Glauben an andere und sich selbst. All dies wird zur Abwechslung mal nicht aus der Sicht eines Erwachsenen, wie die häufig rezitierte Geschichte um Ebenizer Scrooge, erzählt, sondern aus der Sicht eines Kindes, mit dessen man sich als kindlicher Zuschauer leicht identifizieren kann. Demzufolge fällt auch der Humor sehr kindlich aus, der ein erwachsenes Publikum kaum begeistern kann.

Da ein handgezeichneter Trickfilm nicht Zemeckis Vision entsprach, wurde auf Animationstechnik gesetzt. "Der Polarexpress" sollte aber nicht nur ein Animationsfilm im Stile von "Shrek" werden, sondern eine konsequente Weiterentwicklung angewandter Techniken. So kam eine überarbeitete Version von Motion Capturing, die Performance-Capture-Technik, auf den Tisch. Mit Sensoren wurden nicht nur Bewegungen sondern auch Gestik, Mimik und Reflexe der realen Menschen erfasst und auf die am Computer erstellten Figuren übertragen. Hierdurch wirken die Figuren zwar stellenweise etwas marionettenhaft aber immer glaubwürdig.
Abseits der animierten Figuren dienen vor allem lange Kamerafahrten zur Demonstration technischer Möglichkeiten. Alle nur denkbaren Stellen des Zuges und dessen Lokomotive sind in Einzelheiten aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu sehen. Die physikalisch unkorrekte Verfolgung einer verloren gegangene Fahrkarte wird durch detaillierte Bebilderung der überflogenen Nordpollandschaft zum wahren, optischen Augenschmaus und bietet eine unglaubliche Weite und Dynamik.

Langweilig wird "Der Polarexpress" zu keiner Zeit, lässt er doch an beliebigen Stellen neben der weihnachtlichen auch eine abenteuerliche Stimmung aufkommen. Der Zug rast durch Schluchten, überwindet Berge und schliddert über einen zugefrorenen See. Wilde Verfolgungsperspektiven vermitteln ein ansprechendes Gefühl von Tempo.
Dagegen fällt der schlichte Inhalt eher negativ aus. Die Figurenzeichnung verhält sich in einfachem Rahmen. Die Unterscheidung zwischen arm und reich und deren Integration zueinander ist da schon die größte Höhe, wobei die darum geschnürte, warmherzige Geschichte zu berühren weiß.

Bereits zum dritten Mal arbeiten Robert Zemeckis und Tom Hanks ("Forrest Gump", "Verschollen") zusammen an einem Film. Diesmal ist Hanks, so wie auch alle anderen Darsteller, aber nicht real sondern in animierter Form zu sehen. Der Star übernimmt dabei nicht nur die Rolle des Schaffners und des kleinen Jungen, sondern auch diverse weitere, an denen man sein Gesicht mal mehr, mal weniger gut erkennt.
Ebenfalls virtualisieren ließ sich Nona Gaye ("Matrix Reloaded", "Matrix Revolutions") und sogar Steven Tyler, der Leadsänger der Rockband "Aerosmith", konnte für einen kurzen Gastauftritt gewonnen werden.

"Der Polarexpress" bietet atmosphärischen Weihnachtszauber mit kleinen Macken. So wirkt die Bilderflut nicht an allen Stellen magisch sondern eher als Mittel zum Zweck, die phantastischen Bilder auf die staunende Menge loszulassen. Auch die Geschichte um den Glauben an den Weihnachtsmann ist eher mager, dafür turbulent und abenteuerlich gestaltet. Die digitale Animation jedenfalls bietet für 2004 optische Maßstäbe und kann neben seiner kindgerechten Präsentation auch Erwachsene kurzzeitig begeistern.

8 / 10

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