Damiano Damianis Filme sind hart. Nicht im Sinne von gewalttätig. Sie sind resignierte Abgesänge auf juristische und staatliche Gerechtigkeit, zwischenmenschliches Vertrauen und Unschuld. Dem Regisseur ist es in seinem umfassenden Gesamtwerk, in dessen Kern im Grunde sämtliche Filme thematisch miteinander verbrüdert sind, dennoch stets gelungen, nie in simplifizierende Schwarzmalerei oder ermüdende Wiederholungen abzudriften. Er schließt seine Geschichten mit der Fassungs- und Ratlosigkeit, der ungläubigen Erkenntnis. Die endgültigen Konsequenzen werden nicht ausformuliert doch die Richtung hat Damiani bereits vorgegeben und lässt nicht viel Hoffnung für eine „heile Welt“, in der eine faire, unparteiische Regierung ohne Korruption und Gewalt herrscht. „Un Uomo in ginocchio“ war einer von Damianis letzten Kinofilmen die sich dieses Themenbereichs annahmen bevor er sich im Anschluss an den Nachfolger „Die tödliche Warnung“ tatsächlich dazu verleiten ließ, in Amerika das Sequel zu „The Amityville Horror“ zu inszenieren. Zweifellos der Tiefpunkt seiner glorreichen Karriere als einstiger Politfilmer.
Der arme Teufel der hilflos in die Mühlen der Mafia-Diktatur gerät wird hier erstmals von Italowestern-Star Giuliano Gemma verkörpert. Ihm ist die Rolle des ehemaligen Autodiebes Nino Peralta, der versucht, sich seiner kriminellen Vergangenheit zu entledigen und ein bürgerliches, harmonisches Leben zu führen, wie auf den Leib geschrieben und zeigt den Schauspieler in ungewohnter Höchstform. Seine wohl impulsive, aber auch abgeklärte Interpretation der Figur stellt ein reizvolles Pendant zu den idealistischen Hitzköpfen eines Franco Nero dar, den Damiani zuvor wiederholt eingesetzt hatte. Nino geht es gut: Er betreibt einen netten kleinen Kiosk an einer Straßenecke in Palermo (der Mafiahochburg schlechthin) der zusammen mit den Resten seiner letzten Beute, die er vor einer zweijährigen Gefängnisstrafe zurücklegte, genug abwirft um seiner Frau Lucia (Eleonora Giorgi, das erste Opfer der Mater Lachrynarum aus Dario Argento’s „Inferno“) und seinen beiden Kindern ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Doch die Vergangenheit wirft ihre Schatten und bietet für die aufmerksame Mafia den perfekten Nährboden, um Nino in ein perfides Komplott zu verstricken und ihn letztlich zum Sündenbock eines Mordes zu machen und auf ihre Abschussliste zu setzen.
Was dieser Einleitung folgt ist ein sehr gesprächiger Film. Doch Damiano Damiani kann es sich leisten, auf Dialoge und komplexe, verschachtelt erzählte Geschichten ohne Action zu setzen. Er ist ein brillanter Erzähler, der seine Figuren ernst nimmt und sie unaufgeregt in nachvollziehbare humane und moralische Engpässe führt aus denen es kein Entrinnen gibt. Das makellose Handlungsgerüst wird zu keinem Augenblick durch erwartungsgemäße Manierismen ins Wanken gebracht, steht wie ein Fels in der Brandung. Es verlangt dem Zuschauer lediglich ein Höchstmaß an Konzentration ab, um den Überblick über die zahlreichen beteiligten Personen in dem undurchsichtigen, zwielichtigen Gespinst der kriminellen Handlungen zu behalten. Die italienischen Nachnamen erschweren dies dem deutschen Zuschauer zu Beginn zusätzlich. Doch man wird mit einem ebenso unspektakulären wie atemlos spannenden und mitreißenden Kriminaldrama belohnt, das sich nicht scheut, den zu Beginn eingeschlagenen unheilvollen Pfad mit beispielhafter Konsequenz bis zum bitteren Ende zu gehen.
An dem Versuch, den labyrinthischen Plot wiederzugeben ohne dabei auszuufern und Signifikantes vorwegzunehmen würde ich an dieser Stelle kläglich scheitern: Aus obiger Skizze spinnen Damiani und sein Co-Autor Nicola Badalucco ein Netz aus Zwängen, Verpflichtungen, Zerstörung und Handlungsunfähigkeit das den Vergleich zu Klassikern wie Orson Welles’ „Der Prozess“ oder Costa Gravas’ „Z“ nicht zu scheuen braucht. Den schwierigen Kunstgriff, der Überzeichnung und Utopie zu entgehen meistern die beiden Autoren mit Bravour, ihre Charaktere stellen sie kurz und bündig vor, verleihen ihnen aber im Handlungsverlauf ein greifbares Profil anhand dessen sie schließlich zum ergreifenden Rundumschlag ausholen.
Neben Nino und seiner Familie stehen drei weitere Figuren im Fokus der Erzählung: An erster Stelle steht Ninos Knastkumpel Colicchia (Tano Cimarosa), ein sympathischer Verlierer der immer darum bemüht ist, Nino vor dem nahenden Unheil zu bewahren und als Gegenleistung einer warmen Mahlzeit nicht abgeneigt ist. Numero due ist Antonio Platamonte (großartig: Michele Placido), ebenfalls ehemaliger Häftling und damit beauftragt, Nino aus dem Weg zu räumen. Unmissverständlich macht er seinem Opfer klar, dass es nur einen Ausweg gibt, um ihm zu entkommen, nämlich an seiner Stelle einen anderen zu beseitigen wofür er sich prächtig bezahlen lassen will. Numero tre: Der scheinheilige Pate Vincenzo Fabriccante (Ettore Manni), der erst spät in Erscheinung tritt und Nino sanft, aber mit süffisantem Nachdruck erklärt, das er keinerlei Macht mehr über sein Schicksal hat.
Im Kern steht und fällt „Ein Mann auf den Knien“ mit den Dialogen zwischen Nino und Platamonte. Die labile Leutseligkeit, mit der sich der augenscheinlich schmierige, verlogene Platamonte- der doch selbst nur seine Haut und Familie retten will was in einer fantastischen Sequenz gegen Ende zutage tritt- als Freund ausgibt beantwortet Nino mit unwirschen Kurzschlussreaktionen, die ihn noch tiefer in die Klauen der Mafia treiben. Nicht unterschlagen werden soll aber auch der hiesige Auftritt von Damianis Stamm-Nebendarsteller Luciano Catenacci: War er zuvor immer noch ein Zahn am Rad der Mafia, steht er dieses Mal als Polizeiinspektor auf der Seite des Protagonisten Nino. Ein amüsanter Wechsel, den Damiani allerdings ebenso wie die eigentlich relevante Figur bedauerlicherweise ungenutzt lässt- eine der wenigen Schwächen die man „Un uomo in ginocchio“ unterstellen muss. Denn eine doppelbödige Zeichnung des Polizeibeamten hätte sich überzeugend und bereichernd in die herrschende Figurenkonstellation eingefügt.
Die Antwort auf eine der in den Dialogen zahlreich aufgeworfenen Fragen ist hier zugleich auch stets eine neue Frage, in deren Beantwortung Damiani den Zuschauer eng involviert: Wie würde ich an Ninos Stelle handeln? Es spricht für das Drehbuch das man sich dieser Frage im Grunde nicht stellen und ihr eher ausweichen will. Denn die Manipulation des Zuschauers ist geglückt. Ein Vergleich mit Alfred Hitchcock (dessen Film „Der falsche Mann“ zahlreiche Parallelen zum Damianischen Schaffen aufweist) scheint hier nicht unangebracht. Selbst wer mit den dramaturgischen Gepflogenheiten des Regisseurs vertraut ist, wird bis zuletzt unsicher spekulieren, ob es Nino nicht vielleicht doch gelingt, sich mit einem blauen Auge aus der vertrackten Angelegenheit zu retten, die immer extremere und aussichtslosere Formen annimmt.
Doch Damiani bleibt seiner kompromisslosen Linie treu: Zum wiederholten Mal sind es die niederschmetternden und desillusionierenden letzten dreißig Minuten, die schwer im Magen und vor allem Kopf liegen und in denen er sich erneut als eine der meist unterschätzten Größen des italienischen Autorenkinos profiliert. Man sollte allerdings wie bereits oben erwähnt nie einfältigen Pessimismus befürchten. Damiani bleibt ambivalent, doch ist nicht auch eine Katastrophe ambivalent? Aus der Tragik entsteht die Komik und aus der Komik das Absurde. Hier wird auf der Grundlage des Absurden der Kreis zur Tragik geschlossen.
Die berühmte Schlusseinstellung des 8 Jahre zuvor entstandenen „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“- vermutlich Damianis bekanntester Film- wird niemand vergessen der je das Glück hatte, dieses großartige Kriminaldrama zu sehen. Selten ist es einem Regisseur gelungen, mit einem einzigen Bild seinen gesamten Film so treffend auf den Punkt zu bringen. Das Fazit, das Damiani nun in „Un Uomo in ginocchio“ zieht ist ungleich bitterer. Wo dem Staatsanwalt Traini (in „Der Clan…“ von Franco Nero verkörpert) zumindest sein Seelenheil und Beruf bleiben (eine persönliche Mutmaßung meinerseits) steht Nino schließlich mit leeren Händen da. Oder besser gesagt: Kniet nieder- mit leeren Händen und leerem Herzen.
Bei Damiani gibt es keine Sicherheit und kein Vertrauen, Hoffnung lässt er beinahe außen vor. Jeder schweigt um der eigenen Bequemlich- und Sicherheit willen, ist bereit den anderen zu verraten. Eine Perspektive hat der Zuschauer zwar vor Augen, für die Protagonisten bleibt sie aber unerreichbar. Die kleinen Schicksale (in diesem Fall besonders Ninos Familienleben) sind bei Damiani stets der Schlüssel zu einem viel größeren Missstand, zur fehlgeleiteten, korrumpierten Politik und dem ungebrochenen Faschismus in der (nicht nur) italienischen Gesellschaft. Nach Mussolini kam die Mafia und führte ihre Form der Diktatur ein. Und sie ist es, die Damiani verzweifelt und wütend immer wieder attackiert hat.
Trotz der engen thematischen Verwandtschaft zu seinen früheren Werken hat sich Damiano Damiani mit „Ein Mann auf den Knien“ nicht unnötig und phrasiert wiederholt. Innerhalb seiner zentralen, politisch geprägten Schaffensphase von 1968 („Der Tag der Eule“) bis 1982 („Die tödliche Warnung“)- die er nur für die Westerklamotte „Nobody ist der Größte“ unterbrach- hat ein Prozess stattgefunden, in dessen Verlauf er zu immer reiferen Ausdrucksformen gefunden hat und nach dem frühen, lauten Aufschrei in diesem Spätwerk schließlich den Knochen des inneren Konflikts (seines Protagonisten, der hier ebenso gut Traini, Girolimoni, Bellodi oder Vanzi heißen könnte) von Fleisch und Sehnen befreit und ans Licht zerrt.
Das Ergebnis ist von durchschlagender Kraft und entfacht im Zuschauer ein Feuer an Emotionen und linker Sympathien. Dabei ist „Ein Mann auf den Knien“ aber kein statischer Arthouse-Film sondern eine geradlinig erzählte Geschichte über die existenziellsten Schwächen des Menschen und ein System, das sie zynisch ausnutzt um an sein Ziel zu gelangen. Anders formuliert: Ein Film in dem Anspruch und Unterhaltung unabdingbar miteinander verknüpft sind und der über diesen nicht genug zu preisenden Vorzug hinaus auch durch das hohe handwerkliche Niveau, das man von Damiani gewohnt ist und reizvolle Locations besticht. Zutiefst humanistisches und intelligentes Spannungskino also.