Man könnte den Film mit einem lapidarem „Frauenfilm“ abstempeln und bequem links liegenlassen. Ich habe ein gequältes „Familienfilm“ durch meine Lippen gepresst, mich vor die Glotze gehockt und versucht auf den Film einzulassen. Zwar hat „Überall, aber nicht hier“ unterm Strich mehr von einem Frauen- als von einem Familienfilm, aber gebrauchen wir diese Einordnungskriterien heute mal völlig wertneutral und bescheinigen dem Film zwei wunderbare Hauptdarstellerinnen und sehr starke Momente, die einige Längen und Vorhersehbarkeiten vergessen machen, so dass 100 Minuten solide Dramenkost herausspringen.
Die flippige Adele (Susan Sarandon) verlässt ihren Mann und zieht mit ihrer 15-jährige Tochter Ann (Natalie Portman) aus dem beschaulichen Wisconsin nach Beverly Hills. Während Adele vergeblich versucht, in der Welt der Reichen und Schönen Fuß zu fassen, emanzipiert sich Ann immer mehr und träumt von einem geregeltem Leben, das ihre Mutter ihr nicht bieten kann.
Der Film nimmt sich zunächst Zeit, zu viel Zeit, um zwei Charaktere einzuführen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite steht Adele, die von Glamour träumt und für diesen Traum sogar ihre eigene Familie aufgibt. Zunächst ihren Mann und im Laufe des Films auch immer mehr ihre Tochter Ann. Die begehrt in ihrer Rolle als rebellische Teenagerin ständig gegen ihre streitbare Mutter auf, provoziert und hält ihr den Spiegel vor die Nase. Ann sehnt sich nach etwas anderem, nach der Normalität ihrer Kindheit, einer Vaterfigur und einem Leben in geregelten Bahnen.
Ihre gemeinsame Zeit in Los Angeles ist hingegen geprägt von Unstetigkeit, Ungewissheit und Armut. Adele lebt immer wieder spontan über ihre Verhältnisse, bezieht ständig neue Wohnungen, stürzt sich in eine Affäre und kündigt aus einer Laune heraus ihren Job. Ann absolviert brav ihre Schule und bringt kontinuierlich gute Leistungen, gerät zu Hause aber wieder und wieder mit ihrer Mutter aneinander.
Diese konflikthaften Szenen, werden dabei allerdings einmal zu oft wiederholt, ohne dass der Zuschauer einen neuen Erkenntnisgewinn daraus ziehen kann. In solchen Momenten tritt der Film schlichtweg auf der Stelle und kommt dabei ziemlich langweilig daher, da die dazugehörigen Szenen zunächst nicht gerade vor Einfalls- oder Pointenreichtum strotzen. Die wirklich großen Momente beschränken sich leider ausschließlich auf das letzte Viertel des.
Hier besteht die gelungene Schlusspointe darin, dass sich Adele und Ann trotz aller offensichtlichen Gegensätzlichkeiten am Ende in ihren Methoden sehr ähnlich sind. Der Film beginnt und endet mit einer Flucht. Doch während zu Beginn Adele ihrem vermeidlich ereignislosen Leben im öden Wisconsin entflieht, ist es am Ende Ann, die Abstand vom Leben ihrer Mutter nimmt, um ein Studium im fernen Rhode Island zu beginnen. Die Mutter- und Tochterrolle wird so beinahe komplett umgedreht, da sich Ann gerade wegen des naiv-kindlichen Verhaltens ihrer Mutter in Rekordzeit vom rebellischen Teenager zu einer selbstbewussten umsichtig handelnden jungen Frau entwickelt kann. Adele’s Entwicklung beschränkt sich dagegen darauf, dass sie am Ende erstmals ihren ganzen Egoismus und ihr Streben nach Anerkennung über Bord werfen darf, und die Rolle einer verantwortungsvollen Mutter übernimmt. Ansonsten ist Susan Sarandons Part auf die überkandidelte, lautpeinliche Möchtegernschickse beschränkt. Das allerdings spielt sie so überzeugend, dass ihr der Zuschauer in mehr als einer Szene den Tod wünscht. Natalie Portman variiert oberflächlich gesehen ihre Rolle als rebellischer , frühreifer Teen aus „Beautiful Girls“ (1996), kann diesen Part aufgrund viel höherer Screentime aber sehr differenziert und warmherzig ausgestalten. Folgerichtig ist sie als begleitende Erzählstimme gleichzeitig der Bezugspunkt für den Zuschauer.
Insgesamt ist ein überdurchschnittlicher Film entstanden, der sich Anfangs allerdings ziemlich ereignislos dahinschleppt, aber gerade gegen Ende mit einer gelungenen Auflösung einer relativ unspektakulären aber dafür umso lebensnaheren Geschichte aufwarten kann.
Daran werde ich mich noch lange erinnern:
Ich war die ersten 45 Minuten unschlüssig, ob die Handlung in den 50ern oder 90ern spielt.