Eines muß man dem Herrn Eastwood ja lassen: dafür, daß er in seiner Karriere eigentlich immer "Blondie" war und sich seine mimischen Audrücke folglich extrem reduzierten, macht er doch in allen Filmen, in denen er mitspielte, eine gute Figur. Bei seinen eigenen kommt hinzu, daß er sich mit guten Schauspielern umgibt und seine eigene Rolle nie übermäßig in den Vordergrund stellt. Auch das macht ihn im egomanen Hollywood zur Ausnahmeerscheinung.
Dennoch ist das mit Oscars überhäufte Werk eine herbe Enttäuschung geworden, zumal angesichts der von Eastwoods weit überlegenem Vorgänger "Mystic River" hochgeschraubten Erwartungen. Was ist schiefgelaufen? Zum ersten ist das Drehbuch enorm schwach. Was uns hier präsentiert wird, ist mit allen Klischees des "amerikanischen Traums" gezuckert: von der Diner-Kellnerin, die die Reste der Gäste ißt, zum Boxchamp. Damit ist auch schon die Grundmisere von "Million Dollar Baby" klar: der Film kommt nicht auf den Punkt. Das Boxambiente ist nur ein gewähltes für ein Beziehungsdrama, trotzdem aber ist die erste Hälfte des Films ausschließlich auf eine sehr detaillierte Darstellung der harten Welt der Boxanfänger konzentirert, was Zusehern wie mir, die Boxen in der Sparte "dümmste Sportarten der Welt" gleich hinter Turmspringen und Synchronschwimmen den dritten Platz geben, einige Probleme bereitet.
Die Erzählung kommt nur mühselig in Gang, was durch den Voiceover und die fürchterlich genuschelten Dialoge - noch ein Relikt aus der Leone-Zeit, wie's aussieht - nicht besser wird. Das Problem der zeitlichen Einteilung wird dann in der zweiten Hälfte offenbar, wo die Vater-Tochter Beziehung der Hauptcharaktere entwickelt werden soll, was aber in der verbleibenden Zeit - bei einem Film von immerhin über zwei Stunden Laufzeit - nur sehr oberflächlich möglich ist. Kompliment an Hilary Swank, die ihr bestes gibt und diesen Teil zumindest aus dem Ärgsten rettet.
Wie bereits angedeutet, bin ich ein absoluter Laie in der Welt des Boxens und kann somit auch nicht wirklich viel zu den inszenierten Kämpfen sagen, aber es will mir scheinen, daß diese eher Wirtshausschlägereien ähnelten, als dem, wessen ich bisweilen im Fernsehen Zeuge werde. Dazu kommt, daß die Gegnerin im desaströsen Titelkampf, Billie The Blue Bear, sich Thai-Boxing Methoden bedient, die vermutlich längst zu einer Sperre der Athletin geführt hätten und klarerweise zu einem sofortigen Abbruch des Kampfes - es handelt sich ja nicht um einen Hinterhofpankration in Detroit. Überhaupt werden bisweilen Klischees ausgegraben, die ich Eastwood nicht zugetraut hätte - Billie, "an ex-prostitute from East Germany", hätte in einer "Rocky"-Folge nicht fehl am Platz gewirkt. Und weil wir bei Typenschablonen sind: Maggie Fitzgeralds Familie ist ein inkarniertes Redneck-Hillbilly-Klischee, das eigentlich nur noch ärgerlich ist. Offenbar hatte man so eine Ahnung (unterstelle ich mal) und limiterte deren Auftritte drastisch.
Allerdings schafft es Eastwoods Regie, all diesen kleinen Fehlern, die ja eigentlich dem Buch geschuldet sind, die Spitze zu nehmen und in seiner klassischen elegischen (aber nie kitschigen) Erzählweise, die trotz langer Einstellungen und viel Dialog nie wirklich langweilig wird, den Film zusammenzuhalten. Das Problem ist nur, daß das Hauptthema, wie nämlich mit dem Todeswunsch eines geliebten Menschen umzugehen ist, der aufgrund seiner mißlichen Lage diese Sache nicht mehr selbst in die Hand nehmen kann, in einer Geschwindigkeit "abgearbeitet" wird, die ihm alles andere als gerecht wird. Ein Thema von brennender Daueraktualität, auf das es keine Genralantworten geben kann. Hier hat der wie immer auch nicht nur in Hauptrollen eine sehr gute Figur machende Morgan Freeman die besten Zeilen, in denen er den von Gewissenspein geplagten Frankie Dunn darauf hinweist, daß, wenn er Maggies künstliche Beatmung jetzt einstellte, sie stolz auf sich in den Tod gehen würde können, weil sie es aus der Einbahnstraße ihrer "white trash"-Existenz geschafft hatte auszubrechen.
Dieses durchaus berührende Happy-End (ja, es ist die einzige Möglichkeit eines solchen) wirkt dem Film wie aufgepfopft. Man hätte gern noch mehr Überlegungen pro und kontra Sterbehilfe gehabt als nur Eastwood betend in der Kirche und einen Priester, der, uninterressiert an den Gewissensnöten seines Schäfchens, einfach das oberflächliche Dogma der Kirche(n) dazusenft. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dem Buch, aber hier leider auch der Regie dieses Thema ein Nümmerchen zu groß war. "Million Dollar Baby" leidet enorm darunter, daß er zu viele Themen eröffnet, die eigentlich jeweils einzelne Filme erforderlich machen würden. Boxfilm, Vater-Tochter Beziehung (bzw. auch die Problematik der echten Vater-Tochter Beziehung) und Sterbehilfe.
Vielerorts wurde dieses Dilemma durchaus ansatzweise wahrgenommen, aber dadurch relativiert, daß man Eastwood unterstellte, er wolle "nur eine Geschichte erzählen" ohne zu werten oder eine große These zu einer der Themen aufzustellen. Gut, mag sein, aber letztendlich bleibt dann jeder der Subtexte episodisch und nimmt dem Gesamtbild dramatisch an Wucht. Genau aus diesem Grund aber folgt die Oscarvergabe einer gewissen Logik, denn man darf ja nicht den Fehler machen, die Bewertungskategorien tatsächlich als solche zu verstehen: was beim Oskar bewertet wird ist nicht die tatsächliche Qualität eines Films (darüber kann man sich immer trefflich streiten), sondern inwieweit ein Film in die ungeschriebenen Gesetze Hollywoods paßt und das tut Eastwoods Film -leider! - sehr gut: ein bißchen Action, ein bißchen Herzschmerz, ein bißchen Drama, all das wohlinszeniert - nur ja nicht zu tief! Insofern kann man auch nicht sagen, "Million Dollar Baby" wäre ein schlechter Film - er ist es ja auch nicht - aber von "Mystic River" trennen ihn Welten.