Es ist schon eine schöne Situation für Clint Eastwood, wenn sich Filminteressierte darüber streiten, ob er ein besserer Regisseur oder Schauspieler ist. Ohne Zweifel, beides kann er sehr gut, auch wenn die Art und Weise, egal in welcher Funktion, sicherlich nicht jedermanns Sache ist. Doch unabhängig davon, wie sehr man den Filmen von Eastwood zugeneigt ist, „Million Dollar Baby“ gleicht seinem persönlichen Meisterwerk.
Sein neustes Werk ist nicht nur ein außerordentlich gutes Drama im Rahmen einer Boxgeschichte, sondern eine tiefgründige Charakterisierung aller Aspekte des Films. Zwei verlorenen Seelen finden sich in einer kontroversen Sportart und durchleben alle Höhen und Tiefen, die mit unserem Dasein verbunden sind. Warum das eine mit dem anderen zusammenhängt, erklärt dem Betrachter Scrap (Morgan Freeman), der seinerseits nicht nur Erzähler, sondern auch Bediensteter im Boxgym des Besitzers und Freundes Frankie Dunn (Clint Eastwood) ist.
Frankie ist erfolgreicher Trainer und im Rahmen eines Kampfes einer seiner Schützlinge bittet ihn Maggie Fitzgerald (Hilary Swank) sie zu trainieren. Frank lehnt zunächst ab, weil er aus Prinzip keine Frauen trainiert, doch Maggie ist hartnäckig und sucht trotzdem sein Gym auf, um selbstständig zu üben, auch wenn sich dadurch seine Haltung zunächst nicht ändert. Erst als Scrap (Morgan Freeman) den Willen und den Mut von Maggie fördert, erklärt sich Frank dazu bereit sie zu betreuen. Zusammen gehen sie einen harten Weg und merken, dass sie ein Leid teilen und nur gemeinsam stärker werden, bis das Leben beide eines Besseren belehrt.
Bisher unerreicht wird ein anderes Bild vom Klischee behafteten Boxsport gezeichnet. „Million Dollar Baby“ charakterisiert den Sport als das, was er letztendlich auch ist, eine Herausforderung, die durch harte Arbeit und unbändigen Willen zu Ruhm führen kann, aber auch zum totalen Fall in tiefste Abgründe. Die Sonnen- und Schattenseiten sind dabei enger verbunden, als man vermuten würde. Sprüche wie „Jede Sekunde zählt“ sind bei diesem Sport keine Phrasen, sondern bittere Realität. Kleinigkeiten unterscheiden den Könner vom Standard. Es gibt nur trainiert und untrainiert, doch die Art und Weise, einen Grad an Perfektion zu erreichen, ist ebenso eine Kunst wie eine Mentalitätsfrage. Ergänzt man das Ganze mit perfiden Geschäftpraktiken, Betrügereien sowie schroffes Konkurrenzdenken, gleicht die Sportart mehr dem Leben, als alle anderen.
In diesem Becken voller Versuchungen und Gefahren finden sich Maggie und Frankie in der Konstellation als Trainer und Boxerin. Es ist die Geschichte zweier, einsamer gescheiterter Geschöpfe, die ihr Leid teilen und gemeinsam das Leben meistern. Frankie hat seine Tochter aus den Augen verloren und Maggie trauert immer noch um ihren Vater. Es wird ihnen nie bewusst, aber durch ihr Verhältnis kompensieren bzw. verdrängen sie Schmerzen, die irreparabel sind, was zunächst durch Harmonie wegen des gemeinsamen Erfolgs kaschiert wird. Verdrängung ist keine Lösung und Erfolg kein Ding für die Ewigkeit.
Es folgt der Höhepunkt der Zusammenarbeit, der Titelkampf aufgrund einer eineinhalbjährigen Erfolgsstrecke gegen die deutsche Titelverteidigerin. Man möge bei der Gelegenheit schnellstens vergessen, dass die Deutsche ihre Kämpfe ausschließlich mit unfairsten Mittel gewinnt und trotzdem vom heimischen Publikum geliebt wird.
Nun folgt Dramatik pur, denn alte Gräben reißen auf der Welle des Erfolgs wieder auf, weil ein Augenblick alles verändert und die Protagonisten in Verzweiflung stürzt. Geschickt wird die Beziehung zwischen Frank und Maggie in eine dramatische Richtung geleitet, deren Endfrage ist, ob das Leben in gewissen Notlagen überhaupt noch wertvoll ist. Das Dilemma ist groß und Schuldgefühle, Ehre und Fürsorge werfen einen Schatten auf das Verhältnis zwischen den Protagonisten.
Die Erzählstruktur des Dramas ist schlichtweg beeindruckend, weil der Perfektion nahe. Der Fall von Harmonie hin zur Dramatik wirkt, da der Augenblick betont und der Wandel explizit dargestellt ist. Scrap (Morgan Freeman) ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil der Story, sondern auch Erzähler. Die ruhige, fast emotionslose Art des Erzählers lässt anfangs nur erahnen, dass die Geschichte nicht unbedingt mit einem guten Ende gesegnet ist. Unterstützend wirken dem einfache, nüchterne Klavierklänge bei. Durchweg bleibt es trotzdem unterhaltsam, denn die Dynamik hinsichtlich des Plots ist vorhanden.
Über jeden Zweifel erhaben sind die beteiligten Schauspieler. Eastwood glänzt nicht nur durch die Regierarbeit, seine Leistung als emotional gebrochener Trainer, der nicht weiß, warum er diesen Sport liebt und in Maggie seine verlorene Tochter findet, ist grandios. Selbst im hohen Alter übertrumpft er seine ehemaligen Paraderollen als Wild-West-Ganove und gnadenloser Cop bei weitem. Auch wenn es mittlerweile trivial klingt, bei Eastwood steigert das Alter faktisch auch seinen schauspielerischen Wert.
Morgan Freeman brilliert als gescheiterter Boxer, der nun im Gym seines Freundes arbeitet. Wegen seiner stoischen Ruhe und souveränen Art, wodurch ein imposantes Maß an Charisma erreicht wird, ist der Charakter, obgleich der starken Konkurrenz, eine prägende Figur.
Hilary Swank bleibt aber trotzdem der Star im Ensemble. Sie beeindruckt nicht nur aufgrund der dargelegten Schauspielkunst, sondern auch wegen der körperliche Leistung als Boxerin, denn die gezeigten technischen Boxfertigkeiten in Training und Kämpfen, ist überwältigend. Auffallend ist vor allem auf die Vielseitigkeit ihres Könnens, denn in jeder unterschiedlichen Situation, wirkt ihre Mimik und Gestik bis ins letzte Detail absolut angemessen.
Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Boxszenen, ist ferner die überzeugende Machart eine entscheidende Stärke. Positiv ist vor allem das Streben nach Realismus bzw. der Verzicht auf deckungslose Schlägereien im Stile von „Rocky“, wodurch das gezeigte Boxen vielmehr den eigentlichen Charakter der Sportart, nämlich Faustfechten, vermittelt. Trotz allem ist der Unterhaltungswert der Kämpfe sehr hoch, weil gelungene Schnitte und Kameraeinstellungen optische Anreize bieten. Eastwood beweist hiermit auch, dass Sport im Film nicht übertrieben und damit unrealistisch dargestellt werden muss, um unterhaltend zu sein.
Rückblickend auf die Oscar-Verleihungen, ist es infam den Erfolg von „Million Dollar Baby“ mit Vetternwirtschaft zu erklären. Derartiger Film- und Darstellkunst muss jeder, der sich damit beschäftigt, mit Respekt und Anerkennung begegnen. Da sich Klischees schlussendlich auf ein Minimum reduzieren, darf getrost von einem Meisterwerk im Bereich der Dramen gesprochen werden. (9/10)