Eins vorweg: Seine Oscars hat Million Dollar Baby ganz sicher nicht zu Unrecht bekommen - bis auf einen, den des besten Films. Dabei möchte ich mich gar nicht auf die vier anderen Nominierungen beziehen, sondern lediglich feststellen, dass aus den herausragenden Komponenten dieses Films, vor allem den Schauspielern, ein wirklich guter Film gemacht wurde - nur kein hervorragender. Warum kann das Gesamtbild nicht ganz in der Klasse seiner Einzelteile mitspielen?
Am "Grundgerüst" des Films kann es nicht liegen, das ist mehr als solide und aus jahrelanger Erfahrung erbaut. Überall wird deutlich, dass Eastwood ein ganz genaues Gespür dafür hat, was zu seiner Vision passt und was nicht: Die Sets, die Einstellungen, das Pacing, bis hin zur Farbfilterwahl - alles ist astrein gewählt und unterstützt den harten, realistischen und dreckigen Grundton des Films.
Denn die Kellnerin Maggie Fitzgerald hat es wahrlich nicht leicht: Ihr geliebter Vater ist tot, ihre restliche Familie verarmt und ausbeuterisch, sie selbst nagt auch am Hungertuch und muss sich von den Essensresten ernähren, die die Gäste zurücklassen. Leben war schon schöner. Doch Maggie hat einen Traum, den sie mit der verbissenen Beharrlichkeit einer Frau, die ihre letzte Chance sieht, verfolgt - sie möchte boxen. Doch hat sie weder die Erfahrung noch ist sie jung genug. Zudem ist ihr Idol, der kauzige Dickkopf Frankie Dunn alles andere als gewillt, sie zu seiner Schülerin zu machen - sie ist schließlich nur eine Frau! Dabei läuft seine Fitness- und Boxhalle mehr schlecht als recht und sein bester Schüler ihm davon. Aber trotz der miserablen Aussichten lässt sich der Alte nicht unterkriegen, denn im Verdrängen von Realitäten war er immer schon sehr gut. Und mit der Hilfe seines überaus liebenswürdigen und gewitzten Kumpels Scrap kommt es, wie es kommen muss. Unter dem Training Frankies blüht Maggie auf und fährt bald einen K.O.-Sieg nach dem anderen ein. Doch das Glück kippt im Moment des höchsten Triumphs und-
-weitererzählen werde ich nicht. Denn der Twist kommt hart und plötzlich und überfährt den Zuschauer wie eine Dampfwalze, sodass ich die folgenden Begebenheiten, die wie ein zweiter Film anmuten, aussparen möchte. Also zur ersten Hälfte: Hier haben wir einen klassischen Underdogstreifen, der allerdings die groben Klischees umschifft und großartige Unterhaltung mit einem beeindruckenden Realismus kombiniert. Nie wird das Leiden der Protagonistin zu extrem und kitschig dargestellt, nie ist ihr Triumph zu perfekt. So muss Frankie zum Beispiel, da Maggie all ihre Gegnerinnen gleich in der ersten Runde K.O. schlägt, andern Managern Geld zustecken, damit sie ihre Boxerinnen überhaupt noch antreten lassen. Die triste Lagerhalle, die zum Trainingsort wird und die starrhalsigen, sorgfältig gezeichneten Charaktere stützen diese Geschichte.
Dazu kommen die Schauspieler, die ihrer Rollen in beeindruckender Weise zu verkörpern wissen: Morgan Freeman spielt den Exboxer und jetzige Putzkraft in Frankies Schuppen, der früher unter ihm boxte und dabei seine halbe Sehkraft verlor. Die Lebensweisheit und liebevolle Sorge, die Scrap ausmachen und die er mit aller Dickköpfigkeit verfolgt, kann Freemann (man hätte es bei seiner Ausstrahlung auch nicht anders erwartet, s. nur seine damals noch nur fast oscarprämierte Leistung in Die Verurteilten) sehr gut verkörpern. Eastwood spielt Frankie, und das so souverän, wie man es schon fast für selbstverständlich hält. Dabei bringt er vor allem den inneren Zwiespalt, nämlich den Willen zum Erfolg, aber auch die (nach der negativen Erfahrung mit Scrap) übertriebene Besorgnis um die Sicherheit seines Boxers zum Ausdruck: Ewig will er Maggie zurückhalten und kann sich kaum dazu durchringen, ihr die richtig großen Kämpfe zu verschaffen. Und dann ist da Hillary Swank, die in diesem Film eine Ausnahmeleistung vollbringt. Nicht nur, dass sie sich in entsprechendem Training den Körper und auch das Grundrepertoire einer Boxerin erarbeitet hat (alles Szenen mit Maggie im Ring, auch die Stunts, spielte sie ausschließlich selbst!), sondern auch ihre schauspielerische Leistung begeistert. Maggie weiß, dass sie kaum eine Chance hat, aber dennoch versucht sie alles, um vorwärts zu kommen. Dass solche Underdoggeschichten schnell in großen Kitsch ausarten, ist wohlbekannt. Doch Swank lässt nie auch nur den Gedanken an Künstlichkeit aufkommen, so sehr steckt sie in ihrer Rolle.
Und wo ist jetzt das Problem? Es steckt in der besonders ambitionierten zweiten Hälfte des Films (die rein von der Laufzeit her allerdings deutlich kürzer ist), in der Eastwood den Mut besitzt, die bisherige, positiv gestimmte Aufsteigergeschichte brutalst kippen zu lassen und eine Tragödie anzuschließen. Die Idee ist offensichtlich: Solange der Erfolg stimmt, stehen alle fröhlich hinter einem, aber erst, wenn es nicht mehr gut steht, zeigen sich die wahren Freunde. Die Charaktere erhalten zusätzliche Tiefe, da sie auf die moralische Probe gestellt werden und gezwungen werden, schwere Entscheidungen zu treffen. Während sie einige gegen Maggie treffem, sind die Selbstaufopferung Frankies und sein ganz wörtlich zu nehmendes Mitleid bewundernswert. Auch hier herrscht aufwühlender Realismus: Frankie versucht seine weiche Seite zu verbergen und den harten Mann zu spielen, was ihm nicht unbedingt gelingt. Emotional ist das Ende des Films schwer zu ertragen, zu total ist der Umschwung, zu endgültig der Ausgang.
Die Schwierigkeit, die Million Dollar Baby in meinen Augen die Spitzenklasse kostet, ist der Leerlauf während Maggies Leidensweg. Auch wenn die ausgedehnte Zeit, in der wenig passiert, zweifelsohne realistisch ist und auch die Qual der Protagonistin in ihrer Endlosigkeit theoretisch unterstützt, so qualvoll ist sie für den Zuschauer - dies leider nur zunächst im emotionalen, gewünschten Sinne, denn allmählich löst sich die starke Bindung zum Gezeigten, droht gar der Gleichgültigkeit zu weichen und kann erst zu Ende des Films wiederhergestellt werden.
Trotz dieser Schwierigkeit, die aber der Idee des Films und seinem Stil inhärent ist und nur deren logische Konsequenz, ist Million Dollar Baby ein beeindruckendes, äußerst aufwühlendes Werk, mit dem Eastwood das hohe Niveau, das er spätestens mit Mystic River erreicht hat, ohne Probleme fortführt. Beeindruckend ist vor allem sein Verdienst, in völlig konsequenter Weise die zwei Seiten der Medaille zu zeigen, ohne auf das Mainstream-Publikum zu achten, das viel lieber nur das Auf, nicht aber das Ab des Underdogs gesehen hätte. Eastwood aber verneint die einfache Unterhaltung und zwingt durch diesen überaus kantigen und unbequemen Film zum Nachdenken.