Review
von Alex Kiensch
Der zweite Teil der nie vollendeten "Amerika"-Reihe des dänischen Regisseurs Lars von Trier knüpft direkt an das Ende des ersten an: Grace fährt mit ihrem Vater auf der Suche nach einem neuen Ort, an dem sie sich niederlassen können, durch ein Südstaatendorf und entdeckt, dass hier selbst 70 Jahre nach Verbot der Sklaverei eine Baumwollplantage mit dutzenden Sklaven betrieben wird. Sie geht dazwischen, als ein Sklave ausgepeitscht werden soll, und übernimmt so mehr oder weniger unfreiwillig die Verantwortung für die von ihr befreiten Schwarzen. Doch diese Aufgabe erweist sich als schwieriger als gedacht.
Das Thema, das der Film aufgreift, ist ein äußerst heikles: Es geht um die Rolle der Weißen bei der Emanzipation der afroamerikanischen Mitbürger. Denn die Thematik der Sklavenbefreiung umfasst einige sehr unangenehme Aspekte. Wie im Film dargestellt wird, gab es Sklavenfamilien, die über Generationen hinweg bei ihren herrschenden Familien lebten und mit der geschenkten Freiheit nicht zurechtkamen - skrupellose Weiße nutzten das aus, um sie erneut in Abhängigkeitsbeziehungen zu bringen, damit sie weiter ihre Arbeitskraft ausbeuten konnten. Es reicht eben nicht, neue Gesetze aufzustellen und dann die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Die Hilflosigkeit und Naivität, mit der Grace hier ans Werk geht, ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass mit Hilfe auch Verantwortung einhergeht: Um den Befreiten auch tatsächlich ein menschenwürdiges Leben zu sichern, braucht es mehr als gute Worte. Auch geht in dem Bestreben der Weißen um eine Gleichberechtigung der Schwarzen ein latenter Rassismus weiter mit: Grace will ihnen helfen, verfällt aber immer wieder in die Rolle der Bestimmenden, Vorschreibenden und erklärt so implizit, dass sie sie nicht für selbstständig hält. Das Hervorheben der Hilfsbereitschaft und Gleichberechtigung (z. B. durch Quotenregelungen an Universitäten) zeugt doch viel mehr davon, dass eben doch immer noch ein Unterschied zwischen Weißen und Schwarzen gesehen wird - würde man aufhören, in diesen Kategorien zu denken, erst dann könnte von einer Gleichstellung die Rede sein. Diese moralphilosophische Problematik stellt der Film hervorragend aus.
Leider vermag er insgesamt dennoch nicht zu überzeugen. Besonders zwei Aspekte verderben die grandiosen Ansätze. Zum einen ist die Figur der Grace in ihrer Naivität und Gönnerhaftigkeit von Anfang an äußerst unsympathisch. Nicole Kidman war für die Rolle geradezu prädestiniert; ihre Vertretung ist es nicht. Trotz all der Schwierigkeiten und Rückschläge, die sie erleiden muss, kann der Zuschauer nie wirklich mit ihr mitfühlen. Außerdem scheint es recht unglaubwürdig, dass sie nach ihren Erlebnissen in Dogville weiterhin eine derart kindliche Naivität besitzt.
Zum anderen gelingt es dem Film nicht, die Komplexität seiner Thematik in vollem Umfang zu erfassen. Die Schwarzen werden in rassistischen Kategorien dargestellt, die nicht genug reflektiert werden; überhaupt sind sie alle nicht von der Idee abzubringen, weiterhin ihr Sklavendasein fristen zu wollen. Natürlich hat es solche Fälle zuhauf gegeben - doch in einem einzigen Film wirkt diese Figurenkonstellation zu gedrängt, um ein glaubhaftes Abbild zu liefern. So scheitert der Film auf hohem Niveau an der Vielschichtigkeit des Themas.
Das ist schade, denn die Inszenierung bleibt dem Stil des ersten Teils treu: der gesamte Film wickelt sich auf einer Bühne mit aufgemalten Häusern und wenigen Requisiten vor schwarzem Hintergrund ab. Auch liefern einige Stars wie Willem Dafoe und Danny Glover eine überzeugende Leistung. Und die Story bietet unglaublich viel Diskussionsstoff. Das ändert jedoch nichts daran, dass "Manderlay" meilenweit hinter "Dogville" zurückbleibt.