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Eine palästinensische Familie lebt in einem Haus am Rande einer kleinen Stadt und führt ihr alltägliches Leben. Damit ist es ziemlich grob vorbei, als israelische Soldaten das Haus besetzen und als Kommandoposten verwenden. Die Familie wird gezwungen, im Erdgeschoss auszuharren, während die Soldaten das obere Stockwerk belegen – und bei kleinstem Widerstand zu brutalen Methoden greifen. Die Frage, wie mit der Situation umzugehen ist, zieht bald tiefe Risse in die heile Familienfassade...

Der Debütfilm des italienischen Regisseurs Saverio Costanzo nimmt sich eines der komplexesten und grausamsten Konflikte unserer modernen Zeit an und bricht ihn konsequent auf einen menschlich-persönlichen Grundtenor herunter. Dadurch verleiht er dem Irrsinn, der Ungerechtigkeit und Brutalität der kriegerischen Besatzungssituation ein Gesicht und schafft es doch, den hier gezeigten Konfrontationen, Dilemmata und Entwicklungen allgemeingültige Dichte zu verleihen.

Auffällig ist dabei vor allem die enorm intensive Kameraarbeit. Von der ersten Szene an bleibt die dynamische, in manch hektischen Szenen hart verwackelte Kamera extrem dicht an den Figuren, zeigt immer wieder bildfüllend Gesichter oder nur so unvollständige Ausschnitte der Umgebung, dass man im ersten Moment gar nicht richtig weiß, was eigentlich gerade passiert. Das birgt natürlich die Gefahr einer leichten visuellen Überforderung, sorgt hier aber für einen fesselnden Spannungssog, ist man als Zuschauender doch konsequent auf die unsichere Perspektive der Familie beschränkt, der nichts erklärt wird, sondern die nur herumgestoßen und herumkommandiert wird. Dass dieser Kameraeinsatz ein Stück weit aus der Not materieller Produktionsknappheit entstanden ist, wird schnell deutlich – die grob verwaschene Bildqualität, die kargen Kulissen, die Beschränkung des Handlungsorts, das recht laute Grundrauschen auf der Tonspur – ändert aber nichts an der intensiven Wirkung dieser mitunter regelrecht Unbehagen auslösenden extremen Nähe an den Figuren, deren psychische Situation immer angespannter und schwerer erträglich wird.

Und trotz dieser Fokussierung auf das Leiden der palästinensischen Familie gelingt es „Private“, keine einseitige Anklage zu werden, sondern den Irrsinn und die Unmenschlichkeit jeglichen militärischen Konflikts anzuprangern. Dass die älteste Schwester sich irgendwann nach oben schleicht, in einem Schrank versteckt und die israelischen Soldaten belauscht, gibt den Zuschauenden die Möglichkeit, auch diese in ihrer bloßen Menschlichkeit zu begreifen: Einer spielt in seiner Freizeit Flöte, sie schauen zusammen Fußball und murren über die harten Bedingungen des Militärdienstes. Gleichberechtigt zu dieser Erweiterung des Blickfelds wird auch der tiefe Konflikt zwischen dem Familienvater gezeigt, der alle Drangsal mitmachen will, nur um das Haus nicht zu verlieren, und dem ältesten Sohn, der im Fernsehen Propagandavideos des palästinensischen Widerstands sieht und in seiner stetig wachsenden Wut zu radikalen Mitteln greift – mittels einer Handgranate der Soldaten, die er zufällig findet und versteckt. So gelingt es „Private“ hervorragend, das Menschsein aller Beteiligten an noch so grausamen Konflikten ebenso zu zeigen wie das gefährliche Abgleiten in radikalisiertes, fanatisches Denken, und erweist sich so als kluger humanistischer Einblick in tiefste menschliche Herausforderungen.

Zusammen mit der beengten, aber immer wieder enorm intensiven Inszenierung – man denke an eine nächtliche Szene, in der die Soldaten ein Feuergefecht mit unsichtbaren Feinden führen und die kleine Tochter versehentlich ausgeschlossen wird, nicht in die Arme ihrer Familie flüchten kann und danach tief traumatisiert durch den Film torkelt – und seiner auf Nötigstes reduzierten, aber sehr durchdachten und inhaltlich vielschichtigen Erzählweise – es geht um Gewalt und Unterdrückung, aber auch um Opportunismus, Fanatismus und die Sturköpfigkeit männlicher Egos – gelingt „Private“ eine starke Studie menschlicher Extremsituationen, die trotz ihrer stillen Art (der Score ist großteils auf wenige, kaum hörbare Spannungsmusik reduziert) nachhaltig packen und beschäftigen kann. Solch ein fesselnder Erstling ist ein wirklich starker Einstieg ins Filmemachen.

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