Das Trauma, der Treibstoff allen italienischen Genrekinos. Da hockt seine pelzige Verkörperung nun im Winkel des alten Holzschranks, fett, träge und pulsierend, um die Psyche eines arglosen Kindes bei einer unwillkürlichen Begegnung irreversibel zu verändern.
Ein Blickkontakt, ein schneller Zoom, ein harter Schnitt wie in einem Giallo und schon ist der kurze Prolog für einen Film abgeschlossen, der vom Fleck weg von seiner eigenen Form dominiert wird. Oberste Zielsetzung muss gewesen sein, ihn wie ein pompöses Spinnennetz wirken zu lassen, voller asymmetrischer Seidenfäden, die entweder ins Nichts oder zurück zum Anfang verlaufen.
Dabei beginnt die Hauptgeschichte von „Spider Labyrinth“ als staubtrockene Variation des Detective Noir, in einem sterilen Büro voller alter Professoren in grauen Anzügen, die ihren jungen Kollegen auf eine Reise nach Budapest einschwören. Vor Ort, in einem Adergeflecht aus verwinkelten Seitengassen, wandelt sich die Atmosphäre dann radikal. Gepflasterte Höfe, pompöse Hotellobbys und Geheimgänge bestimmen nun die Szenerie, die Omnipräsenz von Wind und Regen verschiebt in Echtzeit die Realität und schließlich, wenn die Dinge völlig außer Kontrolle geraten, mündet alles in einer von Alptraumlogik geformten Hysterie.
Ende der 80er ist Gianfranco Giagni für die große Party eigentlich schon etwas spät dran, auch wenn Regisseure wie Michele Soavi („Dellamorte Dellamore“, 1994) und Mariano Baino („Dark Waters“, 1993) sogar noch spätere Highlights setzten. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich nicht nur nach Herzenslust an reichhaltiger Genre-Tradition bedienen konnten, sondern dies im Gegensatz zum Gros der damals in Italien produzierten Horrorfilme auch immer noch zu kanalisieren wussten. Die Argentos, Bavas und Avatis strömen diesem Regiedebüt aus allen Poren, sie blitzen vor allem auf in den fiebrigen Augenblicken der maximalen Irritation, wenn sich der Horror in einem Rinnsal ausbreitet, das ein wenig abseits vom großen Strom gelegen ist und oftmals überraschende Haken schlägt.
Verstärkt wird dabei auf hastige Verlagerungen der Kamera vom Neutralen ins direkte Blickfeld der Hauptfigur gesetzt. Gebäude werden per Dutch Angle dämonisiert, Nebendarstellerin Paola Rinaldi, stets der Blickfang ihrer Szenen, wird per Male Gaze gescannt. Bei einem Blick durch das Hotelzimmerfenster ins Apartment auf der gegenüberliegenden Straßenseite werden sogar Hitchcock-Referenzen wieder lebendig, doch nicht nur hier; sie werden überdies permanent von der Musik transportiert und sind in der grundlegenden Mystery des Stoffs codiert. Objektiv wirkt hier fast nichts; wie surreal und menschenleer die ungarische Hauptstadt eingefangen wird, das hat schon viel vom Venedig aus Nicolas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (1973) oder vom Brügge aus Harry Kümels „Malpertuis“ (1971).
Dazu tragen auch die sparsam dosierten, gleichwohl strategisch sinnvoll zu einer Steigerung angeordneten Spezialeffekte bei. Die titelgebenden Spinnen etwa kommen im gesamten Film nicht vor, wohl aber so einige plastische Nachbildungen von ihnen, die durch träge Stop-Motion-Effekte in Bewegung versetzt werden. Man möchte sogar behaupten, dass diese hochgradig befremdliche Handwerkskunst die Wirkung der jeweiligen Szene besser zur Geltung kommen lässt als es der Einsatz echter Exemplare je könnte, wird doch durch den unnatürlich ruckeligen Bewegungsablauf und die glatte, aber doch echt wirkende Beschaffenheit die traumartige Anmutung des Films noch zusätzlich unterstrichen.
Auch die übrigen Schauerelemente ordnen sich der beschworenen halluzinatorischen Wirkung des Films unter. Ein Gummiball, der fortlaufend ins Set drängt, scheint Bavas „Die toten Augen des Dr. Dracula“ (1966) und Don Coscarellis „Das Böse“ (1979) gleichzeitig Tribut zollen zu wollen. Margareta von Krauss wiederum, die als rothaarige Furie mit Nadelzähnen durch weiße Bettlaken greift, Vorratsregale umstößt und sich in den leiseren Momenten als das Vertraute tarnt, um die profane Travestie des Horrors plötzlich doch wieder anhand kruder Buh-Effekte zu beschwören, steht in Tradition all der Hexen- und Zombieartigen (die mit etwas mehr Hirn, wohlgemerkt), die im vorherigen Jahrzehnt das Low-Budget-Kino aufgemischt hatten. Ein Wunder wäre es, wenn sich Tilman Singer für seine jüngst entstandene Alpen-Groteske „Cuckoo“ nicht ganz gehörig an diesem Film und speziell an dieser Figur bedient haben sollte.
Bemerkenswert ist auch, dass die Slasher-Grundlagen, deren erste Giallo-Blüten sich längst zur mächtigen Untergattung des internationalen Horrorfilms entwickelt hatten, bei Giagni nicht so recht auf fruchtbaren Boden stoßen. Mit deftigeren Splatter- und Gore-Einlagen hätte „Spider Labyrinth“ wohl für mehr Aufmerksamkeit sorgen können, doch das Blut gefriert eher, als dass es fließt. Die Nähe zu den diffusen Verschwörungs- und Okkult-Stoffen, die nicht zuletzt Roman Polanski mit „Rosemaries Baby“ (1968) angestoßen hatte, erlaubt nicht den Ausbruch in allzu wahrhaftige Gefilde. Deswegen gipfelt das Finale auch lieber in einer meta-fleischlichen Übertreibung von Carpenter’schen Ausmaßen, die bizarr genug geraten ist, dass man sie nicht mit der Nüchternheit des Slasherfilms abgleichen kann, sondern in einem übertragenen Sinne deuten muss.
Schade, dass ausgerechnet das transportierende Medium all dieser intensiven Eindrücke, der Hauptdarsteller, eine sterile, kalte Projektionsfläche bleibt. Eine solche Rolle braucht eigentlich jemanden, der die Wirkung des ihn umgebenden Alptraums als Spiegelung in aufgerissenen Augen noch einmal verstärkt. Roland Wybenga vermag nichts davon zu liefern, er ist lediglich dieser bärtige Reflektor mit Brille und Anzug, der sämtliche Sinnesreize wie ein schwarzes Loch absorbiert. Das gilt sogar schon für seinen jungen Stellvertreter im Prolog, der eher desinteressiert als schockiert auf das Scheusal im Winkel blickt und die Wirkung damit stark abmildert.
Als Schwachpunkt wird gemeinhin aber vor allem die Story identifiziert, die üblicherweise – Argento wird ein Liedchen über diesen Vorwurf singen können – gegen das Audiovisuelle gestellt wird, als seien Stil und Substanz grundsätzlich unvereinbare Gegensätze. Natürlich hält sie genauerer Betrachtung nicht stand; wie könnte sie auch. Als der Traum, nach dessen Regeln sie konstruiert ist, zerfällt sie letztlich in Fragmente. Es sind aber gerade diese Fragmente, teilweise aus der Not geboren, die den Film auch in den weniger aufregenden Momenten ohne Sex, Gewalt und Skurrilitäten retten, wenn eine unendliche Spirale durch die Straßen der Stadt gezogen wird und das Treiben auf der Leinwand auf einmal wie ein endloser Walking Simulator wirkt. Die vermeintlichen Sackgassen des Drehbuchs führen aber keineswegs ins Nichts, vielmehr ergänzen sie die Spezialeffekte, reichern sie mit Atmosphäre an und verleihen ihnen zusätzliches Gewicht.
Bis hinein in die letzte Pointe kurz vor Abspann zehrt „Spider Labyrinth“ von dieser Symbiose aus schrillen Effekten und mulmiger Lovecraft-Stimmung, die wie ein letztes Aufbäumen vor dem unabwendbaren Begräbnis des übernatürlichen Italo-Horrorfilms wirkt. Seitdem wird in Frieden geruht. Ein echter Sleeper also, der die komplette DVD-Ära unter dem Gras verbracht hat… um gerade jetzt vielleicht doch noch einmal den Hals auszufahren.