Review

Ein faszinierendes, trauriges aber auch Hoffnung vermittelndes Filmjuwel des US-amerikanischen Independent-Kinos, der sein Publikum bisher grösstenteils eher auf kleinen Filmfestivals gefunden und überzeugt hat (die vielen Auszeichnungen sprechen für sich)!

Inhalt: Erzählt wird die Geschichte auf drei Zeitebenen, welche jedoch alle parallell nebeneinanderher laufen als würde alles zur gleichen Zeit passieren.
Der 25jährige Mark kommt als Beobachter und selbst ernannter Retter der Loggerhead genannten Meeresschildkröten in ein kleines Städchen an der Küste und freundet sich dort mit dem gutmütigen Motelbetreiber George an. Dabei trifft er zum ersten Mal auf einen Menschen, der ihn so wie er ist akzeptiert, wertschätzt und schließlich auch liebt...
In Marks Heimatstadt beginnt seine Adoptivmutter zu begreifen, welchen Fehler sie und ihr Ehemann, ein Reverend, gemacht haben, als sie Mark vor einigen Jahren ziehen ließen, weil er als Homosexueller nicht in ihr kleinliches perfekt anzusehendes Kleinstadtleben passte. Durch ihre Nachbarn verändern sich ihre Sichtweisen auch ihrem Mann gegenüber und sie beschließt, Mark aufzusuchen, der nicht nur aufgrund seiner HIV-Infektion in weite Ferne gerückt ist...
Marks leibliche Mutter versucht nach einem Selbstmordversuch ihren Sohn aufzuspüren, welchen sie unfreiwillig im Alter von 17 Jahren zur Adoption freigeben musste und bedient sich dazu der Hilfe einer ebenfalls adoptierten jungen Frau...

Tim Kirkman lässt sich sehr viel Zeit zur Charakterisierung seiner Charaktere und bedient sich dabei verträumter Bilder, langer kameraeinstellungen und einer gemächlichen Erzählweise. Ziemlich unkonventionell ragt sein kleiner Film dabei aus der Flut der aktuellen Filmproduktionen heraus, denn er kombiniert eine ungewöhnliche, trotz ihrer Zeitversetzung linear erscheinende Erzählweise mit erstaunlich wenigen Dialogen. So lebt "Loggerheads" eindeutig von seiner Betrachtungsweise und natürlich den Darstellern.
Kirkman gelingt es dabei, nicht eine einzige unsympathische Person in seinem kammerspielartigen Film unterzubringen, denn jeder Charakter bekommt sehr anschaulich seine Intentionen als Hintergründe mitgeliefert. Häppchenweise entfaltet sich dabei eine mitunter traurige aber auch sehr hoffnungsvolle Geschichte, welche es schafft, kein Mitleid zu erheischen sondern durchweg positiv zu sein.

Viel trägt dazu die Atmosphäre bei, denn alle drei Handlungsstränge spielen in einer kleinen veträumt wirkenden Ortschaft, welche fast paradiesisch rüberkommt. Die Sonne scheint, es gibt ab und an einen Sommerregen, es grünt und dann sind da natürlich noch die titelgebenden Schildkröten, welche zwar recht wenige Momente bekommen aber dann gerade diese poetische Atmosphäre stützen.
Oft kündigen Bilder Geschehnisse an, welche dann aber nicht weiter beleuchtet werden, so dass man "Loggerheads" einen rein emotionalen Film nennen kann.

Eben dies macht ihn so unverwechselbar stimmig, sypathisch und einfach nur schön. Regisseur Kirkman gelingt ein mitreissender aber trotzdem ruhiger Spielfilm über die Vor- und Nachteile der Adoption, behandelt er doch Themen wie Identitätsfindung, bedingungslose Akzeptanz und bereute Taten.
Daß die erzählte Liebesgeschichte die zwischen zwei Männern ist, passt dabei perfekt ins Konzept, denn oben genannte Themen erzählen innerhalb dieser wunderschön und ohne Effekthascherei erzählten Teilstory ihre eigene Geschichte.

Getragen wird Kirkmans Kopfgeburt vor allem von der zurückhaltend agierenden Bonnie Hunt als Marks leibliche Mutter, welcher ein gewisser Star-Bonus durch ihre Mitwirkung in Blockbuster-Produktionen wie "Jerry McGuire", "The Green Mile" und "Jumanji" anhängt. Sie erfüllt ihren Charakter mit Variationen aus Unsicherheit, Zweifeln und Traurigkeit und ist neben der Liebesgeschichte mein persönlicher Favorit innerhalb der 91 Minuten.
Diese wird mit soviel Zurückhaltung und dadurch mit derartigem Realismus erzählt, dass hier Männer und Frauen gleichermassen berührt werden können. Denn in Deutschland wurde "Loggerheads" meiner Meinung nach fälschlicherweise als auf Homosexuelle zugeschnittener Film vermarktet; für mich steht er eher in der Tradition von zum Beispiel Zach Braffs "Garden State" oder Bernardo Bertoluccis "DIe Träumer".
Kip Pardue erfüllt den sensiblen Mark mit einer Unsicherheit, die nicht unbeding Verletzlichkeit symbolisiert, sondern einen von der Welt enttäuschten jungen Mann zur Schau stellt, welcher sich in die Schönheit der Natur flüchtem will und dabei merkt, wie sehr er zweifelt. Seine Annäherung an George ist dabei das Herzstück des Filmes, denn sie findet stetig und langsam statt.
Michael Kelly ("Dawn of the Dead") gibt seinen gutmütigen George als ruhigen, trauernden aber voller Hoffnung agierenden Einzelgänger, der sich mit seinem bescheidenen Leben arrangiert und zu einer gewissen Art von Zufriedenheit gefunden hat. Für mich ist er die sympathischste Figur in "Loggerheads"!

Tess Harper als zweifelnde Mutter und Chris Sarandon ("Fright Night" und "Die Brautprinzessin") als ihr kirchentreuer Ehemann geben eine glückliche Ehe wieder, deren Familienstrukturen aber je offener sie werden, umso enger und unnachgiebiger erscheinen.
Beide geben sich gesellschaftlichen und reglementierten Lebenszwängen hin, um zwar keinen direkten Schein aufrecht zu erhalten aber für Aussenstehende "normal" zu wirken. Seine Nähe zur Kirche als Reverend behandelt Tim Kirkmann dabei erstaunlich zurückhaltend, was ich als durchweg positiv bewerte.

Fazit: Tim Kirkmans "Loggerheads" behandelt ein sensibles Thema mit einfühlsamer Erzählweise, grandiosen Bildern und absolut glaubwürdig agierenden Darstellern und ihm gelingt das seltene Kunststück, seinen ruhigen Erzählstil zur Erzeugung von Spannung und dem Wunsch nach "mehr" zu nutzen, wie es selten einem solchen Film gelingt. Absolut sehenswertes und sympathisches Independent-Kino der grandiosen Sorte!

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