"Antikörper" - Deutschlands Antwort auf "Das Schweigen der Lämmer" und ähnliche Produktionen beschert dem Zuschauer mit dem Kindermörder Gabriel Engel einen Serienkiller, der von Andre Hennicke sehr gut verkörpert wird, aber bei weitem nicht so geistreich erscheint wie Hannibal Lector, auch wenn er ihn in einer Szene zitiert.
Gabriel Engels Ausdrucksweise mag primitiv sein, doch hinter seiner Maske verbirgt sich ein abgrundtief böser, moralisch verkommener Triebtäter, der Kinder - vorzugsweise Jungen - schändet, foltert und mit dem Blut seiner Opfer Bilder malt.
Er verwickelt den Dorfpolizisten Michael Martens, in dessen Heimatdorf ein Mädchen bestialisch ermordet wurde, in ein Katz- und Maus-Spiel. Martens, ein aufrechter Christ von moralischer Integrität, vermutet den Täter unter den Dorfbewohnern, da das Opfer nicht in das Beuteschema Engels passt und er die Tat bislang nicht gestanden hat.
Ganz klar: Drehbuchautor und Regisseur Christian Alvart orientiert sich an Filmen wie "Das Schweigen der Lämmer", "Blutmond"/"Roter Drache" und "Sieben", vermischt deren Stilelemente und Klischees mit eigenen Ideen und präsentiert die Konstellation Gut gegen Böse, wie sie eindeutiger nicht sein kann.
Wer ab und zu zur Bibel greift und sich auch im Judentum etwas auskennt, ist hier klar im Vorteil, um die Verweise auf das Alte und Neue Testament zu erkennen und zu verstehen.
Das beginnt allein damit, das Protagonist und Antagonist die Vornamen von Erzengeln haben: Erzengel Michael gilt für die Christen vor allem als Bezwinger Satans, während Erzengel Gabriel im Judentum als Straf- und Todesengel gilt.
Während in "Sieben" vor allem die sieben biblischen Todsünden im Vordergrund stehen, wird bei "Antikörper" die bilder- und metaphernreiche Ambivalenz von Gut und Böse, Schuld und Sühne angesprochen.
Die Tagline von "Antikörper" lautet: "Das Gute ist das Böse daran" und so beginnt Martens durch den Einfluss von Engel langsam, seine dunkle Seite zu erforschen: er beginnt eine kurze, aber hemmungslose Affäre mit einer Frau aus der Stadt und fügt später seiner Frau beim Geschlechtsverkehr Schmerzen zu.
Immer mehr nimmt das Böse Einfluss auf Martens, doch Halt findet der Katholik in der Beichte und im Gebet zu Gott, was dazu führt, das er sich selbst für seine Sünden geißelt.
Wotan Wilke Möhring spielt seinen Part genauso intensiv wie Hennicke, auch wenn das Duell der beiden eine Variante der Clarice Starling/Hannibal Lecter-Konfrontation ist und trotz einer Laufzeit von 122 Minuten viel zu kurz geraten ist.
Es steuert in bester "Sieben"-Tradition einem unheilvollen Finale entgegen, was mit den Erwartungen des Zuschauers spielt: Engel manipuliert Martens und den Zuschauer, berichtet von dem Mord an Lucia, den er nicht begangen, sondern nur beobachtet hat. Den Verdacht lenkt er auf Martens schwierigen 13-jährigen Sohn. Der verzweifelte Martens ist davon genauso überzeugt wie der Zuschauer und beschließt daraufhin, seinen Sohn zu töten.
Hier erreicht der Thriller ein Höchstmaß an Spannung, was ihm bislang fehlte. Zu sehr verläßt sich bis dahin Regisseur Alvart auf sein Duell Gut gegen Böse und dem Kampf Martens, den Versuchungen zu widerstehen. Gegen Ende nimmt auch das Tempo wieder ordentlich zu, was auch nach dem fulminanten Einstieg mit der Verhaftung Engels auf der Strecke blieb.
Die Zeitschrift Cinema beurteilte "Antikörper" als "der psychologisch radikalste und konsequenteste Thriller, der jemals in Deutschland entstand". Das mag teilweise zutreffen, doch konsequent wäre es gewesen, wenn Martens der Manipulation Engels und seinem eigenen Irrglauben zum Opfer gefallen wäre und seinen tatsächlich unschuldigen Sohn getötet hätte. So geht der ansonsten radikale und auch für deutsche Verhältnisse Tabus brechende Thriller seinen Weg nicht konsequent zu Ende, sondern bricht mit sich selbst und beschert dem Zuschauer ein tränenreiches Happy End, was zur düsteren Grundstimmung des Films überhaupt nicht passen will.
"Antikörper" ist bestimmt nicht jedermanns Sache. Er verzichtet fast vollkommen auf die Inszenierung grausam entstellter Leichen oder Gewaltexzesse, geht aber dafür in eine andere Richtung und setzt durchweg auf ordinäre Dialoge ("Was denkst du, wenn du deine Frau fickst?", "Steck ihn mir in den Arsch!", "Fick mich richtig durch!") und sehr realistisch inszenierte Sexszenen plus Bordell-Einlage. Das mag den Zweck erfüllen, die Verkommenheit Engels und die Unmoral zu verdeutlichen, doch die Grenze ist jedoch eindeutig erreicht, als in einer Rückblende Martens Sohn Lucia seinen Penis zeigt und masturbiert, die Kamera anschließend einfängt, wie Engel, der die Szene beobachtet hat, Lucias Slip nimmt, ihn in das Sperma taucht und sich an die Nase reibt.
Insgesamt bewegt sich "Antikörper" auf überdurchschnittlichem Niveau. Es verhält sich hier genauso wie bei den vielen Versuchen, Slasher made in Germany in unseren Kinos zu etablieren: mehr als ein Klon der großen US-Vorbilder kommt dabei nicht heraus, auch wenn der Film schauspielerisch und inszenatorisch beste Leistungen hervorbringt und angenehm zu unterhalten weiss.
7 von 10 "Vater unser"!