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Willkommen zu einer Zeitreise im Großwildjägerjargon mit kolonialistischem Flair und einer gehörigen Portion Urzeitwesen. Wie die Buchvorlage des Sherlock Holmes Erfinders Sir Arthur Conan Doyle stützt sich Die verlorene Welt auf eines der letzen, wenn auch zur damaligen Zeit schon aufgeklärten, Mysterien dieser Erde. Berichte Robert Hermann Schomburgks über den süd-amerikanischen Tafelberg Roraima-Tepui waren es, die Doyle zu seinem 1912 veröffentlichten Roman über eine auf einem steilen Berg isolierte, prähistorische Welt anregten.
Tatsächlich hatte es kein Ureinwohner gewagt, diese Götterwohnung, von dessen bis zu 3000 Meter hoher Sorte der Landstrich durch Venezuela, Guyana und Brasilien durchzogen ist, zu erklimmen, wobei aufgrund der steil abfallenden Wände kaum eine Möglichkeit als aus der Luft besteht, auf die Hochplateaus zu gelangen. 1884, bei der Erstbesteigung des Roraima-Tepui, welches eben über die in der Geschichte verarbeiteten Felsnadel verfügt, fand Everard Im Thurn natürlich keine Dinosaurier, aber eine großteils einzigartige entwickelte Tier- und Pflanzenwelt, was mit einem gewissen wissenschaftlichen Hintergrund ja immer noch Spielraum zum träumen läßt.

Daß der Stop-Motion-Spezialist Willis H. O'Brien First National Pictures 1923 für seine Idee, den Roman zu verfilmen, gewinnen konnten, beruht sicherlich zum Teil auf seinen vorherigen Kurzfilmen, von denen The Ghost of Slumber Mountain schon einen kleinen Vorgeschmack auf eine Vermengung von Real- und Trickszenen gegeben hatte, aber auch darauf, daß sich klassische Abenteuerstoffe von Jules Verne, Edgar Rice Burroughs oder Henry Rider Haggard, dessen Roman She als neue Verfilmung ebenfalls 1925 in die Kinos kam, weiter großer Beliebtheit erfreuten.
Bei einem wahnsinnigen Budget von einer Million Dollar übernahm Harry O. Hoyt, der seine Karriere als Drehbuchautor für D.W. Griffith begonnen hatte, die Realszenen, während O'Brien im Alleingang mit fast 50 Modellen die Trickszenen erstellte; meist nicht mehr als eine halbe Minute am Tag, denn 16 Bilder pro Sekunde müssen bei dieser Technik ja einzeln belichtet und die Figuren dafür weiter bewegt werden. Dabei war der Stummfilm gegenüber den 24 Einzelbildern einer späteren Tonfilmsekunde noch weniger aufwendig.

Der Aufhänger ist einfach wie zweckdienlich. Der Reporter Edward Malone (Lloyd Hughes) will seine Freundin Gladys (Alma Bennett) heiraten. Diese möchte jedoch nur einen echten Abenteurer, der dem Tod ins Auge gesehen hat, zum Manne wählen. Da kommt ihm der von vielen als Spinner angesehene Professor Challenger (Wallace Beery) gerade recht, der beweisen will, daß auf einem Hochplateau prähistorische Tiere existieren. Er schließt sich der zusammengestellten Expedition an.
Nachdem die Gruppe nun den Dschungel durchquert hat, besteigt sie nach einer Rast die Felsnadel, die beim tatsächlich existierenden Tepui allerdings zu weit vom eigentlichen Berg entfernt ist, um per umgekipptem Baum überzusetzen, wie es in Roman und Film der Fall ist. Anstatt dem Träger der Vorlage ist es hier allerdings ein Brontosaurier, der den Stamm in die Tiefe schubst und so eine Rückkehr unmöglich macht. Eine weitere Ergänzung übrigens die weibliche Teilnehmerin Paula White (Bessie Love), die auf der Suche nach ihrem Vater ist, der auf der vorherigen Expedition verschollen ging.
In auswegsloser Lage beobachtet die Gruppe nun vielfältig lebendigen Beweis für das Überleben der Dinosaurier und damit die wohl größte Stärke von Die verlorene Welt. Willis H. O'Brien läßt die um artikulierbare Metallskelette gestalteten und bis zu 45 cm großen Modelle im wahrsten Sinne des Wortes zum Leben erwachen, sind sie doch auch nicht nur heute noch plastischer als manche Computeranimation, sondern scheinen wirklich zu atmen, was über einen eingepflanzten Blasebalg umgesetzt worden sein soll.

Da das Stummfilmkino immer noch mehr eine Ergänzung zum Theater darstellte und mit expressionistischen Kunstwerken oder eben den hier erstmals so exzessiv eingesetzten Stop-Motion-Effekten auf Schauwerte setzte, ist es kaum zu verübeln, wenn die schauspielerische Seite nicht mehr als das Mittel zum Zweck darstellt. Zwar wird versucht, über eine auflodernde Romanze zwischen Paula und Edward einen Plot einzuknüpfen, der die phantastische Geschichte mit etwas greifbareren Handlungen auflockern soll, jedoch führt alles schließlich zielgenau zu einem doch noch durch die am Boden verbliebenen Helfer per Strickleiter ermöglichten Abstieg, nach dem die Gruppe einen abgestürzten, jedoch noch lebenden Brontosaurier als Trophäe einpacken und nach London verschiffen kann.
War das Mitbringsel im Roman noch ein Flugsaurier, der ohne nennenswerte Zwischenfälle entwischen konnte, stellt sich Die verlorene Welt mit dem durch London wütenden Schwergewicht ganz an den Anfang einer das Kino durchziehenden Tradition von zerstörerischen Monstern, dessen Rage der Mensch sich oftmals selbst zuzuschreiben hat. Nach einigen Planungen für ein Tonfilmremake machte sich O'Brien schließlich für RKO an den sehr ähnlich ausgelegten Film Creation, für den er etwa 55 Minuten fertiggestellt hatte, als die in einer Finanzkrise steckende Firma die Arbeiten unvollendet stoppte. Erst als Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack das Potential dieser Arbeit für ein geplantes Projekt erkannten, welches eigentlich mit echten Echsen als Saurierdarteller umgesetzt werden sollte, entstand der erstaunliche Parallelen aufweisende King Kong und die weiße Frau, der Die verlorene Welt technisch und mit einer einzigartigen dramaturgischen Komposition in die Tasche steckt. Nur hierdurch sinkt das Interesse, das die Arthur Conan Doyle Adaption an sich erregen könnte.

Durch die lange Vorbereitungszeit geriet die Veröffentlichung des Films dazu sehr nah an den Durchbruch des Lichttonverfahrens und so wurde ein Remake bald in Erwägung gezogen. Um dieses qualitativ nicht zu gefährden, wurde Die verlorene Welt drastisch heruntergekürzt und da die Negative bei einem Brand für immer zerstört wurden, gelang es erst in jüngerer Zeit den Film von mehreren Kopien und Fragmenten ausgehend in Richtung seiner Originallaufzeit von über 100 Minuten zu restaurieren. Bezeichnend dabei ist, daß die gekürzten Fassungen von teilweise gerade 65 Minuten trotzdem noch funktionieren, jedoch ist eine so weniger episch angelegte Version natürlich noch anfälliger gegen ein ohnehin schon ausgefeilteres Meisterwerk.
Leider geriet der trotz hoher Erstellungskosten seinerzeit als lukrativer Erfolg an den Kinokassen verbuchte Film dadurch etwas in Vergessenheit. Dabei ist die erfreuliche Seite sicherlich, daß sich ein Künstler mit dem heute und auch weiterhin ausserhalb des Monsterfilmgenres bekannteren Nachfolgefilm selbst übertrumpfen konnte. Tatsächlich könnte man aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit King Kongs über Die verlorene Welt heute hinwegsehen.Trotz leichter Abstriche bezüglich dramaturgischen Feinschliffs war der Film allerdings nicht einfach nur der erste seiner Zunft, sondern kann mit atemberaubenden Bildern auch den Cineasten von Heute mühelos begeistern. Speziell natürlich für Fans von Kreaturenfilmen jedwelcher Art führt kein Weg an diesem bahnbrechenden Moment vorbei.

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