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Den Namen Luigi Cozzi verbindet man gemeinhin mit unterhaltsamen, jedoch schlicht schwachsinnigen B-Movies, die nicht nur knietief im Trash waten, sondern längst in ihm ertrunken sind. Zu seinen in Deutschland bekanntesten Filmen dürften die beiden unfassbaren Science-Fiction-Filme STAR CRASH und CONTAMINATION zählen. Auch seine Wiederbelebung des Sandalenfilms in Form von HERKULES und sein bislang letzter Spielfilm PAGANINI HORROR, der zu den schlechtesten italienischen Horrorfilmen zählt, die ich jemals gesehen habe, erfuhren hierzulande eine Auswertung auf VHS oder DVD. Fans von Dario Argento werden Cozzi wohl daher kennen, dass er dem Meister in den frühen 70ern oftmals über die Schulter schauen durfte, eine Episode der von Argento präsentierten TV-Reihe DOOR INTO DARKNESS inszenierte und an dem Drehbuch mitschrieb, das später die Grundlage zu PROFONDO ROSSO werden sollte. Sein bester, weil spannendster und in sich schlüssigster Film ist, meiner Meinung nach, mit Abstand THE KILLER MUST KILL AGAIN, der zwar auch keine neuen Maßstäbe im Thrillergenre setzte, jedoch zumindest mich prächtig unterhalten hat. In besagtem Film gibt es eine Szene, in der die beiden männlichen Protagonisten in einem Kino sitzen. Geld, das zur Beseitigung einer ungeliebten Ehefrau beitragen soll, wechselt den Besitzer. Naturgemäß läuft in dem Kino aber auch ein Film, offenbar eine Independent-Produktion, gedreht mit Handkameras in einem verschneiten Park, wo ein bärtiger Mann erschossen wird. Hierbei handelt es sich um eine Szene aus Cozzis allererstem Film, den er zweiundzwanzigjährig außerhalb der kommerziellen Filmindustrie schuf: IL TUNNEL SOTTO IL MONDO. Da über ihn kaum Informationen zu bekommen sind, weiß ich nicht, inwieweit er damals überhaupt sein Publikum erreichte, allerdings kann ich mir leicht vorstellen, dass Cozzi ihn einzig und allein mit Freunden und Bekannten, einer wenig teuren Ausrüstung und eigenem Geld inszenierte und er niemals den Weg in irgendein Kino gefunden hat. Zwar sieht man IL TUNNEL SOTTO IL MONDO sein spärliches Budget an allen Ecken und Enden an, andererseits kann man kaum behaupten, dass es ein Film ohne Schauwerte sei. Einen billigen Vorläufer von Cozzis späteren Filmkatastrophen darf man, obwohl der Regisseur sich auch hier einer Science-Fiction-Thematik zuwandte, definitiv nicht erwarten.

Etwas über den Filminhalt zu schreiben ist gar nicht so einfach. Eine klassische Handlung existiert nicht, im Grunde ist der gesamte knapp einstündige Film über seine gesamte Laufzeit hinweg ein einziges Formexperiment. Nur zu Beginn meint man, dass sich eine halbwegs verständliche Story aus der Bilderflut herauskristallisieren könnte. Wir sehen einen bärtigen Mann einen Turm besteigen, eine Schusswaffe auspacken, laden und einen zweiten Mann erschießen, der sich unterhalb des Gebäudes auf einem Marktplatz aufhält. In der nächsten Szene erwacht dieser Mann aus einem Alptraum in seinem Bett. Diese Szene wiederholt sich mehrmals, suggerierend, dass sich der Mann, der erschossen wird und der aussieht wie Jean-Luc Godard, in einer Zeitschleife befindet und dies allmählich zu ahnen beginnt. Dieser Mann stolpert schließlich von einer merkwürdigen Szene in die nächste, wird durch Raum und Zeit geführt, begegnet einem die Menschheit steuernden Computer, der nach Gott sucht, und trifft seinen eigenen Mörder schließlich in besagtem verschneiten Park, wo er sich als Apostel entpuppt und schließlich von sich selbst als SS-Mann erschossen wird.
Das alles hört sich nur halb so konfus an wie der Film tatsächlich geraten ist. Falls Cozzi eine wirkliche Aussage mit seinem Werk machen wollte, hat sich mir diese nicht erschlossen, sondern ging in all den Experimenten unten, die er anstellte, und die in Anbetracht des geringen Budgets wirklich erstaunlich sind, wenn sie auch den Verdacht nahelegen, dass sie oftmals aus reiner Effekthascherei veranstaltet wurden. Es gibt schlicht keine einzige Sekunde in IL TUNNEL SOTTO IL MONDO, die sich nicht gegen gängige Konventionen auflehnen würde. Der Film wirkt wie ein endloser LSD-Trip, und die Handlung, die ich eben skizzierte, lässt sich höchstens fragmentarisch erfassen. Cozzi hat offenbar in jugendlichem Ungestüm alles zusammengeworfen, was er finden konnte. Versatzstücke aus berühmten Science-Fiction-Romanen finden sich ebenso wie politische Untertöne. Die Personen unterhalten sich mit der Kamera, als sei sie ein Gesprächspartner, der ihnen folge und ein Interview mit ihnen führe. Rasante Schnittfolgen vermengen verfremdete Landschaftsaufnahmen mit Filmschnipseln von Rolling-Stones-Live-Auftritten. In Großaufnahmen erscheint das Cover eines Bob-Dylan-Albums. Stimmen aus dem Off geben poetisch-philosophische Reden von sich, die nichts mit den Bildern zu tun zu haben scheinen. Cozzi selbst tritt schließlich in einer kleinen Rolle auf, spricht jedoch nicht mit seiner eigenen Stimme, sondern mit der einer Frau. Gerne werden auch Farbfilter verwendet, eine Szene beispielweise in mehrere Farbsektoren unterteilt. Oder die Kamera filmt bei einer Unterhaltung zwischen zwei Personen alles, nur nicht die Unterhaltung selbst.

Für mich ist IL TUNNEL SOTTO IL MONDO ein Dokument der Zeit, in der er entstand. Er erinnert mich an eine beliebige Rockband der späten 60er, deren Mitglieder sich zu ihrer ersten Plattenaufnahme in ein Studio begeben, sich dort von Drogen inspirieren lassen und eine dreiviertelstündige Jam-Session als Akt des Protests und des grenzenlosen Auslebens ihrer Kreativität abliefern, bei der sich kein roter Faden erkennen lässt, höchstens vereinzelte Melodien, die so schnell verschwinden wie sie kommen. Die Kreativität nämlich, die Cozzi und sein Team in den Film steckten, ist schier unerschöpflich. Ständig passiert etwas, alles, was machbar ist, wird ausprobiert. Und darin liegt auch das Problem des Films. Zu überladen wirkt er mit Effekten und Einfällen, die in keiner Verbindung zueinander stehen, zu anstrengend wird er mit der Zeit, trotz aller Faszination. Wie gesagt: wenn es Cozzi tatsächlich um einen gesellschaftskritischen, philosophischen Kommentar ging, den er mit seinem Film ausdrücken wollte, dann ist er damit gescheitert, da man kein Wort mehr von dem, was er vielleicht sagen möchte, in dem Gemisch aus bunten Farben, wirren Kameratricks und obskuren Dialogen zu verstehen imstande ist. Wollte er „nur“ einen wahnsinnigen, ungebunden Deliriumstraum in bewegten Bildern inszenieren, der Motive aus einigen seiner liebsten Science-Fiction-Romane aneinanderreiht und den Zuschauer aufwühlt, verwirrt und schockiert, dann hätte er nicht erfolgreicher sein können.
Am besten hat mir dennoch die ruhigste Szene des Films gefallen, wohl auch, weil sie aus dem ganzen Chaos um sie herum aussticht: das Gespräch mit dem Computer, dem man ein Bewusstsein einprogrammierte und der der Hauptperson berichtet, dass er sich auf der Suche nach Gott befinde, weil er Gottes Wille tue und Gott daher er selbst sei und die Suche nach ihm die Suche nach sich selbst bedeute. Die paar Minuten, die der Dialog andauert und während denen die Kamera uns nur Detailaufnahmen des Computers zeigt, einzelne Kabel, Tastaturen, blinkende Lichter, sind vielleicht das Beste, was Cozzi jemals drehte.

Unterm Strich bleibt IL TUNNEL SOTTO IL MONDO ein Film, der mich überraschte wie selten einer, da ich Cozzi ein solches Werk ehrlich gesagt nie zugetraut hätte. Wer wissen will wie es aussieht, wenn jemand in den späten 60ern alle avantgardistische Filmexperimente in einen Topf wirft und mit Science-Fiction-Elementen garniert, wird hier aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. IL TUNNEL SOTTO IL MONDO ist kein Film, den man gesehen haben muss, aber einer, der unter Beweis stellt, dass auch mit äußerst spärlichen Mitteln wirklich Erstaunliches zustande gebracht werden kann. Was mich stört ist jedoch die Tatsache, dass die meisten Effekte wohl aus reinem Selbstzweck geboren wurden und dass sie keine Handlung, keine Idee illustrieren, die man irgendwie mit ihnen in Verbindung bringen könnte. Um auf den Vergleich mit der Band zurückzukommen: das Album ist nicht schlecht, zu bestimmten Zeiten legt man es gerne auf, irgendwie fehlt aber auch einiges, um es richtig gut werden zu lassen, sodass es eher bei denen landet, die man selten oder gar nicht mehr aus dem Plattenschrank hervorholt, obwohl man es nicht bereut, es sich gekauft zu haben.

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