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Mit "Marathon" kommt ein weiteres Behindertendrama aus Südkorea. Eigentlich hatte der Film Anfang Februar 2005 eine harte Konkurrenz im Kino und niemand rechnete mit diesem Erfolg. Der prophezeite Kassenschlager "Another Public Enemy" wurde sehr aggressiv vermarktet und lief zeitgleich in einer viel grösseren Anzahl von Kinos im Land. Doch "Marathon" erreichte die Herzen seiner Zuschauer und wurde mit über 5 Millionen Zuschauern der eigentliche Kassenschlager. Nun könnte man meinen, mit viel Berechnung und Melodramatik wurde mit einer herzzerreissenden Story eines behinderten Menschen der Zuschauer manipuliert ; in diesem Fall weit gefehlt und obwohl "Oasis" für mich weiterhin die Referenz bleibt, ist "Marathon" ein erstaunlich positiver und ehrlicher Film nach einer wahren Begebenheit geworden.

Schon in frühester Kindheit wird bei dem kleinen Cho-won eine autistische Behinderung festgestellt. Er spricht nicht und scheint seine Umwelt nicht wahrzunehmen ; ein Arztbesuch bringt die eindeutige Diagnose und für die Eltern die grausame Gewissheit, eine schwere Zukunft vor sich zu haben. Auch Jahre später hat sich nichts geändert.
Cho-won ( gespielt von Cho Seung-woo ) ist mittlerweile körperlich erwachsen, doch geistig verweilt er auf dem Level eines kleinen Kindes. Der Vater ( gespielt von Ahn Nae-sang ) hat die Mutter ( gespielt von Kim Mi-suk ) nach einer schwierigen Zeit verlassen und der kleinere Bruder Yun Jung-won ( gespielt von Baek Seong-hyeon ) wird von der Mutter ständig hinten angestellt. Sie scheint nur für ihren behinderten Sohn Cho-won zu leben und fördert ihn wo sie nur kann. Als er bei einem 10km-Lauf überraschend den dritten Platz belegt und deutliches Interesse zeigt, glaubt die Mutter ihn mit dem Laufen aus seiner typischen Lethargie reissen zu können. Sie beginnt ihn sportlich herauszufordern und zu motivieren und tatsächlich lässt Cho-won sich für das Laufen begeistern.
Über seine Sonderschule wird ein ehemaliger Marathonläufer als sein Trainer engagiert und die Mutter will Cho-won für einen 40km-Marathonlauf fit machen. Besagter Trainer Jung-wook ( gespielt von Lee Gi-yeong ) leistet allerdings nur Sozialstunden ab und ist an seiner neuen Aufgabe überhaupt nicht wirklich interessiert. Allerdings hat er weder mit dem Talent von Cho-won noch der Überzeugungskraft seiner Mutter gerechnet. Vor dem grossen Marathon kommt es dennoch zu immensen Spannungen auf allen Seiten und die Motivationen aller Beteiligten werden genauer hinterfragt werden.

Der Autismus kann sich in mannigfaltiger Form äussern und die Abgrenzungen sind für den Laien manchmal nicht nachzuvollziehen. Beim frühkindlichen Autismus ( wie bei Cho-won ) fällt am ehesten die späte bis nicht vorhandene Sprachentwicklung auf. Daneben fehlt bei den Betroffenen oft der direkte Blickkontakt und jegliche Gestik und Mimik. Selbst ein Lächeln als Gefühlsausdruck scheint eine unüberwindbare Hürde. Später kommt es oft zu repititiver Sprache und stereotypen Bewegungen. Das schnelle Bewegen von einzelnen Fingern und Wiederholen von bestimmten Sprachfloskeln kann als typisch angesehen werden. Empfindungen wie Trauer, Wut, Freude oder Verzweiflung scheinen unmöglich ; soziale Kontakte bauen sich daher nicht auf. Autisten sind allerdings nicht zwangsläufig dumm, sie können in einigen eng begrenzten Gebieten sogar hochbegabt sein.
Wenn man sich unter diesen wenigen Aspekten den Film ansieht, wird einem schnell klar werden, wie durchdacht und gut gespielt "Marathon" tatsächlich ist. Hier wurde sehr gut rechergiert und der Hauptdarsteller Cho Seung-woo kann eine glaubhafte Darstellung eines Autisten abliefern. Viele der oben genannten Punkte finden sich im Film wieder ; sie werden allerdings nicht abgearbeitet sondern verschmelzen zu einer einheitlichen schauspielerischen Leistung. Hier wird nicht selbstverliebt versucht in seiner Rolle zu strahlen, sondern hier wird ein ehrliches Stück Schauspiel geboten. Obwohl natürlich Cho Seung-woo der uneingeschränkte Star des Films ist, stehen seine Kollegen und Kolleginnen bzgl. der schauspielerischen Leistung nicht zurück. Die lebensnahe Darstellung einer verzweifelt kämpfenden und liebenden Mutter gelingt Kim Mi-suk ebenso, wie Lee Gi-yeong das Porträt eines zuerst desillusionierten und später wieder lebensfrohen Trainers, der sich und seinen Sport praktisch neu als Lebenselixier entdeckt.
Weder melodramatisch noch hölzern, sondern im Gegenteil mit erstaunlich viel Witz und Augenzwinkern gelingt Regisseur Jeong Yoon-chul ein leichter Film über ein schweres Thema mit wunderschönen Bildern und unaufdringlichen Botschaften. Wenn auch die Provokation und Genialität von "Oasis" nicht erreicht wird, so ist "Marathon" doch ein durchaus gelungener Film mit einer deutlich positiveren Botschaft.
Bei solch einer Geschichte kann nur der Weg das Ziel sein, man weiss als Zuschauer was kommt und wie es sich entwickelt und will es entsprechend ehrlich präsentiert bekommen. Hier macht "Marathon" keine Fehler und bekommt starke 8 Punkte.

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