*Achtung, extremste Spoiler!*
Ist schon ne komische Sache mit HARD CANDY. Obwohl ich das Kino seltsam unberührt verließ, kommt mir der Film immer mal wieder in den Sinn. Und das ist dann wie ein bizarres Puzzlespiel: Da sind viele Einzelteile -erstklassige Schauspieler, briliante Fotographie, intelligente Dialogführung, klasse Drehbuch, das ein Zweipersonen-Kammerspiel mühelos und spannend über den gesamten Film trägt, undundund. Wenn ich diese Teile jedoch zusammensetze, kommt in der Summe nicht viel dabei rum. Ich sag ja, es ist seltsam, aber ich kann es nicht besser beschreiben als wie folgt: HARD CANDY ist ein klinischer, steriler Möchtegern-Schocker, ein zahnloser Tiger.
Das Presseheft verkauft uns Davd Slades Regiedebut als "ultrabrutalen, provokanten" Film, in dem "psychische und physische Grenzen" ausgelotet würden. Damit ist dann auch gleich das Marketing-Konzept des Verleihers benannt: HARD CANDY ist Startfilm des Genrelabels "Autobahn" im Senator Filmverleih, als solcher jedoch eine Art Lückenbüßer. Denn eigentlich sollte der Erstling der Reihe ja ROHTENBURG sein. Ich spare mir hier jeden Kommentar zu diesem Film, es ist genug hierüber palavert worden. Es soll sich jeder seinen eigenen Reim darauf machen; daß beim Publikum eine gewisse Erwartungshaltung erzeugt werden soll, dürfte unstrittig sein. Und lange vor dem Kinostart konnte man im Netz schon lesen, daß Hard Candy bei den Festivals in Sundance und Sitges für einiges Aufsehen gesorgt hat.
Nun denn, gemessen an diesen Erwartungen ist HARD CANDY schlicht und ergreifend zahm. Aber gehen wir mal in medias res: Racheengel in Teeniegestalt sucht Pädophilen heim und richtet ihn alttestamentarisch. So sieht die Geschichte aus. Jeff (gespielt von Patrick Wilson) ist Pädophiler, die 14jährige Hayley (Ellen Page) sein Richter. Sie bringt ihn in ihre Gewalt, setzt ihn absolutem Terror aus, entlockt ihm das Geständnis und sorgt in kafkaesker Art und Weise dafür, daß der Gerichtete sein Urteil selbst vollstreckt. Ziemlich beachtlich für eine 14jährige, oder ? Naja, wenn ich an Juli Zehs Roman SPIELTRIEB denke steht eine solche Figur nicht allein da. Trotzdem ist die Grundkonstellation eine Versuchsanordnung, die jederzeitige totale Kontrolle Hayleys ist unrealistisch. So kann aber das durchgespielt werden, was durchgespielt wird. Wer Pädophilen schon immer die "Eier ab" gewünscht hat, findet hier also eine bildliche Entsprechung, naja fast zumindest. Robespierre hätte hier sicherlich seine Freude gehabt.
Das Ganze wird perfekt durchinszeniert im Digitalvideo-Ästhetik. David Slade hat sich als Werbefilmer einen Namen gemacht, weitere Werbegrößen haben den Film in der post production gecutted und farblich nachbearbeitet. Das sieht man, das ist irgendwie edel, aber es ist halt auch klinisch. Und verstärkt letztlich nur die Distanz zu dem, was man da sieht. Denn beide Figuren sind natürlich in keinster Weise darauf angelegt, irgendwie mit ihnen zu sympathisieren. Das ist es auch, was ich anfangs mit "seltsam unberührt" meinte: Man sieht den Film, der Vorhang fällt, man steht auf, geht raus und dann fängt man trotzdem an zu puzzeln...
Ich könnte weder eine Empfehlung aussprechen, noch abraten. HARD CANDY ist ein Film, der nicht wirklich beißt, höchstens ein ganz kleines bißchen. Probierts aus !
6/10