Review

Der Mittdreißiger Jeff lernt beim Chatten im Internet die 14-jährige Hayley kennen. Unbeeindruckt von ihrem zarten Alter arrangiert er ein Treffen mit der ihm wegen ihrer Wortgewandtheit imponierenden „Goldfrapp“-Hörerin. Bereits in den ersten Momenten ihrer Begegnung entpuppt sich Hayley als schüchterne, aber smarte Kindsfrau, die ihrem Alter weit voraus zu sein scheint, weswegen Jeff auch nicht einlenkt, als der Abend darauf hinaus läuft, bei ihm zuhause zum Ausklang gebracht zu werden. Nachdem dem Abenteuer und Liebe suchenden Junggesellen aber nach einem von Hayley gemixten Cocktail schwarz vor Augen wird und er sich anschließend an einen Stuhl gefesselt vorfindet, beginnt ein Alptraum und Psycho-Duell, bei dem Jeff mit seinen eigenen Dämonen konfrontiert wird.

„Soll das vielleicht irgendein Teenager-Witz sein?“
„Teenager? – Ja. Ein Witz? – Nein!“

HARD CANDY kommt uns mit der Schlichtheit eines Calvin Klein-Werbespots und gleichzeitig mit der Roh-, Ungeschliffen- und Direktheit des „Interpol“-Albums „Turn On the Bright Light“ entgegen gesegelt. Zwei Darsteller, eine verzwickte Situation, viel krasse Dialoge, viel Seelenstriptease, eine Kastration… mehr braucht es oft nicht für einen guten Film.
Das Thema ist ein sehr „delikates“. Es geht um Pädophilie, Kinderpornographie, Vergewaltigung von Minderjährigen. Der Angeklagte: Jeff. Sein Strafrichter: die kleine Hayley.
Wie vor Gericht führt sie dem Zuschauer alle Beweise vor, reiht alle Indizien aneinander und legt Jeffs Psyche brach, für den sich der Knoten, je weiter der Film voranschreitet, immer enger zu ziehen scheint.
Ob Jeff überhaupt zu Recht auf der Anklagebank sitzt, bleibt fast bis zum bitteren Ende ein Geheimnis, weswegen man als Zuschauer auch auf eine ziemliche Zerreißprobe gestellt wird, auf wessen Seite man sich nun zu stellen hat, auch wenn die kecke Hayley – ein Mastermind und Großmeister der psychischen Folter – den auf den ersten Blick doch recht braven Sesselpuper Jeff (im wahrsten Sinne des Wortes) ganz schön alt aussehen lässt und ihm an Grips und Sympathiepunkten haushoch überlegen ist. Die Kleene stampft den Fucker jedenfalls in Grund und Boden, soviel sei schon mal verraten…
Ein weiser Uhu hat mir gar geflüstert, dass Hayley auch als Jeffs personifiziertes, verbildlichtes Gewissen, sprich: als gar nicht wirklich existent, gesehen werden kann. Doch Obacht: Is’ nur so 'ne Idee, ein Gedankenspiel als Anmerkung am Rande verpackt.

Der Streifen beginnt sehr gut. Nein, nicht nur sehr gut, sondern wirklich wahnsinnig gut. Spannung, Schauspiel… alles 1A. Getunkt ist das geistige „Fang-den-Hut“-Spiel darüber hinaus noch in wahrlich beeindruckende Bilder, deren zielsichere Schlichtheit einen Genius hinter der Kamera vermuten läßt.
Gegen Ende flaut das überwältigende Hammerfeeling vom Anfang aber gewaltig ab und der Plot driftet einem Finale entgegen, das man irgendwie gerne anders - irgendwie krasser, irgendwie niederschmetternder - gesehen hätte.
Nichts desto Trotz bleibt HARD CANDY aber eine durchschüttelnde Geisterbahnfahrt durch seelische Abgründe, die auf den Eingeweiden mit Sicherheit bleibende Bremsspuren hinterlassen dürfte. Der maue Schluss zieht den Streifen zwar insgesamt ein wenig runter, vom Thrill her passt hier meistens aber schon alles.

„Soll ich dir was sagen? Ich finde „Goldfrapp“ zum Kotzen!“

Ein Psycho-Katz-und-Mausspiel und Perversitätenkabinett irgendwo zwischen „Funny Games“ und „Feed“. Teilweise so paranoid und auf mentaler Ebene beengend, dass man meinen könnte, der Schädel säße in einer Schraubzwinge.
Definitiv anschauwürdig!

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