Review

„Hard Candy“ ist unerbittlich und innovativ – ein bittersüßes Psychogramm einer unerwarteten Rollenumkehr!


Hayley (Ellen Page) ist zarte 14 Jahre alt und chattet mit Jeff (Patrick Wilson) in einer ziemlich freizügigen Manier. Ein Szenario was wohl tagtäglich auf unserem Planeten vonstatten geht. Problematisch ist, dass Jeff über 30 ist und somit verhandlungsmoralisch einen großen Faux -pas begeht. Hayley insistiert auf ein Treffen mit Jeff, der erfolgreicher Photograph ist. Als beide zusammentreffen ist Jeff von der Reife des Mädchens fasziniert und zögert nicht lange, auf ihre Bitte hin, sie mit zu sich nach Hause zu nehmen...
Dort angekommen offenbart sich Hayley von einer ganz anderen Seite...


„Autsch“ werden sich viele denken, „was hat David Slade da für ein heikles Thema angepackt!“ Dieser Gedankengang wird im Fortlauf des Films durch die Rollenumkehr ein wenig entschärft, wobei dann die verfängliche Komponente der Selbstjustiz zum filmischen Sujet gemacht wird.
Prinzipiell stellt sich mir die Frage, ob das Thema Pädophilie (in diesem Film wohl eher im juristischen Sinne Verführung Minderjähriger, denn ab 14 ist man kein Kind mehr) überhaupt zu Unterhaltungszwecken missbraucht werden sollte (siehe auch „Running Scared“).
Natürlich erhebe ich den moralischen Zeigefinger ziemlich hoch, doch „Hard Candy“ dient der Unterhaltung und nicht einer realistischen Aufklärung über Pädophile geschweige denn, dass die Opfer- und Täterrolle adäquat dargestellt werden.
Über das ebenso fragwürdige Thema der Selbstjustiz könnte ich mich auch noch echauffieren, jedoch habe ich schon genug genörgelt, in Anbetracht der Tatsache, dass ich den Film eigentlich ziemlich gut fand.

Da wären zunächst die beiden Protagonisten des Films. Ellen Page in der Rolle der jungen, aber durchaus schon sehr weit entwickelten Hayley, weiß zu überzeugen, obwohl ihr kognitiver Stand definitiv nicht einer Adoleszenten entspricht. Sie spielt sehr ausdrucksstark und weiß den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Faszinierend, denn Ellen Page ist erst 19 Jahre alt und dafür spielt sie wie eine Schauspielerin, die schon seit 30 Jahren im Geschäft ist. Patrick Wilson in der Rolle des attraktiven „Pädos“ überzeugt auch in seiner Darbietung, kann aber nicht ganz gegen die junge Ellen Page ankommen.
Positiv fällt auch die Wahl des Sets auf. Hier dominiert die Farbe rot und das hat auch seinen symbolischen Sinn, der meines Erachtens überhaupt nicht nervig wirkt.
Der von manchen Reviewern gezogene Vergleich zu „Saw“ ist ohne Ende deplaziert. Sujet und darstellerische Qualitäten sind in „Hard Candy“ im Gegensatz zu „Saw“ Oscarverdächtig!
Gerade das keine Kammerspielatmosphäre aufkommt ist dem Film hoch anzurechnen und das liegt sicherlich nicht im Scheitern des Versuchs selbige in „Hard Candy“ zu versprühen!
Faszinierend ist auch die Tatsache, dass David Slade „Hard Candy“ in 18 Tagen abdrehte. Dies spricht nicht nur für seine Qualität als Regisseur, sondern speziell auch für die seiner Darsteller!

Was bleibt unterm Strich von „Hard Candy“ als ambivalenten und polarisierenden Film?
Kann man Moralvorstellungen und eine verzerrte Darstellung einer Extremsituation mit perfekter Inszenierung und grandioser schauspielerischer Qualität der Hauptdarsteller aufwiegen?
Psychoanalytisch betrachtet ist eine Rollenumkehr des Täter- und Opferstatus durchaus möglich und plausibel, doch mangelt es an der Realitätsnähe in dieser filmischen Umsetzung! Dies begründet auch die FSK 18 Freigabe, denn von Gore- oder verfänglichen Sexszenen ist zum Glück nichts zu sehen. Dementsprechend hält sich die Inszenierung noch an die verhandlungsmoralischen Vorstellungen unserer Gesellschaft. Dies entschärft meines Erachtens das prekäre Sujet des Films.
So bleibt unterm Strich ein genialer Film, der dem Zuschauer einen unangenehmen Beigeschmack beschert.

Fazit:
Heikles Thema, geniale Darsteller und ein kleiner Phantomschmerz im Testikelbereich(Casino Royale ist ein Witz dagegen), bedeuten 8,5 Punkte!

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