Review

Spoiler-Warnung!

Propaganda kann plakativ oder unterschwellig sein. Der Kern, die Nachricht oder Message soll weit verbreitet und an die Gesellschaft herangetragen werden. Es ist wie mit allem. Es gibt die gute und schlechte Sorte – im Sinne der Qualität. Wenn man sich die Mühe macht, dann suggeriert man die Gedankenwelt der Opfer, indem man ihnen den Glauben lässt nicht verarscht worden zu sein. Was hat das alles mit „Hard Candy“ zu tun? Sehr viel!

In Zeiten wo Kinder vergewaltigt und die Opfer zynisch reagieren, die Zeitungen vom Luxusleben in den Zellen berichten und Täter einmal just aufs Dach flüchten, fruchtet genau das, was David Slade in „Hard Candy“ vermittelt – Gedanken an Selbstjustiz als gerechte Bestrafung.

So ist es manipulativ von Anfang an. Abrupt steigen wir in die Filmwelt ein. Ein Chat mit anrüchigen Texten. Jeweils am anderen Ende der Tastatur sitzen die 14-jährige Hayley (Ellen Page) und der 32-jährige Modefotograf Jeff (Patrick Wilson). Es kommt wie es kommen muss – ein Treffen. Es bahnt sich an und in der Gefühlswelt stellt sich eine unbehagliche Vorstellung ein. Das Grauen manifestiert sich. Dann der Bruch zur formalen Struktur. Das Treffen in Jeffs Haus entpuppt sich als morbides Kammerspiel, das einen kleinen Racheengel hervorbringt.

Hard Candy – bittersüß und zu allem bereit. Es beginnt ein gerichtlicher Prozess. Jeff ist gefesselt, Hayley hat nun die Macht und sucht nach Beweisen. Im Dialog reiht sich eine psychologische Phrase an die andere. Schuld oder Unschuld? Beide Seiten fahren ihre Geschütze auf. Dazwischen digitale Kameraaufnahmen, Close-Ups zu den Protagonisten. Ein Spiel mit der Variation von dunklen und hellen Farbmischungen. Jeffs Wohnung mutiert zum Ort des Prozesses.

Skepsis keimt auf. Eine 14-jährige handelt wie eine Kriminalistin mit 30 Jahren Berufserfahrung. Hayley ist alles, die perfekte Staatsanwältin, Richterin und Psychologin. Eine kleine kranke Klugscheißerin würde man meinen. Verfolgt von einem Wahn und dem Entschluss Jeff als pädophil zu entlarven. Jede Kleinigkeit dient als psychologischer Ausdruck und Beweis für die eigene Vermutung. Bis der Knoten Platz. Nun der Umbruch. Hard Candy hatte doch Recht! Fortan hat man den Eindruck, dass Drehbuchautor Brian Nelson seine eigene Person in die Protagonistin projizierte und seine Meinung in ihr schlummern lässt.

Rotkäppchen und der böse Wolf. Sie ließ sich auf ihn ein, der Wolf redet viel, hat gute Ausreden, um seine Tat zu vertuschen. Die Kleine hat nicht übertrieben, alles war richtig.

Sie hatte Jeff gewarnt. Vier von fünf Ärzten behaupten sie wäre krank. Derjenige, der sie nicht für krank hält war zweifelsohne Autor Brian Nelson selbst. Wir wissen ja durch die Presse, dass Psychologen Vergewaltiger frei lassen und damit ihre Unfähigkeit untermauern. Hayley ist intelligent, sie weiß alles, kombiniert Indizien zu einer Kette, um letztendlich den Beweis zu finden. Ihre psychologischen Deutungen sind richtig. Auf der anderen Seite steht Jeff, dem man geneigt hatte zu glauben, das Opfer eines kranken Mädchens zu sein. Ein Betrüger, der seine wahren Absichten gut vertuscht hat. Er fleht, er wimmert. Doch Mitleid mag man nicht mehr empfinden. Wie kann Candy krank sein, wenn sie die Wahrheit messerscharf erkennt?

Das Gegenteil ist der Fall, Hard Candy hält doch der Justiz und der ausführenden Staatsgewalt den Spiegel vor. Bei derzeitiger Lage würde Jeff vielleicht bald wieder in Freiheit sein und neue Opfer vergewaltigen. Wo ist dabei die Gerechtigkeit? Der Racheengel hält das Plädoyer. Das Urteil fällt: der pädophile Modefotograf muss bestraft werden.

Da der Staat unfähig ist darf man selbst läutern. Nun folgt Thrill, resultierend aus Tiefenpsychologie. Kastrationsangst im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist hart, Mann fiebert mit wegen des bloßen Gedankens seine Männlichkeit zu verlieren. Von Mitleid keine Spur, eher der tiefenpsychologische Horrorgedanke. Jeff interessiert nicht, er ist ein Schwein, ein kranker Unmensch. Hayley wirkt hart, aber konsequent und doch tut sie der Gesellschaft einen Dienst.

Propaganda im Kammerspiel, das ausschließlich von zwei hervorragend agierenden Darstellern getragen wird. Die Rollen sind klar definiert. Doch irgendwann wird es langweilig trotz Kastrationsangst. Spannung geht verloren, weil die geschriebenen Dialogsequenzen von Brian Nelson an Substanz verlieren. Beide Protagonisten üben sich überwiegend als Kläger und Angeklagter. Die Argumente des Klägers sind besser, die Schuld ist bewiesen und nun folgt die gerechte Rache. Das Ganze zieht sich und dass Hayley im Recht ist weiß man schon lange. Bezeichnend ist dabei der sinnlose Auftritt von Sandra Oh, um die fehlende Dramatik zu kaschieren. Das Ganze ist so suggestiv, dass man förmlich aufgedrückt bekommt, wer letztendlich gewinnen wird.

Rotkäppchen obsiegt. Der Film verliert, weil er nicht mehr als gut gemachte Propaganda darstellt. Goebbels lässt grüßen. Egal wie man zu dem Thema an sich steht, die Methode ist falsch. (4/10)

Details
Ähnliche Filme