Review

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist nun schon fast 1 Uhr in der Nacht - eigentlich Schlafenszeit für mich... nun stellt sich im Nachhinein als unklug heraus, dass ich mir HARD CANDY so kurz vor dem Schlafengehen gegeben habe - ich hatte den Film aber völlig unbedarft ausgeliehen und im Vorfeld weder eine Ahnung, worum es geht, noch davon, wie intensiv der Film ist.

Und da ich mir soeben diverse (positive wie auch negative) Bewertungen des Filmes durchgelesen habe, führe ich mich nun zum einen dazu hingerissen, meiner Begeisterung über / für diesen Film Luft zu machen, als auch dazu genötigt, auf bestimmte negative Kritiken, die hier geübt werden, einzugehen.

HARD CANDY ist ein reinrassiger Psychothriller par Exemple. Tumbe Gorehounds, die Filme suchen, in denen bloß gemetzelt wird und literweise Blut fließt, sollten sich distanziert halten.

Nach "The Woodsman" (mit Kevin Bacon) ist HARD CANDY nun der zweite Film, der sich sehr intensiv mit dem Thema "Pädophilie" beschäftigt - jeder, der sagt, man dürfe dieses Thema nicht filmisch behandeln, ist in meinen Augen kein ernst zu nehmender Filmgucker und - Kritiker.
Natürlich ist es ein ganz sensibles, schwer zu behandelndes Terrain, aber es spricht in unserer heutigen Zeit, in der das Thema Kindesmissbrauch (sexueller wie auch "nur" psychischer Natur) öfter denn je auf den Tisch kommt, rein gar nichts dagegen, hochwertige, psychologisch wertvolle und aussagestarke Filme darüber zu drehen.
Das kann man mit einem sehr ruhigen, gediegenen Filmstil tun (wie im genannten "The Woodsman") und das Leben eines Pädophilen aus dessen Warte schildern, oder man kann sich der etwas ruppigernen Gangart bemächtigen und tiefgreifende Psychologie nur sekundär einsetzen.

Zur Story: Ein 14-jähriges Mädchen verabredet sich mit einem 32-jährigen Mann in einem Cafe. Kennengelernt haben sich die Beiden über das Internet. Das Mädchen ist sehr schüchtern, schafft es aber mit der Zuhilfenahme etwas kindlichen Charmes, den etablierten Fotografen dazu zu bringen, ihr sein Heim (eine chicke Villa) zu zeigen. Dort zeigt das Mädchen ihr wahres Gesicht. Sie lässt den Mann mithilfe von Schlafmitteln ins Land der Träume versinken. Sie fixiert ihn derweil an einem Drehstuhl und stellt dessen Bude auf den Kopf. Hintergrund ist ein sorgfältigst ausgearbeiteter, perfider Plan des Teenagers. Sie weiß von den dunklen Machenschaften des Fotografen und hat ihn lange Zeit auf dem Kieker gehabt.
Nach dem Wiedererwachen des Mannes und wenigen Dialogen stellt sich heraus, dass ihn das Mädchen für einen Pädophilen hält. Das Mädchen konfrontiert sein Opfer mit allerhand Hintergrundinfos und schnell wird ihm klar, dass er es nicht einfach mit einem durchgeknallten Teenie, als vielmehr mit einem sich auf einer strikten Mission befindlichen, hochintelligenten Racheengel zu tun hat, dem er rein gar nichts vormachen kann. Drei Versuche, sich aus der Gefangenschaft zu befreien, scheitern, und letztlich muss der Mann einsehen, dass sein Leben, auch wenn er es schaffen würde, das Mädchen zu überwältigen, kaputt ist und er nur dann als Kinderschänder (vor allem vor seiner Jugendliebe) unentlarvt aus der Sache herauskommen kann, wenn er den strikten Anweisungen des Mädchens folgt und sich selbst das Leben nimmt.

HARD CANDY nimmt sich dem brisanten Thema fair und analytisch an - der Antagonist ist ein eigentlich sympathischer Typ, der offensichtlich vielmehr eine gestörte Ader hat, als dass er ein bitterböses Monster ist. Das ist schon ein ganz großer Pluspunkt, hätte dieser Film sicherlich auch sein Publikum gefunden, hätte man reißerische Schwarz-Weiß-Malerei betrieben und den Fotografen als das dargestellt, als was ihn der Großteil der stereotypen Bevölkerung sicherlich abgetan hätte; einen Kinderschänder, der die Todesstrafe (oder wenn möglich etwas noch schlimmeres) verdient hätte.

Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen; für mich macht es große Unterschiede, ob sich ein Mensch aus einem krankhaften, für ihn unkontrollierbaren Zwang heraus an Kindern oder allgemein Schwächeren vergeht, oder ob es aus einer - nennen wir es hämisch - "Gewinnerzielungsabsicht" heraus passiert. Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Neigungen und Zwänge und wenn man einmal für sich selbst definiert, wie schwer es teilweise ist, bestimmten Dingen (wie zum Beispiel einem Stück Schokolade oder einer Zigarette - also eigentlich trivialen Luxusgütern) zu widerstehen, so kann man vielleicht auch die Empathie entwickeln, ansatzweise zu verstehen, dass es noch viel stärkere, unwiderstehliche Zwänge gibt, gegen die man sich nicht zur Wehr setzen kann. Dass diese dann in einen derart bösen Bereich gehen, in dem unsere Schwächsten die Leidtragenden sind, ist bedauerlich und dramatisch, aber es ist niemandem damit geholfen, dafür die psychisch kranken Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Natürlich muss dafür gesorgt werden, dass soetwas nach einer Tat nie wieder passieren kann ( was das angeht, sind unsere hiesigen Gesetze auch teilweise etwas arg locker - lebenslange Sicherheitsverwahrung wäre meiner Meinung in solchen Fällen indiskutabel), aber der Racheweg ist der falsche.

In HARD CANDY wird die Situation geschildert, dass ein Mädchen, dass seinem Alter intellektuell weit voraus ist, praktisch stellvertetend für sämtliche belästigten und geschundenen Mädchen Rache an einem Pädophilen, sozusagen dem Prototypen, nimmt.
Dieser brisante Plot wurde bravourös umgesetzt, da die Umsetzung, wie schon kurz angesprochen, fair und unparteiisch verläuft. Man entwickelt absolute Sympathie für das Mädchen, auch wenn ihre Foltermethoden teilweise arg pervers sind und zu weit gehen. Auf der anderen Seite ist der Kinderschänder, der auch seine menschlichen und durchaus sympathischen Seiten hat und ein Sprachrohr für seine Ängste und Defintion seiner Neigungen erhält.

Kurz zu in anderen Reviews angesprochenen Kritikpunkten; in einem Film wie diesem als Logikloch anzusprechen, dass ein 14-jähriges Mädchen einen derart ausgeklügelten Plot plant und sich mehrmals physisch gegen einen erwachsenen Mann behauptet, ist für mich Korintenkackerei - das Mädchen kommt den Befreiungsversuchen des auch schon geschwächten Mannes nur mit Mühe und Not bei - das fresse ich mit Haut und Haaren! Der Plot ist hervorragend und absolut durchdacht und sich an derart kleinen, meinetwegen diuskutablen, Logik-Details aufzuhängen und dafür eklatanten Punkteabzug zu geben, ist meiner Meinung nach lächerlich!
So eine Symbiose aus brachialer Sozialkritik und knisternder Psycho-Spannung zu erschaffen, bedarf eines schlichtweg genialen Hirns und wer wenn nicht ein halbwüchsiges Mädchen sollte denn diesen ganz besonderen Handlungsverlauf dirigieren? - einem Racheengel a la Farah Fawcett in "Extremities" ziehe ich ein 14-jähriges, offenbar psychisch gestörtes, aber in seiner Moral unantastbares Mädchen allemal vor!

HARD CANDY ist für mich der beste Thriller seit Ewigkeiten; stark (will sagen "oscarreif") gespielt, inszeniert, fotografiert und geschnitten. Der Burner ist natürlich das talentierte Mädel, das die fanatische Göre mimt! Saftige und absolut anerkennende 9 Punkte für HARD CANDY!

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