Spoiler-WarnungDa der Inhalt dieses Films auf seiner Übersichtsseite zusammengefasst ist, spare ich es mir, ihn hier noch einmal zu rekapitulieren, zumal ich auch während dieser Rezension darauf eingehen werde.
Zunächst einmal möchte ich die sehr guten schauspielerischen Leistungen hervorheben, ohne die der Film mit einiger Wahrscheinlichkeit weit weniger gute Kritiken bekommen hätte. Der Film spielt gekonnt mit den Sympathien der Zuschauer, da bis kurz vor Ende nicht klar ist, ob Jeff wirklich der Sexualverbrecher ist, für den Haley ihn hält. Ist Jeff ein unschuldiges Opfer eines psychotischen Teenagers oder sind die Vorwürfe seiner Peinigerin korrekt?
Diese Frage stellt sich der Zuschauer wie gesagt bis wenige Minuten vor dem Abspann. Als der aber begann, verwandelte sich bei mir der schale Beigeschmack, den der Film schon nach etwa 20 Minuten hatte, in leichte Verärgerung und Enttäuschung. Warum? Nun, da muß ich jetzt etwas ausholen.
Der sexuelle Missbrauch von Kindern, Sexualmorde an Kindern werden von der Boulevardpresse geradezu lüstern ausgeschlachtet. Man kann sagen, dass sich Bild und Co. Regelrecht daran aufgeilen. Bezüglich der Sexualität von Kindern und Jugendlichen ist die Sexualmoral in den USA, wo der Film ja herkommt, sehr repressiv. In einigen Staaten (Oregon, Kalifornien, Wisconsin fallen mir auf Anhieb ein) ist das Schutzalter für sexuelle Handlungen (age of consent) 18, was also heißt, dass alle Jugendlichen bis einschließlich 17 als asexuelle Bübchen und Mädelchen gelten, die ihre Geschlechtsorgane nur zun Urinieren verwenden.
Und jeder Erwachsene, der ein sexuelles Interesse an Jugendlichen hat, gilt in der Boulevardpresse schon mal als pädophil, obwohl sich Pädophile für Kinder vor oder an der Schwelle zur Pubertät, nicht für Jugendliche interessieren.Was das mit Hard Candy zu tun hat? Nun, Haley macht schon am Anfang kritische Bemerkungen über die Photos, die in Jeffs Wohnung hängen, da die Mädchen darauf „minderjährig" sind.
Minderjährig sind aber auch 16-jährige, bei denen solche Photos nicht als Missbrauch anzusehen sind, da Personen dieser Altersgruppe nach vielen Rechtsordnungen (Deutschland, mehrere US-Staaten, Großbritannien) reif genug sind, über ihre Sexualität zu bestimmen. Das Drehbuch wirkt so, als hätte es ein prüder Republikaner geschrieben. Man wird mit Klischees nur so überhäuft. Die von Otto Normalverbraucher (oder vielleicht -bildzeitungleser) gehegte Vorstellung Pädophiler=Triebverbrecher wird voll und ganz bedient.
Meine Sympathien waren den ganzen Film über bei Jeff, auch als herauskam, dass er zumindest nicht ganz unschuldig ist. Die Botschaft, die der Film vermittelt, ist bedenklich und kritikwürdig. Haleys Handeln wird nie wirklich kritisch hinterfragt, dafür sieht Regisseur David Slade wohl keine Notwendigkeit, da sie die öffentliche (Boulevard-Medien konnsumierende) Meinung auf ihrer Seite hat:
Der Typ ist ein Pädo-Schwein, in Knast bekommt er eh nur den Arsch abgewischt, hat einen eigene Golfplatz blablabla. Nach einer Therapie ist der bald wieder auf freiem Fuß und kann weitermachen blablabla. Der lebt im Knast wie die Made im Speck und das von unseren Steuern blablablaSagte der Stammtischler und trank sein drittes Bier leer.
Da ist es doch vollkommen okay, wenn in diesem Film der oft geäußerte Wunsch der Stammtischler, nämlich Zwangskastration, in Erfüllung geht. Was anderes haben die Pädo-Drecksäue nicht verdient, sagte der Stammtischler und trank sein viertes Bier leer. Das Witzige an der Sache ist, dass die ganzen Selbstjustizler das Lynchen von Pädophilen (oder die Personen, die sie dafür halten) für gerechtfertigt halten, von den Pädophilen selbst aber Gesetzestreue erwarten. Nur, wenn die Selbstjustizler über dem Gesetz stehen, warum sollte das dann bei den Pädophilen nicht auch der Fall sein?
Kommen wir zu einem weiteren Kritikpunkt: Die Darstellung von Haley. Schon witzig, wie sich David Slade seinen vierzehjährigen Racheengel vorstellt: Trotz ihres Alters ist Haley so vorausschauend, kühl und abgeklärt wie ein erfahrener Geheimagent oder Auftragsmörder. Sie ist dem 32-jährigen Jeff psychisch nicht nur gewachsen, sondern sogar überlegen. Ach ja, und sie kann mal eben so aus dem Stegreif eine medizinisch korrekte Kastrations-OP ausführen. Einfach nur lächerlich und unglaubwürdig. Die Figur der Haley ist in ihrer Altklugheit einfach unerträglich.
Es ist mir auch vollkommen unverständlich, wie es ein 32-jähriger, durchtrainierter Mann trotz mehrerer Gelegenheiten nicht schafft, eine 14-jährige zu überwältigen.David Slade weiß, dass der Durchschnittsmensch Lynchmorde an „Kinderschändern" insgeheim begrüßt und hat diese Tatsache filmisch überzeugend kommerzialisiert.
Wenn er sich von Haleys Tun zumindest ein bisschen distanziert hätte, wäre sein Film vielleicht eine vielschichtige Reflexion über Schuld und Sühne geworden. Als Vergleich fällt mir Der Tod und das Mädchen ein. Da Slade aber genau das unterlässt, ist sein Film letztlich nur eine recht plumpe Selbstjustizglorifizierung.Aufgrund der schauspielerischen Leistungen gibt es 3 von 10 Punkten.