Die Kritik beruht auf der ungeschnittenen DVD-Fassung vom Label Autobahn/Senator!
Gleich vorweg:
"Hard Candy" ist nicht mehr als ein Psycho-Kammerspiel, das vor allem von seinen Schauspielern lebt, aber ansonsten keine der Erwartungen erfüllt, die der Zuschauer an diesen Film stellt, sobald er einen Blick auf das Cover wirft.
Der Verleih des Films hat sich auf den Vertrieb von Independant-Produktionen spezialisiert, Filme wie "Inside" oder "Shortbus", die aufgrund ihrer sexuellen Freizügigkeiten, Goreeinlagen und Tabubrüchen jenseits der gängigen Konfektionsware hochglanzpolierter Mainstream-Produktionen liegen.
Mit Regisseur David Slade, der mit "Hard Candy" sein Debut eines abendfüllenden Spielfilms vorlegt, wurde ein Regisseur verpflichtet, der mit dem Splatter-Horror "30 Days Of Night" wenig später auf sich aufmerksam machte.
Auf der Vorderseite des Covers prangt eine Bärenfalle mit kleinen, scharfen Klingen und die FSK bescheinigt dem Werk "keine Jugendfreigabe".
Spätestens wenn der Zuschauer liest, dass sich ein vermeintlich Pädophiler in der Gewalt eines 14-jährigen Mädchens befindet und sich zwischen den beiden Protagonisten ein "spannendes und verdammt provokantes Thriller-Kammerspiel" entwickeln wird, erwartet man ein hartes, kompromissloses Werk wie "Inside" - nicht so blutrünstig, aber zumindest genauso intensiv und spannend.
Wie gesagt:
"Hard Candy" erfüllt keine der Erwartungen, lediglich dass es sich um ein Kammerspiel handelt, das hauptsächlich in einem Haus spielt, aber nicht annähernd die bedrückende Atmosphäre erreicht, die nötig gewesen wäre.
Der Film fängt ruhig an, indem sich nach kurzem Mailverkehr die beiden Hauptakteure Hayley und Jeff in einem Coffeeshop treffen. Die Unterhaltungen der beiden sind belanglos, das Treffen wird in Jeffs Haus fortgesetzt. Hier nimmt nach ca. 30 Minuten das Treffen der beiden eine Wendung und Jeff sieht sich plötzlich betäubt und den Anschuldigungen ausgesetzt, ein Kinderschänder und sogar Mörder zu sein.
Hier hätte die Handlung genug Potential gehabt, um den Zuschauer bis zum Ende hin auf die Folter zu spannen, ob die Anschuldigungen sich als richtig oder als Hirngespinnste einer Verrückten erweisen.
Doch leider wird gleich zu Beginn klar, dass Jeff nicht nur flirten möchte, sondern etwas ganz anderes im Sinn hat.
Die logische Konsequenz:
Jeff ist das, wofür Hayley ihn hält und hat es auch nicht anders verdient, als von ihr gequält zu werden.
Die Qualen begrenzen sich hierbei mehr auf physchicher Ebene, denn selbst die von Hayley angedrohte Kastration entpuppt sich schnell als inszeniert und für den Zuschauer als vorhersehbar.
Immerhin gewinnt bei aller Vorhersehbarkeit und dem Verlust von Spannungsmomenten die Intensität des Psycho-Duells der beiden ungleichen Gegner, wobei dies vor allem den schauspielerischen Fähigkeiten, allen voran von Ellen Page, zu verdanken ist. Sie spielt ihren Charakter sehr zwiespältig und gibt somit Anlass für Spekulationen hinsichtlich ihres eigenen Motivs. Die Dialoge zwischen den beiden sind in diesen Situationen sehr passend: Jeffs Versuche, an Hayleys Vernunft zu appelieren und sie mit psychologischen Tricks zu ködern, werden von ihr mit Hohn und purem Zynismus abgeschmettert.
Hier liegen ganz klar die Stärken des Films, aber auch die Schwächen:
Der Film erweist sich mit 100 Minuten Laufzeit viel zu lang, zwei Befreiungsversuche von Jeff enden abrupt, da seine Gegnerin die Lage zu jeder Zeit unter Kontrolle hat. Außer ein paar Elektroschocks und eine Rangelei um eine Waffe bietet der Film keinerlei körperliche Konfrontation zwischen den beiden, so dass sich bei aller Intensität dieses Kammerspiel auf die Dauer nur noch wiederholt, in dem Hayley Jeff anschuldigt, dieser leugnet, gleichzeitig aber bereit ist alles zu tun, damit sie ihm nichts antut.
Immer wieder wird dadurch klar, dass Jeff etwas zu verbergen hat und wieder und wieder nehmen sich Regisseur und Drehbuchautor die Möglichkeiten für einen Spannungsaufbau, der geradezu auf ein spektakuläres Finale hätte hinsteuern können.
Genauso wie folgende Szene, die bereits in der Mitte des Films abläuft:
Die Kombination für einen gut versteckten Safe findet Hayley durch Raterei schnell heraus. Das Geheimversteck beinhaltet Fotos, die laut Hayley jeder für krank einschätzen würde, und eine CD, auf deren Inhalt nicht eingegangen wird. Wieder ein Indiz dafür, dass der stets seine Unschuld beteuernde Jeff etwas auf dem Kerbholz hat.
Auch hier versäumen es Slade und Autor Brian Nelson ihr monotones Kammerspiel zu brechen, in dem sie hier zur Erlangung der Kombination Hayley etwas Druck auf Jeff hätten ausüben lassen sollen.
Und so bleibt eigentlich nichts weiter als ein sauberer, unblutiger Psychothriller, wobei lediglich die Thematik kontrovers erscheint, aber nichts offenbart, was eine solche FSK-Einstufung rechtfertigen würde.
Das Finale läßt viele Fragen offen (vor allem die nach Hayleys Motiven und ihrer eigentlichen Rolle) und erweist Hayley als "Jüngerin" von John Kramer alias Jigsaw aus "SAW": Jeff in den Selbstmord zu treiben, ohne sich selbst die Hände schmutzig gemacht zu haben, erweist sich als der einzige überraschende Kniff im Drehbuch und als Höhepunkt ihres perfiden Plans, zusammen mit einem minimalen Storytwist, der dem Zuschauer einen kleinen Aha-Effekt entlockt.
"Hard Candy" verschenkt zu viele Möglichkeiten und ist nicht annähernd das, was das Cover suggeriert. Sicherlich mag der Film Diskussionen anregen, doch spannender macht es ihn dadurch auch nicht. Es ist kein europäischer Film wie "Inside", sondern eine amerikanische Produktion, der man während der gesamten Laufzeit anmerkt, dass den Produzenten das Thema eigentlich viel zu heiß ist und ihr Thriller-Süppchen daher auf Sparflamme kochen, jedes Risiko scheuen, irgendein Tabu zu brechen.
Angesichts des dargestellten Covers reinster Etikettenschwindel, der einen weiteren Bonuspunkt für die schauspielerische Leistung von Ellen Page bekommt, in der Gesamtbewertung aber immer noch klar unter dem Durchschnitt liegt.
4 von 10 Punkten!