Review

Christian Petzolds Film „Gespenster“ erzählt einen kurzen Abschnitt im Leben der Heimbewohnerin Nina (Julia Hummer), die völlig isoliert, verschüchtert und dennoch auf der Suche nach sinnstiftender Nähe durch ein unwirkliches und trostloses Berlin irrt. Sie verliebt sich in die undurchsichtige Toni (Sabine Timoteo) und begegnet der Französin Francoise (Marianne Basler), die vorgibt, ihre Mutter zu sein.

Dass viele Kommentatoren den Regisseur Petzold als ambitionierten Antonioni-Epigonen bezeichnen (und dieser – Petzold! – da ganz und gar nichts gegen hat), ist für interessierten Zuschauer Grund genug, auf bestimmte Kern-Thematiken und Fragestellungen im Verlauf des Films besonders zu achten.

So sind etwa die Isolation des Individuums in der (post-)modernen Großstadtgesellschaft, die Unmöglichkeit gelingender Kommunikation in einer sinnentleerten Zeit, die radikale Vereinzelung und damit einhergehend die Verlorenheit des Subjekts kulturphilosophische Axiome, die Antonioni in seinen existenzialistisch geprägten Filmen als theoretische Basis seiner Ästhetik ansah. Auch scheinen sie – vierzig Jahre später – den zentralen Diskurs von „Gespenster“ zu konfigurieren und sind daher eine nähere Betrachtung wert. Die Frage ist: Gelingt es Petzold, auch nur annähernd so anspruchsvoll und vor allem relevant die genannten Probleme zu verhandeln wie das italienische Vorbild – oder versinkt sein Film in der ambitionierten Bedeutungslosigkeit?

In einigen bemerkenswerten Einstellungen schafft es der Regisseur in der Tat, das von Antonioni gewissermaßen „übernommene“ verstörte (und verstörende) Empfinden von unwirklicher Isolation und Entfremdung am Beispiel seiner Protagonistin atmosphärisch äußerst beklemmend einzufangen. Hier sind etwa Szenen zu nennen, in denen Petzold Nina durch scheinbar verlassene Großstadtflächen wandern lässt oder mit Unschärfe-Effekten ihren schwerelosen Außen-Vor-Status verdeutlicht. Hauptdarstellerin Julia Hummer transportiert die beklemmende kulturtheoretische Einsicht der „transzendentalen“ Verlorenheit und beziehungsmäßiger Obdachlosigkeit des Individuums ganz großartig durch ihr extrem dichtes, authentisches und vor allem äußerst verstörtes, eingeschüchtertes Spiel.

Der Regisseur will hoch hinaus mit „Gespenster“, und das gelingt ihm zunächst also auch ganz gut, sowohl in oben genannten Szenen als auch einfach mit der tollen Besetzung seiner Protagonistin. Etwas sehr platt und daher problematisch finde ich allerdings, dass der Regisseur das (kulturphilosophische) Gefühl individueller Verlorenheit – am Beispiel von Nina – unbedingt auch irgendwie sozial festmachen will. Zu sehr mit dem Holzhammer geschlagen wirkt der Versuch, die soziale Außenseiterstellung seiner Hauptperson (Heimkind, kein Kontakt zu den Eltern etc.) mehr oder minder als „Symbol“ für einen wesentlich allgemeineren philosophischen Diskurs zu verwenden. „Gespenster“ ist sicherlich (Gott sei Dank!) kein Sozialdrama, doch durch den wenig subtilen Blick in die Berliner „Unterschicht“, den der Zuschauer aufgrund der gesellschaftlichen Position Ninas geboten bekommt, beraubt sich der Film selbst seiner kulturellen Relevanz.


Antonionis Filme etwa erlangen doch gerade dadurch auch als kulturtheoretische Bestandsaufnahmen ihre bis heute andauernde Bedeutung, dass sie oben genannte Fragestellungen als existenzielle Zeit-Paradigmen, als – wenn man so will – conditio humana (post-)modernen menschlichen Daseins überhaupt verhandeln. Gerade die Tatsache, dass Antonionis Kulturpessimismus (zunächst) also keine sozialen und daher individuell verschiedenen, sondern vielmehr allumfassende existenzphilosophische Gründe hat und somit klassen-unabhängig das Menschsein „als solches“ betrachtet, machen sie so bedeutend. Ninas Befindlichkeit in „Gespenster“ kann immer noch auf ihre persönliche Biographie, ihr Leben als Heimkind etc. zurückgeführt werden und verliert eben dadurch ihre existenzielle Symbolkraft, die – folgt man dem Antonioni-Vergleich – sicherlich irgendwie intendiert war.


Auch im Ästhetik-Vergleich mit dem Filmen Antonioni schwächelt „Gespenster“ meiner Meinung nach sehr. Der äußerst visuelle, artifizielle Charakter des Films sagt ja noch lange nichts über die ästhetische Qualität des Gezeigten und daher komme ich nicht drum herum, viele Szenen dieses ja besonders auch wegen seiner Visualität gelobten Films gerade mal das ästhetische Niveau eines gehobenen Fernsehfilms zu attestieren. Nicht mehr und nicht weniger. Es gibt, wie bereits gesagt, einige sehr schöne Einstellungen, der Rest ist allerdings Mittelmaß und auch nicht wirklich inspiriert (Das findet sonst irgendwie keiner, aber vielleicht bin ich auch einfach zu verwöhnt...!).


Trotzdem: „Gespenster“ ist auf jeden Fall ein interessanter Film, der Lust macht, sich weitere Werke des Regisseurs anzusehen. Zwar werden auch diese das „Vorbild“ Antonioni – natürlich – nicht erreichen, vielleicht schöpfen sie allerdings das schon in diesem Streifen anklingende ästhetische, poetische und philosophische Potential etwas zwingender und irgendwie auch bleibender aus und erklimmen somit einen Platz in der Champions League des deutschen Films. Auf „Yella“, dem ich dies, nach allem was ich gehört habe, durchaus zutrauen mag, freue ich mich daher ganz besonders.

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