„Leider hat Casablanca zusammen mit den Flüchtlingen auch den Abschauen Europas angelockt.“
Ich weiß nicht, ob der gebürtige Ungar und US-Regie-Routinier Michael Curtiz („Das Geheimnis des Wachsfigurenkabinetts“) ahnte, welch Riesenerfolg dem Film beschieden sein würde, den er auf Grundlage eines bis dahin unaufgeführt gebliebenen Theaterstücks aus dem Jahre 1940 sowie eines mehrfach von verschiedenen Autorinnen und Autoren umgeschriebenen und um immer neue Aspekte erweiterten Drehbuchs, das erst während der Dreharbeiten vollendet wurde, im Jahre 1942 inszenierte. Fakt ist, dass „Casablanca“, jenes vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs spielende Liebesdrama mit Politthriller-Anleihen, bis heute als eine der bedeutendsten Hollywood-Produktionen schlechthin gilt.
„Diese Stadt ist voller Aasgeier, voller dunkler Elemente. Überall, an allen Ecken, lauern sie einem auf.“
Und die Geschichte holte den Film ein: Nach dessen Premiere im November 1942 wurden weitere Aufführungen auf Februar 1943 verschoben, weil im Januar des Jahres US-Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill in Casablanca über eine Anti-Hitler-Koalition konferierten. Die deutsche Erstaufführung datiert aufs Jahr 1952, jedoch in einer verfälschten Synchronisation und massiv gekürzten Fassung. Auf eine originalgetreue deutsche Auswertung musste man bis in die 1970er warten.
„Sie sind ein ziemlich zynischer Mensch, Rick...“
Die Handlung spielt im Jahre 1941. Die von Vichy-Frankreich verwaltete nordafrikanische Stadt Casablanca ist das Ziel zahlreicher vom Nazi-Terror verfolgter Europäerinnen und Europäer, aber auch von Spielern, Trinkern und klein- sowie großkriminellen Elementen. Im „Café Américain“ trifft man aufeinander, dem Lokal des verschlossen bis zynisch wirkenden Richard „Rick“ Blaine (Humphrey Bogart, „Die Spur des Falken“), der sich aus politischen Fragen weitestmöglich herauszuhalten versucht – wenngleich er in seiner bewegten Vergangenheit durchaus für die richtigen Seiten zu kämpfen verstand. Dies unterscheidet ihn von einem Opportunisten wie dem französischen Polizeipräfekt Renault (Claude Rains, „Der Wolfsmensch“), der zu seinen Stammgästen zählt. Auf ihrem Weg nach Casablanca wurden zwei deutsche Kuriere getötet und ihnen ihre Ausreisevisa abgenommen. Die Nazis vermuten den tschechische Widerständler Victor László (Paul Henreid, „Eva“) dahinter, der ihnen bisher immer wieder entkommen hatte können. Jene Visa sind von großer Bedeutung, da sie die Ausreise in die USA ermöglichen. Nazi-Major Strasser (Conrad Veidt, „Der Dieb von Bagdad“) fahndet in Casablanca nach László, der dort zusammen mit seiner Frau Ilsa Lund (Ingrid Bergman, „Arzt und Dämon“) eintrifft. Strasser hofft aus Renaults Hilfe. Die Visa befinden sich ins Ricks Besitz, seit er sie vom später ermordeten Ugarte (Peter Lorre, „M“) zur Verwahrung erhalten hat. Rick muss sich nicht nur dieser Situation wohlüberlegt stellen, sondern auch damit klarkommen, dass in Person Ilsas seine ehemalige Geliebte vor ihm steht, die im Glauben, ihr Mann sei im KZ umgebracht worden, mit ihm in Paris angebändelt hatte. Als sie erfuhr, dass Victor lebt, ließ sie Rick allein am Bahnhof stehen. Nun bittet sie ihn, Victor und ihr die Visa zu veräußern, doch er weigert sich…
„Welche Nationalität haben Sie?“ – „Ich bin Trinker.“
Ein Sprecher aus dem Off erklärt die Ausreiseproblematik, dazu werden damalige topographische Karten eingeblendet. Kurz darauf sehen wir bereits, wie jemand erschossen wird. Das brisante Klima, innerhalb dessen die Geschichte angesiedelt ist, wird damit unmittelbar vor Augen geführt. Mit Einführung der handelnden Figuren wird das Sujet des Visumhandels etabliert. Bogarts Rolle als Rick fällt schon früh mit ihren Dialogen und der Melancholie, die sie ausstrahlt, auf. Ricks Kryptonit ist Ilsa, die unvermittelt in seinem Café auftaucht. Daraufhin betrinkt er sich, wird sentimental und schwelgt in Erinnerungen, die in Rückblenden visualisiert werden. Gewissermaßen kam der Nazi-Überfall auf Frankreich seiner Liebe zu Ilsa dazwischen. Aber eben nicht nur. Rick ist der Inbegriff der Coolness, hinter der er aber vor allem seine Verletzlichkeit verbirgt. Er gibt den desillusionierten Zyniker und egoistischen Pragmatiker, ist eigentlich aber großer Romantiker. Diese Verkörperung avancierte zu einer Paraderolle für Bogart, mit der er bis heute assoziiert wird. Nicht ganz unähnlich erging es Bergman, deren Rolle als Ilsa zu ihren populärsten zählte.
„Ich seh' dir in die Augen, Kleines.“
Ricks Café, das vielmehr ein Nachtclub ist, ist ein Mikrokosmos, in dem sich die Weltpolitik abspielt. Die dort stattfindenden Gespräche sind voller Bonmonts, das Dialogbuch ist zum Niederknien. Fiese Drohungen werden distinguiert zwischen den Zeilen ausgesprochen, in der Regel werden alle Höflichkeitsformen gewahrt. „Casablanca“ ist ein Film der Ungewissheit, woraus er seine Spannung generiert, ohne übermäßig auf klassische Spannungsspitzen setzen zu müssen. Fast allen relevanten Figuren haftet etwas Ungewisses an. Wer sind sie wirklich, was denken und fühlen sie wirklich, wie authentisch sind sie? Und: Kann man ihnen vertrauen? Noch ungewisser ist ihre Zukunft. Casablanca ist eine Zwischenstation im Leben der Vertriebenen, Geflohenen und Gestrauchelten. Dies wiederum hängt mit der ungewissen Zukunft der ganzen Welt zusammen: Welche Ausmaße wird der Weltkrieg noch annehmen? Wird das Nazi-Reich mit seiner Möchtegern-Herrenrasse zu besiegen sein? Und wie, verdammt noch mal, wird sich Rick weiterhin gegenüber Ilsa und Victor verhalten?!
„Ausgerechnet, wenn die ganze Welt zusammenbricht, müssen wir uns ineinander verlieben!“
Wie der Film all diese Aspekte auf sehr natürlich wirkende Weise miteinander verwebt, ist schlicht meisterhaft. Man möchte meinen, alle am Drehbuch Beteiligten hätten jeweils einem dieser Punkte besondere Aufmerksamkeit gewidmet, viele Köche also einmal nicht den Brei verdorben, sondern besonders raffiniert abgeschmeckt. Curtiz‘ Regie und die Bilder, die sie einfängt, bedienen sich einiger Beleuchtungstricks, die die Atmosphäre des Films unterstreichen, und setzen die Schauspielerinnen und Schauspieler großartig in Szene. Der Schnitt sichert ein nahezu perfektes Timing dieser Geschichte, die nicht zu langsam, aber erst recht nicht zu schnell erzählt werden darf, dabei aber stets interessant bleiben muss.
„War das Artilleriefeuer oder klopft mein Herz so laut?“
Natürlich ist „Casablanca“ auch ein politischer Film, der die US-Bevölkerung für die Notwendigkeit sensibilisieren sollte, gegen das die ganze Welt bedrohende Geschwür des Faschismus einzugreifen. Dennoch ist er weit von plumper Propaganda entfernt. Direkte antifaschistische Offensiven sind hier rar gesät, präsentieren sich dann aber umso eindrucksvoller – in erster Linie in jener Szene, in der Victor den Nazigesang mit der Marseillaise zu übertönen versucht. Apropos Musik: Untrennbar mit dem Film verbunden ist Herman Hupfelds zum Drehzeitpunkt bereits über eine Dekade alt gewesene Komposition „As Time Goes By“, die im Film von Pianist Sam (Dooley Wilson, „Keep Punching“) gespielt und gesungen wird und in Variationen wiederkehrend erklingt. Die Figur Victor László wiederum ist, so heißt es, inspiriert vom tschechische Widerstandskämpfer Jan Smudek. Und mit Veidt, Henreid, Lorre sowie dem als Taschendieb auftretenden Curt Bois finden sich in „Casablanca“ Schauspieler, die tatsächlich vor den Nazis geflohen waren.
„Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen!“
Dieser Film brachte eine Menge Dialogzeilen hervor, die seither immer wieder zitiert, persifliert oder rekontextualisiert werden und auch bei denjenigen ins kulturelle Gedächtnis Einzug gehalten haben dürften, die den Film nie gesehen haben. Und wenn wichtige Figuren im Gänsehautfinale wichtige Entscheidungen treffen, ist „Casablanca“ nicht zuletzt auch ein Sieg der Romantik über den Faschismus.